
Klimakrise: Nie gehört!
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Das Klimaschutzgesetz war die größte klimapolitische Errungenschaft der SPD. Nun hat Olaf Scholz’ Regierung es brutal zurechtgestutzt. Die angebliche Fortschrittskoalition wirft den Klimaschutz zurück.
Als promovierte Physikerin neigt Brigitte Knopf nicht zum dramatischen Auftritt. Und so lässt die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats Klimafragen die vermeintlich grandiose Konstruktion der Ampel beim Klimaschutz in einer recht nüchternen Bemerkung einstürzen. “Kein einziger der unterschiedlichen Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft oder Landwirtschaft hätte beim Klimaschutz künftig etwas zu verteilen”, sagt sie Mitte April, als der Expert:innenrat seinen Bericht zu den deutschen Treibhausgas-Emissionen 2022 vorstellt. Die vor allem von der FDP propagierte Idee, manche Sektoren könnten bis 2030 mehr CO2 als geplant einsparen und so weit zurückliegenden Sektoren wie dem Verkehr aushelfen, sie wird nicht aufgehen.

© Verena Brüning / Greenpeace
Aktion an der Kanalmauer vorm Reichstagsgebäude am 22.9.2023.
Trotzdem klammern die Koalitionäre sich mit dem überarbeiteten Klimaschutzgesetz (KSG) genau an diese Hoffnung, wenn das Klimaschutzgesetz heute im Parlament zur Debatte steht. Am Morgen protestierten Greenpeace-Aktivist:innen gegen die vom Kabinett eingebrachte Verwässerung des ursprünglichen Klimaschutzgesetzes. Mit ökologisch unbedenklicher Kreideleimfarbe pinselten die Klimaschützer:innen in riesigen weißen Lettern den Schriftzug „Klimaschutzgesetz“ an die Kanalmauer unterhalb des Reichstagsgebäudes - wie das, was der Begriff bezeichnet, scheinen die Buchstaben im Wasser zu versinken.
Sie sieht vor, die bislang verbindlichen Ziele im Klimaschutz für Bereiche wie Verkehr, Industrie oder Gebäude zu streichen und statt wie bisher jährlich nur alle zwei Jahre nachzusteuern, wenn CO2-Ziele nicht erreicht werden. „Die ökologische Modernisierung des Landes hängt schon jetzt weit zurück, aber mit diesem Gesetz würde die Ampel dringend nötigen Klimaschutz noch weiter hinauszögern“, sagt Greenpeace-Sprecher Thilo Maack. „Das Parlament kann jetzt dafür sorgen, dass etwa der Verkehrsminister handeln muss, wenn die Klimaziele im Verkehr weiter verpasst werden. Und Ministerien müssen zügig handeln, denn die Klimakrise drängt. Nur so kann verhindert werden, dass dieses Gesetz die Klimaziele versenkt.“
Schon im Sommer, als das Kabinett über das neue Gesetz abstimmte, protestierten Greenpeace-Aktive vor der Tür des Kanzleramts mit drei zwei Meter großen Affen unter einem großen “Klimakrise”-Banner gegen das schwache Gesetz. Die Kritik ist bis heute die gleiche.
KSG zu schwach

© Verena Brüning / Greenpeace
Die drei Affen am 21.6.2023 in Berlin.
In Anlehnung an "nichts sehen", "nichts hören"," nichts sagen" ist jeder der drei Affen einer der Koalitionäre zugeordnet. Dem SPD-Affe verdeckt ein “Augen zu und Kanzler sein” die Sicht. Schließlich hat ausgerechnet der selbsterklärte Klimakanzler Olaf Scholz ermöglicht, dass die größte klimapolitische Errungenschaft seiner Partei entkernt wird. Die verbindlichen Jahresziele der einzelnen Sektoren werden abgeschafft. Statt den lange dokumentierten Rückstand etwa des Verkehrs beim Klimaschutz durch schnell umsetzbare Maßnahmen zu verkürzen, soll die Zielverfehlung jetzt erst in zwei aufeinanderfolgenden Jahren dokumentiert werden, bevor weiteres unternommen wird. Das bedeutet womöglich, dass Olaf Scholz’ Regierung in dieser Legislatur keinerlei weitere Schritte beim Klimaschutz unternimmt. Obwohl selbst nach offiziellen Zahlen bis zum Jahr 2030 etwa 200 Millionen Tonnen CO2 zu viel ausgestoßen werden – etwa ein Viertel dessen, was Deutschland derzeit in einem Jahr verursacht.
“Nie gehört!” steckt in den Ohren des FDP-Primaten. Von der Klimakrise und den nötigen Reaktionen darauf, scheinen die Liberalen nichts wissen zu wollen. Vom Ausstieg aus dem klimaschädlichen Verbrenner bis zum Abbau umweltschädlicher Subventionen – bei nahezu jedem klimarelevanten politischen Projekt stellt die FDP sich quer. Eigene Antworten, wie der CO2-Ausstoß schnell genug gesenkt werden kann, bleibt die Partei dabei schuldig. Der traditionelle FDP-Glaube an die regelnde Kraft des Markts ist ihnen selbst abhandengekommen. Als die Spritpreise nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine im vergangenen Jahr durch die Decke gingen, war es die FDP, die auf einen Tankrabatt drang. Auch das zweite FDP-Mantra, die regelmäßig beschworene “Technologieoffenheit”, ist eine gefährliche Nebelkerze. Es suggeriert einfache Lösungen, etwa bei der Diskussion über E-Fuels, die auch auf Dauer nicht in größeren Mengen und wenn, dann nur sehr teuer zu haben sein werden. Das führt zu Fehlinvestitionen und bremst Klimaschutz aus. Damit spielt die FDP die Risiken der Klimakrise herunter, statt aus ihrer langjährigen Klientelpolitik eine moderne Definition von Freiheit zu entwickeln.
Die Grünen wiederum haben viel geredet, aber zu wenig erreicht, wie es ein Schild über dem Mund des dritten Affen ausdrückt. Die Partei kann ihr Versprechen, die Klimaschutzziele einzuhalten, nicht halten, weil sie bei zu vielen Themen einknickt. Das begann bereits in ersten Verhandlungen zwischen den Ampel-Parteien. Das Verkehrskapitel im Koalitionsvertrag etwa enthielt keinerlei wirksame Klimamaßnahmen und bis heute halten die Grünen sich im Verkehr, dem Sorgenkind beim Klimaschutz, weitgehend zurück. Den früh angekündigten Dialogprozess zur Verkehrsinfrastruktur etwa überlassen sie vollständig der FDP. Auch die jetzt in der Ampel beschlossene Schwächung des Klimaschutzgesetzes deutete sich bereits im Koalitionsvertrag an, also mit grüner Zustimmung. Die Liste lässt sich fortsetzen.
“Die Ampel hat Fortschritt versprochen, aber mit diesem Gesetz wirft sie den Klimaschutz zurück”, kommentiert Greenpeace-Klimaexperte Benjamin Stephan das neue Klimaschutzgesetz. “Olaf Scholz' Regierung schafft es nicht, die eigenen Klimaziele einzuhalten und das liegt maßgeblich am Verkehr. Doch ausgerechnet der FDP-Verkehrsminister soll sich jetzt zurücklehnen dürfen. Das ist eine Farce. Wir brauchen jetzt wirksame Maßnahmen, um die Menschen vor der Klimakrise zu schützen.”