“Landwirtschaftsminister Alois Rainer erstickt alle Bestrebungen für mehr Tierwohl im Keim”
- Ein Artikel von Nina Klöckner
- mitwirkende Expert:innen Anne Hamester & Matthias Lambrecht
- Im Gespräch
Der neue Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) räumt die wenigen Errungenschaften der vergangenen Legislaturperiode ab. Greenpeace-Landwirtschaftsexpert:innen Anne Hamester und Matthias Lambrecht über die Rolle rückwärts in der Agrarpolitik.
Greenpeace: Als Alois Rainer im Mai sein Amt als Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft antrat, war die Hoffnung vermutlich nicht besonders groß, dass er die Landwirtschaft nachhaltig weiterentwickelt. Hat er die Erwartungen erfüllt? Oder ist es noch schlimmer gekommen?
© Chris Grodotzki / Greenpeace
Matthias Lambrecht hat in Hamburg Volkswirtschaftslehre studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht. Bei Greenpeace arbeitet er als Experte für Landwirtschaft.
Matthias Lambrecht: Es ist leider noch schlimmer gekommen, als wir befürchtet haben. In den Jahren der Ampel-Regierung hatten wir mit Cem Özdemir (Die Grünen) immerhin einen Bundeslandwirtschaftsminister, der viele Herausforderungen auf dem Weg zu einer zukunftsgerechten Landwirtschaft richtig benannt hat. Ihm fehlte aber die politische Kraft und Konfliktbereitschaft, um nennenswerte Verbesserungen zu erreichen – wie etwa mit einer Mehrwertsteuerbefreiung für pflanzliche Lebensmittel, Anreize für klimaverträglichen Konsum zu setzen.
Aus landwirtschaftlicher Sicht waren also schon die Ampel-Jahre drei verlorene Jahre. Was droht mit dem CSU-Landwirtschaftsminister?
Matthias Lambrecht: Özdemirs Nachfolger Alois Rainer (CSU), der von seinem Parteivorsitzenden Markus Söder als “Schwarzer Metzger” ins Amt eingeführt wurde, räumt die wenigen Errungenschaften der vergangenen Legislaturperiode ab und lässt sich dabei eher von parteipolitischen und kurzsichtigen Wirtschaftsinteressen leiten, als von wissenschaftlichen Fakten.
Welche wissenschaftlichen Fakten beachtet der amtierende Landwirtschaftsminister nicht?
Matthias Lambrecht: Rainer leugnet den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Klimakrise. Dabei ist die industrielle Tierhaltung nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für rund 15 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Der Weltklimarat IPCC beziffert den Anteil des Ernährungssystems an den insgesamt von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf bis zu 37 Prozent. Dazu trägt die Nutztierhaltung wesentlich bei – und zwar nicht nur durch das von Rindern und anderen Wiederkäuern ausgestoßene, hochwirksame Klimagas Methan, sondern auch durch den massiven Einsatz von Düngemitteln beim Futtermittelanbau, die Rodung des Regenwalds oder Trockenlegung von Feuchtgebieten.
Welche Folgen kann das haben?
Matthias Lambrecht: Deutschland kann das gesetzlich vorgegebene Ziel der Klimaneutralität bis 2045 nur erreichen, wenn die Zahl der Tiere in der Landwirtschaft mindestens halbiert wird. Ein Minister, der diese wesentlichen Zusammenhänge bestreitet und untätig bleibt, trägt dazu bei, dass die Erderwärmung weiter angeheizt wird. Damit erhöht er die Risiken für die landwirtschaftliche Erzeugung und gefährdet die sichere Versorgung mit Lebensmitteln und unseren Wohlstand. Denn schon jetzt kämpfen Bäuer:innen mit Wetterextremen wie Dürre oder Überschwemmungen.
Zuletzt hat der Minister gleich mehrere Rollen rückwärts gemacht. Was ist passiert?
Matthias Lambrecht: Die Vorgängerregierung hatte nach Jahrzehnten eines von der CDU/CSU besetzten Landwirtschaftsministeriums endlich eine Reform des Tierschutzgesetzes erarbeitet. Deutschland verstößt seit Jahren gegen geltendes EU-Tierschutzgesetz, indem es beispielsweise das verbotene routinemäßige Kupieren von Ringelschwänzen als Ausnahmeregelung zulässt. Die Novelle sah ein Ende der ganzjährigen Anbindehaltung, ein Ende von betäubungslosen Verstümmelungen, eine praktisch umsetzbare Definition der verbotenen Qualzucht sowie strengere Kontrollen in Schlachthöfen und Tierkörperbeseitigungsanlagen vor. Die neue Bundesregierung hat diese Novelle vollständig abgeräumt und lässt die weitreichenden Tierschutzprobleme bestehen. Auch der 2024 gestartete Versuch, die Mindestanforderungen bei der Haltung von Puten und Rindern einzuführen, wurde von der neuen Bundesregierung schnell beendet. Die dringend notwendige Reduktion der Tierzahlen hätte durch klare gesetzliche Regeln zum Vermeiden von Überdüngung und flächengebundene Tierhaltung weiter vorangetrieben werden müssen – zum Schutz von Tieren, Umwelt und Klima.
Alois Rainer hat auch die eingeführte Stoffstrombilanzverodnung kassiert, die Überdüngung verhindern sollte, indem Landwirt:innen dokumentieren, wie viel Gülle und Dünger sie auf ihre Felder ausbringen. Drohnen nur wieder Strafzahlungen in Millionenhöhe?
Matthias Lambrecht: Ja, dieses Risiko besteht durchaus. Schon in der Vergangenheit hat die Bundesregierung jahrelang mit einer viel zu schwachen Düngeverordnung die europäische Nitratrichtlinie verletzt – und damit ein Vertragsverletzungsverfahren sowie Strafandrohungen aus Brüssel provoziert. Dass die Stoffstrombilanzverordnung jetzt wieder kassiert wurde, verschärft die Lage zusätzlich. Diese Regelung hätte wenigstens Transparenz geschaffen. Denn die Betriebe hätten offenlegen müssen, wie viel Dünger und Gülle tatsächlich auf die Felder gelangt. Ohne eine solche Kontrolle ist weder nachvollziehbar, wie groß die Nährstoffüberschüsse und wer die Verursacher der Überdüngung sind, noch lassen sich wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland erneut gegen EU-Recht verstößt – und dass die Steuerzahler:innen am Ende für hohe Strafzahlungen aufkommen müssen. Unabhängig von möglichen Strafzahlungen spitzt sich das Nitratproblem in unseren Gewässern und im Grundwasser weiter zu und verteuert unsere Trinkwasserversorgung. Mit dieser Deregulierung gefährdet die Bundesregierung unsere wichtigsten Lebensgrundlagen. Die Beispiele für diesen Rollback lassen sich beliebig fortsetzen: bei Gentechnik, Pflanzenschutzmitteln oder der Entwaldung.
Bundesregierung zu mehr Gewässerschutz verurteilt
Update vom 08.10.2025
Das Bundeslandwirtschaftsministerium muss ein Aktionsprogramm zum Schutz der Gewässer vor Nitrat aufsetzen, urteilte das Bundesverwaltungsgericht heute in Leipzig. Bereits seit dem Jahr 2017 hinkt Deutschland den Anforderungen des Düngegesetzes hinterher und lässt solch ein Aktionsprogramm missen. Geklagt hatte die Deutschen Umwelthilfe (DUH).
Auf Linkedin kommentiert Anne Hamester, Expertin für nachhaltige Landwirtschaft bei Greenpeace: "Es ist amtlich: Die geltende deutsche Düngeverordnung (DüV) reicht nicht aus, um die EU-Vorgaben einzuhalten und unsere Trinkwasserressourcen zu schützen. Jahrelanges politisches Verzögern hat dazu geführt, dass an jeder vierten Messstelle die Nitratgrenzwerte überschritten sind (dem deutschen Nitratbericht 2024 zufolge in den Jahren 2020, 2021 und 2022). Das gefährdet die Gesundheit und verursacht enorme Kosten bei den Wasserwerken." Ganzen Beitrag auf LinkedIn lesen
Anne, du bist auf einem Bauernhof aufgewachsen, hast Agrarwissenschaft studiert. Als die Agrardieselsubvention von der Ampel-Regierung gestrichen wurde, protestierten viele Landwirt:innen. Jetzt wird sie wieder eingeführt. Das kostet den Bund rund 430 Millionen Euro. Sind die landwirtschaftlichen Betriebe wirklich auf das Geld angewiesen?
© Daniel Müller / Greenpeace
Anne Hamester, Agrarwissenschaftlerin und Expertin für Landwirtschaft bei Greenpeace
Anne Hamester: Die Agrardieselsubvention klingt nach viel – 430 Millionen Euro im Jahr. Aber heruntergebrochen auf die einzelnen Betriebe waren das im Schnitt nur etwa 3.000 Euro. Große Agrarbetriebe mit riesigen Maschinenparks bekamen deutlich mehr, kleine Familienhöfe dagegen viel weniger. Diese umwelt- und klimaschädliche Subvention jetzt wieder einzuführen, setzt völlig das falsche Signal. Zum einen ist sie weder gerecht noch zukunftsfähig: Belohnt wird allein, wer viel Diesel verbraucht. Davon profitieren nicht die Höfe, die Unterstützung am dringendsten brauchen, und schon gar nicht das Klima. Zum anderen ist die Rückkehr zur Subvention vor allem ein Wahlgeschenk an den Bauernverband, der die teils überzogenen Bauernproteste nun als Erfolg verbuchen kann.
Was wird aus der staatlichen Haltungskennzeichnung, die eigentlich im August 2025 für Schweinefleischprodukte gelten sollte?
Matthias Lambrecht: Eine große Mehrheit der Bundesbürger:innen fordert eine verpflichtende staatliche Kennzeichnung für alle Fleisch- und Milchprodukte, in den Supermärkten ebenso wie in der Gastronomie. Sie wollen keine Lebensmittel konsumieren, für die Tiere leiden müssen. Doch statt diesen Wunsch der Bürger:innen umzusetzen, hat Rainer mit Unterstützung unionsregierter Bundesländer im Bundesrat das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz aufgeschoben. Das sollte im August 2025 in Kraft treten und sah nur erste Schritte auf dem Weg zu einer umfassenden Kennzeichnung vor. Jetzt soll das Gesetz bis März kommenden Jahres überarbeitet werden. Und die ersten Entwürfe, die aus dem Ministerium an die Öffentlichkeit dringen, lassen befürchten, dass dabei die Vorgaben deutlich abgeschwächt werden sollen.
Eigentlich waren sich beim Thema Kennzeichnung doch alle einig, die Verbraucher:innen, Landwirt:innen, der Lebensmitteleinzelhandel und die Politik? Warum stellt der Minister das ohne Not plötzlich alles wieder in Frage? Was steckt da dahinter?
Anne Hamester: Es gab in den vergangenen Jahren einen Schulterschluss zwischen den oben benannten Akteuren – alle hatten das Problem erkannt: Die heutige Form der industriellen Nutztierhaltung ist mit Blick auf Tierleid und Umweltprobleme nicht mehr haltbar und muss weitreichend umgebaut werden. Im ersten Schritt sollte die Kennzeichnung Transparenz über Tierhaltungsformen herstellen. Im zweiten Schritt sollten die artgerechteren Haltungsformen ausgebaut werden, mit Erleichterungen für den Umbau der Ställe, Förderung für Landwirt:innen beim Stallumbau und einer verursachergerechten Steuerreform, die etwa über eine Tierwohlabgabe oder die Streichung der ermäßigten Mehrwertsteuer auf Fleisch- und Milchprodukte eine faire Finanzierung der Fördermittel ermöglicht. Die Union will die industrielle Tierhaltung jedoch erhalten. Dazu passt, dass Alois Rainer auch gleich noch die staatliche Förderung für Landwirt:innen gestrichen hat, die in Stallumbauten für mehr Tierwohl investieren.
Lässt sich diese Rolle rückwärts irgendwie noch aufhalten?
Matthias Lambrecht: Leider gibt es wenig Anzeichen, dass der Bundesminister und die Landesminister der CDU/CSU ihren derzeit offenkundig ideologiegetriebenen Kurs verlassen. In der Bundesregierung müssen wir deshalb vorerst darauf setzen, dass der Koalitionspartner SPD sich weiter für eine verantwortungsvolle und zukunftsgerechte Agrar- und Ernährungspolitik stark macht. Die Fraktion hat sich klar zu einer umfassenden Kennzeichnung bekannt. Wir erwarten, dass die SPD Wort hält.
Wenn das nicht gelingt: Was bedeutet das für die Landwirt:innen, die sich auf den Weg gemacht haben, die Tierhaltung zu verbessern?
Anne Hamester: Ohne politische Rahmenbedingungen ist die gesellschaftlich gewünschte Verbesserung der Tierhaltung von den Betrieben nicht zu stemmen. Die Landwirt:innen brauchen Unterstützung für die Umstellung. Seit zehn Jahren warten sie auf den politischen Rückenwind. Indem der Minister die Förderung gestrichen hat, die die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hatte, macht er Investitionspläne zunichte und straft damit die Vorreiter der Branche ab.
Der Minister verschafft so der industriellen Tierhaltung einen Wettbewerbsvorteil, die mit massenhaft Billigfleisch ohne Rücksicht auf Tierwohl oder Klimaschutz weiter ordentliche Gewinne auf Kosten der Gesellschaft einfahren kann. Denn für die ökologischen Folgen, die Klimaschäden und die Belastungen durch den gesundheitsschädlichen Überkonsum von Fleisch zahlen wir alle einen hohen Preis – das hat Greenpeace mit einer Studie gezeigt. So entstehen allein in Deutschland der Gesellschaft jährlich gut 37 Milliarden Euro an Umwelt- und Gesundheitskosten.
Das wird nicht zu mehr Tierwohl bei der Erzeugung von Fleisch- und Milchprodukten führen, oder?
Anne Hamester: Führen wir uns noch einmal vor Augen, unter welchen Bedingungen heute in der industriellen Tierhaltung jährlich mehr als 700 Millionen Tiere allein in Deutschland leiden. Tierschutzwidrige Haltung – Betonbuchten, Spaltenböden, kein Tageslicht, keine Beschäftigung – Amputationen an Schnäbeln, Ringelschwänzchen und Hörnern als Haltungsanpassung, Qualzucht und Krankheiten. Tierschutz hat in Deutschland Verfassungsrang! Die Politik ist in der Pflicht, diese Zustände abzustellen. Rainer erstickt aktuell alle Bestrebungen für mehr Tierwohl bereits im Keim.
Welche Auswirkungen hat das für die Verbraucher:innen?
Anne Hamester: Für Verbraucher:innen verbessert sich in puncto Transparenz und Verfügbarkeit artgerechter Haltungsbedingungen nichts, wenn Minister Rainer seine Pläne durchzieht. Für sie bleibt im Supermarkt das freiwillige Haltungsform-Label des Handels, welches die großen Lebensmitteleinzelhändler auch aufgrund unserer jahrelangen Arbeit zu diesem Thema eingeführt haben.
Was können Verbraucher:innen tun, um zu zeigen, dass sie bei tierischen Lebensmitteln Transparenz erwarten?
Matthias Lambrecht: Eine bessere Haltung mit weniger Tieren in der Landwirtschaft, die die planetaren Grenzen respektiert, wird es nur geben, wenn wir mit unseren Konsumentscheidungen dazu beitragen. Es braucht klare politische Vorgaben und Unternehmen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Aber es braucht auch Verbraucher:innen, die beim Einkauf aufs Tierwohl und eine umwelt- und klimaverträgliche Erzeugung der Lebensmittel achten. Die nachfragen, wenn Missstände bei der Tierhaltung durch fehlende Kennzeichnung verschleiert werden sollen - an der Frischetheke im Supermarkt ebenso wie beim Bestellen im Restaurant. Und die auch bereit sind, für Fleisch und Milchprodukte aus besserer Haltung, die mehr Aufwand bedeutet, faire Preise zu bezahlen. Wenn man zugleich mehr klimaverträgliche pflanzliche Lebensmittel konsumiert, kann das auch noch gesünder sein - und muss unterm Strich nicht mehr kosten.