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Ein Atomfass steht auf einer Wiese
© Bente Stachowske / Greenpeace

Wohin mit dem Atommüll? Die schwierige Suche nach einem Endlager

Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktivem Atommüll zeigt: Es ist nicht einfach, einen Platz für den gefährlichsten Müll der Menschheit zu finden. Seit 2017 sucht die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)  nach einem Endlager für radioaktiven Atommüll. Mittlerweile gibt es einen neuen Arbeitsstand bei der Suche. Der aktuelle Suchprozess für ein Atommüllendlager belegt, dass der Kampf der Zivilgesellschaft Früchte trägt. Aber auch: dass wir dranbleiben müssen. Für mehr Transparenz, echte Bürgerbeteiligung und die rigorose Verfolgung geologischer Sicherheit. Ein Artikel über Licht und Schatten des Standortauswahlgesetzes. 

2013 wurde reiner Tisch gemacht bei der Endlagersuche, der Prozess wurde neu aufgesetzt, alte Konzepte kamen vom Tisch. Seitdem wurde viel untersucht, viele Gebiete ausgeschlossen - als nennenswertestes Ergebnis kam auch der vorher jahrzehntelang favorisierte Standort Gorleben

Gesucht wird nichts Geringeres als der Ort, an dem der gefährlichste Müll der Menschheit  – hochradioaktiver Atommüll nämlich – für eine Million Jahre lang am sichersten verwahrt werden kann. Dass dieser Prozess kein einfacher ist, liegt auf der Hand. Dass er nach geologischen Kriterien geführt werden muss, und nicht nach politischen oder wahltaktischen, eigentlich auch. Aber das war in der Vergangenheit lange Zeit nicht der Fall. Denn 1977 wurde aus politischem Kalkül der Salzstock Gorleben als Endlager bestimmt. Trotz massiver Proteste, die sich auch auf wissenschaftliche Befunde stützen konnten, dass der Standort nicht geeignet ist, wurde über Jahrzehnte an ihm festgehalten. 

Der wissenschaftsbasierte Neustart der Suche war ein wichtiger Fortschritt, der vor allem  dem jahrzehntelangen Widerstand zu verdanken ist. Auch der Atomausstieg eröffnete die Debatte. Der offizielle Ausschluss des Salzstocks Gorleben im Jahr 2020 ist ein wichtiger Erfolg des zivilen Widerstands und ein klarer Beleg dafür, dass politische Entscheidungen nicht über geologische Fakten siegen dürfen. 

Denn: Das Vorgehen nach der "Weißen Landkarte" und der schrittweise Ausschluss ungeeigneter Gebiete mag langwierig und mühsam sein, aber es ist der richtige Ansatz. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen die Messlatte sein, um die geologisch besten und sichersten Standorte zu finden.

Infokasten: Wie findet man ein Endlager 

Die Endlagersuche für Atommüll in Deutschland

Text

Das Verfahren zur Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Deutschland ist im Standortauswahlgesetz (StandAG) geregelt. Das zentrale Ziel ist es, den sichersten Standort für die Lagerung des Mülls über eine Million Jahre zu finden. Das Verfahren ist wissenschaftsbasiert, transparent und beteiligungsorientiert angelegt und gliedert sich in mehrere Phasen.

 

Phase 1: Regionale Suche (Festlegung der Teilgebiete)

  • Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) identifizierte zunächst geologisch günstige Teilgebiete (z. B. auf Basis von Salz, Ton oder kristallinem Gestein), die als Wirtsgestein in Frage kommen.
  • Ausschlusskriterien (wie Erdbebengebiete oder junge Vulkane) und Mindestanforderungen wurden angewendet.
  • Dieser Schritt endete mit der Veröffentlichung des Zwischenberichts Teilgebiete (2020).
  • In einem zweiten Schritt werden die 90 im Jahr 2020 ermittelten Teilgebiete durch Repräsentative Vorläufige Sicherheitsuntersuchungen (rvSU) weiter eingeengt.
  • Ende 2027: soll der Vorschlag der Standortregionen für die übertägige Erkundung vorliegen. Das ist das finale Ergebnis von Phase 1 und soll nur noch 5 bis 10 Regionen umfassen.
  • Der Bundestag entscheidet über die Vorschläge der Standortregionen für die obertägige Erkundung

     

Phase 2: Oberirdische Erkundung

  • Danach erfolgt die oberirdische Erkundungen (z. B. seismische Messungen), um die geologischen Verhältnisse detaillierter zu prüfen.
  • Die Öffentlichkeit wird durch Fachkonferenzen und Regionalkonferenzen beteiligt.

     

Phase 3: Untertägige Erkundung und Standortentscheidung

  • Die vielversprechendsten Standorte werden in die untertägige Erkundung überführt. Es werden Erkundungsbergwerke errichtet, um die Gesteinsschichten direkt vor Ort zu untersuchen.
  • Am Ende wählt der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates den besten Standort aus.

Der gesamte Prozess soll jahrzehntelang dauern, um die größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, und sieht die Schaffung eines "lernenden Verfahrens" vor, bei dem Erkenntnisse kontinuierlich einfließen und Entscheidungen überprüfbar bleiben.

Dank des Atomausstiegs  ist jetzt auch klar, über welche Mengen an hochradioaktivem Atommüll wir reden: Es handelt sich um 27.000  Kubikmeter. Nur so kann ein Endlager überhaupt realistisch geplant und bemessen werden. Auch der Atomausstieg wurde übrigens durch die Proteste der Zivilgesellschaft erreicht.  

Der Schatten: Die Hauptkritikpunkte am Endlagersuchprozess

So gut es ist, dass (endlich) wissenschaftliche Fakten und Kriterien die Endlagersuche bestimmen, muss die Zivilgesellschaft trotzdem weiter aufpassen, damit politische Machtspiele und eine Scheinbeteiligung das Verfahren nicht aushöhlen. Unsere Kritikpunkte im Einzelnen:

  • Das Übergewicht der Staatsmacht:  Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist nicht auf Augenhöhe. Studien bestätigen die Instrumentalisierung der Beteiligung: Das Bundesamt (BASE) und die BGE dominieren das Verfahren. Es herrscht eine Asymmetrie der Macht. Bürgerinnen und Bürger können nicht auf Augenhöhe mitreden. Die Expertise der organisierten Zivilgesellschaft (die seit Jahrzehnten wachsam ist und zum Teil großes Wissen angehäuft hat) kann zu wenig einfließen. Die Rolle des zivilen Widerstands muss als demokratisches Korrektiv anerkannt, unabhängige Expertise gefördert und die junge Generation als Hauptbetroffene aktiver eingebunden werden.
  • Politische Einflussnahme:  Die Gefahr politischer Einflussnahme droht zurückzukehren. Die Festlegung der Standortregionen soll wieder durch den Bundestag erfolgen. Dies öffnet Tür und Tor für politischen Kuhhandel – die Angst vor einem "Markus Söder", der Bayern verkauft, ist real.
  • Rechte von Betroffenen werden beschnitten: Das Standortauswahlgesetz schränkt die Klagerechte für Betroffene im Planungsverfahren massiv ein. 
  • Geologie: Gorleben wurde vor allem wegen einer eiszeitlichen Erosionsrinne aussortiert – diese Gefahr gibt es aber für weite Teile Norddeutschlands, die von zukünftigen Eiszeiten mit tiefen glazialen Rinnen betroffen sein könnten. Die tiefen Glazialen Rinnen der Elster-Kaltzeit reichen bis weit in den Süden (von Rheine bis Leipzig). Regionen im gesamten Norddeutschen Tiefland müssen wegen der Gefahr zukünftiger Eiszeiten und der damit verbundenen Zerstörung der Deckgebirge grundsätzlich mit höchster Vorsicht beurteilt werden. Wenn die Langzeitsicherheit eine Million Jahre betragen soll, müssen auch zukünftige Eiszeiten berücksichtigt werden.
  • Das Tabu der Alternativen: Deutschland hält starr am teuren „Bergwerk-Prinzip“ fest und ignoriert Alternativen. Es gibt eine thematische Engführung. Das heißt, man konzentriert sich nur auf das tiefengeologische Endlager (Endlagerung per Definition). Es gibt aber auch die kostengünstigere Tiefe Bohrlochlagerung (DBD) –  Deep Borehole Disposal. Sie geht von einer Einlagerung in 3 bis 5 km Tiefe aus und bietet wegen der größeren Tiefe und potenziell besseren Isolation eigentlich eine höhere Langzeitsicherheit, vor allem gegen mobile radioaktive Stoffe wie Jod-129. Wir müssen alle Alternativen wie die DBD transparent mit der Öffentlichkeit diskutieren. Nur so kann eine wissenschaftlich und gesellschaftlich akzeptierte Lösung gefunden werden.

Zwischenlagerung, die tickende Zeitbombe: Die Suche dauert lange, und die Zwischenlager sind am Ende ihrer Lebensdauer. Die Castor-Behälter in den Zwischenlagern sind für 40 Jahre ausgelegt – diese Frist läuft in den 2030er Jahren aus. Ein Endlager steht aber erst Ende des Jahrhunderts zur Verfügung. Es braucht jetzt dringend ein Gesamtkonzept für die verlängerte Zwischenlagerung! Deswegen fordert Greenpeace auch, zuerst einmal neue Zwischenlager zu entwickeln und zu errichten. Ausgerichtet auf mindestens 100 Jahre, so stabil, dass sie Feuer und Flut, Erdbeben und Terrorangriffen standhalten können. Und mit einer sogenannten „Heißen Zelle“ ausgestattet, die ein Umverpacken des hochradioaktiven Mülls im Notfall ermöglicht. Das würde den notwendigen zeitlichen Spielraum verschaffen, um Fehlerkorrekturen bei der Endlagersuche vornehmen zu können. Damit wirklich ergebnisoffen gesucht und der bestmögliche Umgang mit den Jahrtausende tödlich strahlenden Abfällen gefunden werden kann. 

 

 

Staff Portrait of Heinz Smital in Germany
“Die Endlagersuche ist langwierig, aber alternativlos. Deutschland hat die Verpflichtung, seinen selbst erzeugten hochradioaktiven Atommüll auf dem eigenen Territorium sicher zu verwahren. Und zwar für den unvorstellbaren Zeitraum von einer Million Jahre. Weder Kriege noch zukünftige Naturgewalten dürfen zu Freisetzungen dieser hochgefährlichen Substanzen führen, und zwar über diesen gesamten gigantischen Zeitraum hinweg. Damit auch zukünftige Generationen und zukünftiges Leben nicht durch die kurze Nutzung der Atomkraft gefährdet werden.”

Heinz Smital

Atomexperte von Greenpeace

Staff Portrait of Heinz Smital in Germany
Zitat
“Die Endlagersuche ist langwierig, aber alternativlos. Deutschland hat die Verpflichtung, seinen selbst erzeugten hochradioaktiven Atommüll auf dem eigenen Territorium sicher zu verwahren. Und zwar für den unvorstellbaren Zeitraum von einer Million Jahre. Weder Kriege noch zukünftige Naturgewalten dürfen zu Freisetzungen dieser hochgefährlichen Substanzen führen, und zwar über diesen gesamten gigantischen Zeitraum hinweg. Damit auch zukünftige Generationen und zukünftiges Leben nicht durch die kurze Nutzung der Atomkraft gefährdet werden.”
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Chronik der deutschen Endlagersuche

Die Suche nach einem sicheren Lagerort für radioaktive Abfälle ist eine jahrzehntelange Geschichte, die von politischen Entscheidungen, Protesten und einem Neustart geprägt ist.

Die Ära vor dem Neustart

  • 1977: Die Erkundung des Salzstocks Gorleben (Niedersachsen) beginnt. Gorleben wird als möglicher Standort für alle Arten von Atommüll (inklusive hochradioaktiver Abfälle) bestimmt.
  • 1979: Der "Gorleben-Report" und starke lokale Proteste zeigen von Anfang an die mangelnde Akzeptanz des standortpolitischen Vorgehens.
  • 1983: Das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad (Niedersachsen) wird als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle vorgeschlagen und später genehmigt (die Umrüstung läuft noch).
  • 1993: Das stillgelegte Salzbergwerk Asse II (Niedersachsen), in dem schwach- und mittelradioaktiver Müll eingelagert wurde, muss wegen eindringenden Wassers und dem Risiko einer unkontrollierbaren Kontamination geräumt werden (Beginn der Planungen zur Rückholung).
  • 2000: Die rot-grüne Bundesregierung verhängt einen Moratorium (Erkundungsstopp) für Gorleben, um eine Grundlagenprüfung durchzuführen.

Der Neustart des Verfahrens

  • 2013: Das Standortauswahlgesetz (StandAG) tritt in Kraft. Damit wird das bisherige Verfahren beendet und eine weiße Landkarte als Ausgangspunkt festgelegt. Die Suche soll transparent, wissenschaftsbasiert und ohne Vorfestlegung beginnen.
  • 2017: Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) übernimmt die Aufgabe als Suchbehörde.
  • September 2020: Die BGE veröffentlicht den Zwischenbericht Teilgebiete. Darin werden 90 Regionen in ganz Deutschland ausgewiesen, die aufgrund ihrer Geologie (Salz, Ton oder Kristallin) grundsätzlich als Wirtsgestein in Frage kommen. Gorleben wird in diesem Bericht ausgeschlossen, da die geologischen Kriterien nicht erfüllt sind.
  • 2020 – 2021: Die Fachkonferenz Teilgebiete findet statt.  90 im Jahr 2020 ermittelten Teilgebiete werden durch Repräsentative Vorläufige Sicherheitsuntersuchungen (rvSU) weiter eingeengt. Ziel ist Ende 2027 5-10 Standortregionen ausgewählt zu haben, die der Bundestag per Gesetz beschließt.
  • Geplant: Ende 2027 Das Verfahren tritt in die zweite Phase (oberirdische Erkundung) ein. Die BGE arbeitet am Bericht, in dem die Teilgebiete zu engeren Standortregionen eingegrenzt werden sollen, welche dann oberirdisch erkundet werden.

 

 

Endlagerung radio- und chemotoxischer Abfälle im Tiefuntergrund

Endlagerung radio- und chemotoxischer Abfälle im Tiefuntergrund

Anzahl Seiten: 59

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