
Atomkraft muss enden
Wir brauchen den Atomausstieg - in Deutschland und weltweit
Keine Energie ist gefährlicher und teurer als Atomkraft, ihr Beitrag zur weltweiten Stromgewinnung gering. Trotzdem ist sie nicht totzukriegen. Was hauptsächlich an militärischen Interessen liegt
Deutschland ist nicht mehr weit davon entfernt, den Atomausstieg vollbracht zu haben: Ende 2022 sollen mit Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Dann endet die über 60 Jahre dauernde Ära der zivilen Atomnutzung in Deutschland. Auch weltweit ist der Anteil an Atomstrom gering – 2021 lag er bei gerade einmal zehn Prozent. Doch auch wenn es in einigen europäischen Ländern Bestrebungen in Richtung weiterer Atomausstiege gibt – weltweit ist kein Ende der Atomkraft absehbar. Leider. Denn für Strom aus Atomspaltung zahlt die Menschheit einen hohen Preis. Wie die beiden schlimmsten Atromkatastrophen der Geschichte in Tschernobyl und Fukushima eindrücklich beweisen.
Der Atomausstieg in Deutschland zum Beispiel kam nur durch die gesellschaftlichen Schockwellen dieser beiden Atomkatastrophen zustande. 1986 geriet im ukrainischen Tschernobyl im dortigen Atomkraftwerk die Kettenreaktion außer Kontrolle, bis der Reaktor in die Luft flog, der Kern schmolz und Brände noch tagelang hoch radioaktive Partikel in die Umwelt schleuderten. Damals schwenkte in Deutschland die SPD um und forderte fortan ein Ende dieser gefährlichen Technologie. Und als sie im Jahr 1998 zusammen mit den Grünen an die Macht kamen, verhandelten sie mit der Atomindustrie den ersten Fahrplan für den Atomausstieg.
Atomausstieg in Deutschland
Doch Energiekonzerne, die Unionsparteien und die FDP versuchten über Laufzeitverlängerungen den Atomausstieg immer weiter nach hinten zu schieben. Erst das kollektive Entsetzen, als sogar im hoch technologisierten Japan im März 2011 das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi explodierte, brachte der deutschen Atomkraft wirklich ihr Ende.
Ein von einem Erdbeben ausgelöster Tsunami überflutete damals das Gelände des dortigen Atomkraftwerks, so dass die Kühlung ausfiel. Vier Reaktorblöcke explodierten an mehreren Tagen hintereinander zwischen dem 12. und dem 15. März. Wobei die Welt noch Glück im Unglück hatte: In Block 4, dem letzten, der in die Luft flog, lagerten besonders viele heiße Brennelemente in kaum geschützten Abklingbecken. Über Tage war nicht klar, ob wenigstens dort die Kühlung aufrecht erhalten werden kann. Wäre das Abklingbecken trockengefallen und in Brand geraten, wäre noch wesentlich mehr Radioaktivität freigesetzt worden. Dann hätte wahrscheinlich der ganze Großraum Tokio mit 50 Million Einwohnern evakuiert werden müssen.
Beide Atomkatastrophen führten zu großflächiger radioaktiver Verseuchung und unvorstellbarem menschlichen Leid. Sie prägten eine neue Kategorie an Störfällen, den sogenannten Super-GAU. Etwas, was Schlimmer war, als alles vorher vermutete: die Steigerung des GAUs, des „Größten anzunehmenden Unfalls“.
Der Widerstand gegen Atomkraft ist so alt wie die Technologie selbst. Schon in den 70er Jahren gab es in Deutschland Massenproteste, der Widerstand wurde schnell größer. 1985/86 wehrten sich Hunderttausende gegen eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf. Und das erfolgreich. Doch nach den Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima verstärkten sich die Massenproteste und Großdemonstrationen gegen Atomkraft derart, dass selbst die ehemals atomfreundliche Bundeskanzlerin Angela Merkel Atomkraft für nicht länger haltbar erachtete.
Atomkraft rettet das Klima nicht - auch nicht in China und Russland
Soweit der Stand in Deutschland. Doch auch der Blick rund um die Erde zeigt: Weltweit werden meist jedes Jahr mehr Atomkraftwerke außer Betrieb genommen als neue zugebaut. Österreich und Italien sind schon vor Jahrzehnten aus der Nutzung der Atomenergie ausgestiegen. Belgien – ein Land mit einstmals immerhin über 50 Prozent Atomstrom – hat seinen Atomausstieg für 2025 angekündigt. Und selbst Frankreich, das Atomstromland schlechthin, hat Pläne, bis 2035 nur noch 50 statt bisher 80 Prozent seines Stroms durch Kernspaltung gewinnen zu wollen. Doch das Ende der Atomkraft wird nicht von selber kommen.
Russland und China betreiben zum Beispiel weiterhin den Neubau von Atomkraftwerken. Auch die USA und andere Nationen wollen nicht auf diese Form der Energiegewinnung verzichten. Aber mit Klimaschutz, wie oft behauptet, hat das wenig zu tun. Der Mehrwert der Atomkraft liegt wo ganz anders: Die Technologie hat viele Querverbindungen zur militärischen Nutzung; Atomkraftwerke zu besitzen hat strategische Bedeutung.
Zwar ist es richtig, dass bei der Energiegewinnung durch die Spaltung von Atomen kein Kohlendioxid freigesetzt wird. Selbst wenn man die Klimagase, die bei Bau und Betrieb von Atomkraftwerken anfallen mit einberechnet, ist Atomstrom sicher eine klimagasarme Energiegewinnung. Aber Atomkraft ist viel zu teuer, viel zu gefährlich und letztlich viel zu unbedeutend, um einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten zu können.
Die Errichtung des Atomkraftwerkes Hinkley Point C wird beispielsweise auf 27 Milliarden Euro geschätzt, für das gleiche Geld ließe sich die vierfache Menge an Strom aus Wind oder Solarkraft zu Verfügung stellen. Selbst das Gesamtpaket “gesicherte erneuerbare Kraftwerksleistung” – also steuerbare Energieinstallationen von Solar und Wind mit Elektrolyseuren und Gaskraftwerken im Verbund, was wichtig ist für die Versorgungssicherheit – ist zusammengenommen günstiger als neue Atomkraftprojekte.
Und die Gefahren der Atomkraft sind dabei noch gar nicht eingepreist. Denn bei der Spaltung von Atomkernen fallen hochgefährliche radioaktive Spaltprodukte an. Die sind schon im störungsfreien Betrieb ein enormes Problem – bis jetzt gibt es weltweit kein Endlager, in dem dieser gefährlichste Müll der Menschheit sicher gelagert werden könnte. Dabei strahlen die Hinterlassenschaften der Atomkraft abertausende von Jahren. Ein Problem, dessen Größe und Tragweite der Mensch bis heute nicht befriedigend lösen kann. Und angesichts der Größe und Dauer des Problems vielleicht auch nie wirklich lösen wird.
Auch die Transporte hochradioaktiver Abfälle stellen immer wieder ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung dar. Über Jahrzehnte haben die Castortransporte einschließlich all ihrer Gefahren Deutschland belastet, die Proteste dagegen die Gesellschaft tief gespalten.
Wie gefährlich dieses strahlende Inventar ist, zeigt sich, wenn es bei Unfällen wie in Tschernobyl oder Fukushima in die Umwelt gelangt. In beiden Fällen mussten zigtausende Menschen evakuiert werden, viele sind an den Langzeitfolgen gestorben. Die radioaktive Verseuchung hat ganze Landstriche für Jahrhunderte unbewohnbar gemacht. Die volkswirtschaftlichen Schäden sind unglaublich und belaufen sich auf hunderte Milliarden Euro. Versicherungsprofis haben den Schaden einer großen Atomkatastrophe mit bis zu sechs Billionen Euro beziffert. Risikoadäquate Haftpflichtprämien wären absolut unbezahlbar; ein derart abgesicherter Atomstrom würde bis zu 67 Euro pro Kilowattstunde kosten.
Dabei sind Tschernobyl und Fukushima nur die Spitze des Eisberges. Die Liste mit Unfällen, die zum Glück gerade noch nicht so dramatische Auswirkungen hatte, ist lang. 2001 kam es im deutschen AKW Brunsbüttel zu einer schweren Wasserstoffexplosion direkt am Reaktordruckbehälter, der aber zum Glück kaum beschädigt wurde. Und 2006 kam es im schwedischen AKW Forsmark zu einem Kurzschluss, bei dem der Reaktor für eine Weile nicht mehr steuerbar war.
Die militärische Bedeutung von Atomkraft
Rentabel ist Atomkraft also nicht, gefährlich für Mensch und Volkswirtschaft obendrein. Warum vor allem die beiden Großmächte Russland und China, aber auch Länder wie Frankreich, England, Iran oder Indien trotzdem weiter an Atomkraft festhalten? Das liegt vor allem an der militärischen und strategischen Bedeutung von Atomkraftwerken. Ursprünglich wurden Atomreaktoren erfunden, um Plutonium für Atomwaffen zu bekommen. Heute wird der Bombenstoff eher aus speziellen Reaktoren als aus Kraftwerken zur Stromgewinnung entnommen, aber der Zusammenhang AKW – Bombenstoff Plutonium besteht bis heute.
Auch das Know-how der Technik, Fachkräfte, Zulieferfirmen, der Besitz der Fabriken und vieles mehr ist von strategischer Bedeutung. Zivile und militärische Nutzung greifen dabei Hand in Hand. So wurde zum Beispiel in Großbritannien die Infrastruktur, die für den Neubau des Atomkraftwerkes Hinkley Point C benötigt und darüber finanziert wurde, auch zur Erneuerung von atomgetriebenen U-Booten genutzt. Und genauso wie atomare U-Boot-Antriebe, atomare Raketenantriebe oder neuartige hyperschallschnelle Atombomben sind auch Atomkraftwerke immer noch und immer wieder eine Demonstration von technischer Potenz und Überlegenheit.
Russland und China zum Beispiel bauen an kleinen schwimmfähigen Atomkraftwerken, die in entlegenen Regionen zum Einsatz kommen sollen. Russland hat den Prototyp auf der Akademik Lomonossow 2019 nach Sibirien zum Einsatz bringen lassen. Auch China plant schwimmende Atomkraftwerke, die an abgelegenen Inseln im südchinesischen Meer zum Einsatz kommen sollen.
Aus solchen Gründen wird es leider nicht so schnell zum weltweiten Atomausstieg kommen, wie wünschenswert wäre. Fakt bleibt aber: Atomkraft ist keine Lösung für die Klimakrise, sondern schafft weit mehr zusätzliche Probleme, als sie irgendwo lösen könnte. Seit seiner Gründung 1971 hat Greenpeace sich immer wieder gegen Atomwaffen und Atomkraft engagiert. Und solange Atomkraftwerke und Atombomben noch keine Geschichte sind, wird dieses Engagement nicht enden.