
Scheinlösung Kernfusion
- Ein Artikel von Michael Weiland
- Hintergrund
Ein technologischer Meilenstein, aber kein Modell für die Zukunft: Warum der gelungene Versuch der Kernfusion nicht die Probleme der Gegenwart löst.
Ende vergangenen Jahres verkündete das US-Energieministerium einen historischen Durchbruch: Erstmals gelang in einem Reaktor eine Kernfusion, bei der mehr Energie erzeugt wurde als für den Versuch aufgewendet wurde.
Die 3,5 Milliarden Dollar teure Anlage im kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory lieferte am 5. Dezember 2022 tatsächlich für einen ganz kurzen Augenblick 0,9 Kilowattstunden Energie. Eine Brennstoffkapsel mit den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium wurde dabei so stark komprimiert und erhitzt, dass eine Kernfusion stattfand. Hauptsächlich trat der Energieüberschuss in Form von schnellen Neutronen auf - die sind zur Stromerzeugung allerdings überhaupt nicht nutzbar. Um diese Ausbeute zu erreichen, mussten die Forscher:innen das Hundertfache an elektrischer Energie in die Anlage stecken – der Energiegewinn war also rein theoretischer Natur. Das Experiment an sich hat Energie geliefert, der Versuchsaufbau deutlich mehr gekostet.
Kernfusion ist Jahrzehnte von Marktreife entfernt
Der Applaus ist berechtigt – für die Forschungsleistung, Fusionsbedingungen in einem aufwendigen Versuchsaufbau zu realisieren. Die praktische Anwendung bleibt allerdings Zukunftsmusik – wenn sie denn überhaupt kommt. Das Verfahren ist eine denkbar ineffiziente, aufwändige und teure Art Energie zu erzeugen, das zudem bislang in einem rein experimentellen Rahmen stattfand. Was in Kalifornien erstmals gelungen ist, hat nichts zu tun mit Reaktoren, die Energie für Haushalte liefern könnten. Von einer solchen Form der Energieerzeugung sind wir selbst in den optimistischsten Szenarien Jahrzehnte entfernt.
Doch was passiert eigentlich bei der Kernfusion, und was ist der Unterschied zur Kernspaltung? Wie der Name sagt, entsteht die Energie bei der herkömmlichen Atomenergie durch das Spalten des Atomkerns, wodurch außerdem radioaktiver Abfall entsteht. Bei der Fusion kommen Laser zum Einsatz, mit deren Hilfe extrem hohe Temperaturen erzeugt werden – kleine Atomkerne werden damit zu größeren verschmolzen, es entsteht Energie. Mehr als hundert Millionen Grad Celsius wirken dabei für Nanosekunden auf den Brennstoff ein.
Die Energie der Sonne auf der Erde?
Immer wieder begegnet man dem Missverständnis, dass bei dem Vorgang die Prozesse in der Sonnen nachgebildet werden. Das stimmt so nicht, da in der Sonne Wasserstoff mit Wasserstoff fusioniert wird. Bei allen Versuchen in irdischen Laboren braucht man für die Fusion aber Tritium. Das ist überschwerer Wasserstoff, der radioaktiv ist und innerhalb von nur zwölf Jahren zerfällt. Darum ist Tritium auch extrem selten, auf der ganzen Erde gibt es nur wenige Kilogramm des Wasserstoff-Isotops. Der Versuchsreaktor ITER (für “International Thermonuclear Experimental Reactor”) in Südfrankreich würde alleine für den Startprozess bereits den gesamten Weltvorrat an Tritium benötigen.
Der Vergleich mit der Sonne hinkt schon enorm wegen der physikalischen Voraussetzungen. Wegen dem unterschiedlichen Fusionsprozess braucht man auf der Erde eine 10-fach höhere Temperatur als im Inneren der Sonne. Außerdem führt die starke Gravitation innerhalb des Sterns dort zu einer enormen Teilchendichte, die sich auf der Erde nicht ansatzweise realisieren lässt. Trotzdem fliegen Wasserstoffkerne Millionen Jahre aneinander vorbei, bis zufällig eine Fusion gelingt. Nur darum ist Leben auf der Erde möglich: Weil der Fusionsprozess so selten und schwierig ist, brennt die Sonne auf extremer Sparflamme; wären Kernreaktionen wahrscheinlicher, wäre sie längst in einem Feuerball verglüht – und hätte vorher die Erde in einem riesigen Feuerball verbrannt.
Erneuerbare sind die weit bessere Alternative
Dabei gibt es eine viel einfachere Technik, um die Energie der Sonne zu nutzen: die Solarenergie. Ein 1 Quadratmeter großes Solarpanel erzeugt im Jahr rund 200 Kilowattstunden Energie und kostet in der Anschaffung rund 100 Euro. Wir stellen derzeit in Deutschland und weltweit die Versorgung auf kostengünstige Erneuerbare Energien um. Die liefern unabhängig von autokratischen Staaten zuverlässig klimaneutralen Strom, effizienter als es technologische Heilsversprechen wie Kernfusionsreaktoren jemals könnten.
Auch wenn Kernfusion als saubere Energie gilt: Bis sie wirklich einen Beitrag zu den internationalen Klimazielen liefern kann, muss die Welt längst auf Erneuerbare Energien umgestellt haben. Anders gesagt: Bis aus Versuchsreaktoren tatsächlich Kraftwerke werden, brauchen wir sie längst nicht mehr, weil Wind- und Solaranlagen die Versorgung gewährleisten. Zumal die Sauberkeit der erzeugten Energie aus Kernfusion auch eher Behauptung als Tatsache ist: Durch die erzeugten schnellen Neutronen wird die Umgebung, auf die sie treffen, radioaktiv aktiviert. Zwar “nur” für bis zu hundert Jahre, dennoch hat auch diese Technologie ein Problem mit strahlendem Müll.
Kernfusion ist ein Nebenprodukt der Atomwaffenforschung
In der National Ignition Facility, der Einrichtung des Lawrence Livermore National Laboratory, in der das Experiment stattfand, befindet sich der stärkste Laser der Welt, beherbergt in einem Gebäude so groß wie ein Fußballstadion. Diese riesige Forschungseinrichtung dient nicht allein der Entwicklung von Kernfusionsreaktoren. Die Fähigkeit, eine winzige Deuterium-Tritium-Kugel für einen Sekundenbruchteil auf mehr als 100 Millionen Grad Celsius zu erhitzen, stellt Bedingungen her, wie sie im Inneren einer Atomwaffenexplosion herrschen - auch hier sind Kernfusionen möglich. Der Hintergrund der Experimente: So ist ein Abgleich von theoretischen Berechnungen mit im Versuch gemessenen Ergebnissen möglich. Damit können die Wissenschaftler:innen die Wirkweisen von Atombomben validieren, ohne tatsächlich Atombombentests durchführen zu müssen. Das ist ein Weg, Atomwaffen im Stillen weiterzuentwickeln.
Die Arbeit der Wissenschaftler:innen mit Hochleistungslasern im NIF zielt vor allem darauf, die Wirkweisen von Atomwaffen besser zu verstehen. Das ist insbesondere relevant, da die USA seit 1992 keine Atomwaffentests mehr durchführen. Dafür forschen sie nun mit Lasern und Supercomputern. Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie, sieht die Entwicklung solcher Anlagen kritisch: “Ich sehe schon eine Gefahr darin, statt der versprochenen Abrüstung von Atomwaffen so viel Geld und Aufwand in deren Weiterentwicklung zu stecken.”
Der Atomphysiker wünscht sich eine ehrlichere Berichterstattung zum Thema: “Würde tatsächlich ehrlich über die Fusionsexperimente berichtet, wäre schnell klar, wie sinnlos sie für Klimaschutz und Energieversorgung sind. Der militärische Hintergrund bleibt meist unerwähnt. Das ist gefährlich: Irgendwann ist dann vielleicht doch der Punkt erreicht, wo Interessenträger das Ergebnis dieser teuren und zeitaufwendigen Entwicklung auch anwenden wollen.”