Raus aus der Kohle
„Das ist Verrat!“ – diesen Vorwurf richtet Lisa Göldner von Greenpeace an die Bundesregierung und er ist buchstäblich so gemeint. Denn ein breiter Teil der Zivilgesellschaft darunter Greenpeace, die Wirtschaft und die Politik hatten monatelang über die Bedingungen des deutschen Kohleausstiegs verhandelt. Begleitet von Tausenden Menschen auf der Straße, die wirksamen Klimaschutz forderten. Herausgekommen ist Anfang 2019 der Kohlekompromiss, den Greenpeace zähneknirschend mitgetragen hatte.
Insbesondere das späte Abschalten der letzten Kohlemeiler erst im Jahr 2038 sorgte für Missmut. Auf der Habenseite des Kompromisses stand allerdings der schnelle Einstieg in einen schrittweisen Kohleausstieg. Doch lange geschah nichts. Mit fast eineinhalb Jahren Verzögerung will die Bundesregierung mit dem Kohleausstiegsgesetz nun endlich festlegen, wie der Fahrplan für das Ende der Kohleverstromung in Deutschland aussehen soll.
Klimaexpertin Göldner macht das wütend. Nicht nur, weil wertvolle Zeit ungenutzt verstrichen ist. Denn die Bundesregierung hält sich nicht an ihre Zusage, den Kohlekompromiss eins zu eins umzusetzen. So wird der vorliegende Gesetzesentwurf weder den Herausforderungen der Klimakrise gerecht, noch dem Kohlekompromiss:
1. Das Kohleausstiegsgesetz ist unvereinbar mit den Pariser Klimaschutzzielen
Die Juristin Dr. Roda Verheyen analysierte im Auftrag von Greenpeace den Gesetzentwurf.Hinter ihrer berufsbedingt sachlichen Argumentation klingen unüberhörbar Vorwürfe und Enttäuschung durch: Deutschland erfülle seine Pflichten nicht, die sich aus dem völkerrechtlich verbindlichen Pariser Klimaschutzabkommen ergeben.
Welche Größenordnungen zwischen dem Geplanten und dem Notwendigen liegen, zeigt etwa die Braunkohleverstromung in Nordrhein-Westfalen. Die Kraftwerke, die aus den Tagebauen Garzweiler II und Hambach mit Kohle versorgt werden, dürfen laut Gesetzentwurf gut doppelt so viel Kohle verfeuern als mit den Pariser Klimaschutzzielen vereinbar wäre. Weitere fünf Dörfer sollen Tagebauerweiterungen weichen.
Würde sich die Bundesregierung ernsthaft am 1,5-Grad-Ziel von Paris orientieren, dürften die Tagebaue nicht vergrößert und kein einziges Dorf mehr abgebaggert werden.
2. Keine neuen Kohlekraftwerke – Datteln 4 geht trotzdem ans Netz
Das geplante Kohleausstiegsgesetz verbietet es, Kohlekraftwerke neu in Betrieb zu nehmen. Ausnahme: das bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Steinkohlekraftwerk Datteln 4. Hier hatte die Kohlekommission eine „Verhandlungslösung“ empfohlen. Damit war gemeint: Betreiber Uniper verzichtet gegen Zahlung einer Entschädigung darauf, Datteln 4 ans Netz gehen zu lassen. Die Verhandlungen platzen jedoch und am 30. Mai nahm der Meiler seinen kommerziellen Betrieb auf.
3. Kohlemeiler laufen weiter, Windkraft bricht ein
Bis zum Jahr 2022 sollten nach dem Kohlekompromiss schrittweise sieben Kraftwerksblöcke vom Netz gehen, die ersten noch 2019. Abgeschaltet wurde bislang kein einziger Meiler, abgesehen von einem unbedeutenden mit nicht nennenswerten Kapazitäten.
Der Ausbau der Windkraft hingegen ist nahezu zum Erliegen gekommen. Schuld daran sind unter anderem immer kompliziertere Genehmigungsverfahren. Zudem hatten CDU und CSU verschärfte Abstandsregeln angestrebt. Danach wäre es sogar an vielen Orten unmöglich geworden, ältere Windräder durch neue zu ersetzen. An der Stelle nahe der Ortschaft Datteln, an dem Uniper das Kohlekraftwerk Datteln 4 mit seinen Ultrafeinstaub- und Quecksilberemissionen betreibt, dürfte nach diesen Abstandsregeln ein Windrad gar nicht stehen.
Diese Abstandsregeln sind in der aktuellen Fassung des Kohlegesetzes vom Tisch und jedes Bundesland kann selbst entscheiden, ob Windräder mit 1000 Metern oder auch weniger Abstand von Wohnsiedlungen stehen dürfen.
Deutschland beim Kohleausstieg Schlusslicht Westeuropas
„Deutschland gehört mit seinen halbherzigen Kohleausstiegsplänen zu den europäischen Ländern mit den geringsten Klimaschutzambitionen“ erklärt Göldner. Andere Länder seien da schon weiter: Frankreich, Schweden, Großbritannien, Italien und Österreich würden deutlich früher, nämlich zwischen 2022 und 2025, ihre letzten Kohlekraftwerke abschalten. „Wir lassen den Wortbruch nicht auf uns sitzen“, gibt sich Göldner kämpferisch. „Es steht zu viel auf dem Spiel. Kohle ist der Klimakiller Nummer Eins. Nur, wenn wir jetzt handeln, können wir die Erderhitzung bei 1,5 Grad stabilisieren und die Klimakatastrophe abwenden.“
Eine Chance, die Wirtschaft grüner zu gestalten, bietet auch das aufgrund der Corona-Krise zu schnürende Konjunkturprogramm. Dafür hätte die Bundesregierung auch die Unterstützung der Bevölkerung.