Fleischindustrie setzt weiter auf Billigfleisch
- mitwirkende Expert:innen Lasse van Aken
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Die Fleischindustrie macht weiter wie gehabt, setzt auf Masse statt Klasse und Billigfleischangebote, um den Verzehr anzukurbeln. Dabei muss sich die Branche massiv verändern, wenn sie zukunftsfähig sein will. Das fordern auch Greenpeace-Aktive zum Auftakt des Fleischkongresses in Mainz.
Entsetzliche Fotos aus Tierställen, gekippte Badeseen durch überdüngte Felder, schreckliche Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen – und dann noch die ganzen Emissionen wie gesundheitsschädliches Ammoniak oder klimaschädliches Treibhausgas. Der Appetit aufs Fleisch lässt nach. Denn Konsument:innen treffen heutzutage bewusstere Entscheidungen – was die künftige Entwicklung des Fleischmarktes fundamental prägen wird.
Seit 1980 ist der Fleischkonsum in Deutschland stark rückläufig: Während er 1987 noch bei 100 kg pro Person lag, 2019 bei knapp unter 60 kg, erreichte er 2022 mit 52,7 kg pro Person den bisherigen Tiefstand. Im Jahr 2024 stieg der Verzehr leicht auf 53,2 kg – vor allem der von Geflügel. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich die Nachfrage nach Fleisch wieder massiv erhöhen wird.
Fleischindustrie verdient auf Kosten der Bevölkerung
Die Fleischindustrie jedoch tut so, als gäbe es diese langfristige Entwicklung nicht. Unbeirrt setzt sie auf billig produziertes Fleisch, das sie zu Dumpingpreisen auf den Markt wirft. So schlachtete die Fleischbranche im Jahr 2024 rund 742 Millionen Tiere. 48,7 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde sowie 693,3 Millionen Hühner, Puten und Enten. Ihr Umsatz liegt jährlich bei 49 Milliarden Euro.
„Die Riege um den größten Schlacht-Konzern Tönnies und die Milliardärsfamilie Wesjohann bereichert sich Jahr für Jahr am Geschäft mit Billigfleisch.“
Die Fleischproduktion ist für fast ein Fünftel der weltweiten Treibhausgase verantwortlich und einer der größten Naturzerstörer. Dadurch entstehen in Deutschland jährlich rund 21 Milliarden Euro Kosten durch Umwelt- und Klimaschäden. Hinzu kommen Gesundheitskosten in Höhe von gut 16 Milliarden Euro durch den übermäßigen Konsum von rotem Fleisch, Schinken und Wurst, der die Risiken für Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes erhöht. „Den Preis für die Kosten für Umwelt und Gesundheit der Menschen zahlt nicht die Industrie, sondern die Gesellschaft“, sagt van Aken.
Wie ist Deutschland zur Produktionsstätte von Fleisch geworden?
Doch wie ist es überhaupt zu dieser Entwicklung gekommen? Vor zwanzig Jahren baute die Landwirtschaft in Deutschland die Schweinehaltung weit über den Bedarf aus. Begründet wurde dies mit der enormen Nachfrage in Asien. Tatsächlich haben sich die Schweinebestände allerdings vor allem innerhalb der EU verschoben: Die Niederlande, Frankreich und Dänemark reduzierten die Bestände, während Deutschland seine ausbaute – dank niedrigerer Umwelt- und Tierschutzstandards und dadurch geringeren Erzeugungskosten. So setzte Deutschland etwa die EU-Düngevorgaben ungenügend um - Landwirt:innen konnten also mehr Gülle aus Tierställen ausbringen als die Konkurrenz aus dem benachbarten Ausland. Im Gegensatz zu anderen Ländern war der vorgeschriebene Mindestplatzbedarf für Tiere niedriger sowie tierquälerische Praktiken wie enge Kastenstände für Sauen, die betäubungslose Kastration von Ferkeln und das Kupieren der Schwänze erlaubt. Erst im Jahr 2021 verbot auch Deutschland die betäubungslose Kastration und schärfte die Düngeverordnung erst im Sommer 2023 nach, als Strafzahlungen aus Brüssel in Millionenhöhe drohten.
Industrielle Tierhaltung unter Druck, Politik muss Rahmen setzen
Mit der Verbreitung der Schweinepest in einigen deutschen Betrieben schloss sich die Vermarktungsmöglichkeit in asiatischen Ländern und die Preise für Schweine brachen ein. Gleichzeitig sank der Konsum im Inland. Der Umbau zu einer besseren Tierhaltung geht nur schleppend voran, auch wenn der Lebensmittelhandel angekündigt hat, ab 2030 kein Billigfleisch mehr abzunehmen. Gegenwärtig jedoch, das zeigt der Greenpeace-Supermarktcheck, stammen immer noch 87 Prozent des Frischfleisches aus den Haltungsformen 1 und 2 – also von Tieren, die häufig unter gesetzeswidrigen und qualvollen Bedingungen gehalten werden.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Schweinehalter:innen: Greenpeace hatte im Jahr 2017 nachgewiesen, dass die Schweinehaltung in Deutschland gegen den Tierschutz und somit gegen die Verfassung verstößt. Das Land Berlin reichte daraufhin beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage ein. Mit dem Urteil könnten die zwei schlechtesten Haltungsformen bei Schweinen rechtswidrig werden.
Auf der politischen Ebene kommt die Transformation der Fleischproduktion ebenfalls nicht voran. Längst beschlossene Reformen werden verschleppt oder verworfen. Statt den Umbau der Tierhaltung endlich voranzutreiben, hat Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) die dafür nötigen Gelder gestrichen. Nun droht er auch noch die Einführung der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung zu verzögern und diese zu verwässern.
Protest bei Deutschem Fleischkongress
In dieser Gemengelage trifft sich die deutsche Fleischwirtschaft in der Rheingoldhalle der Messe Mainz. Statt jedoch die künftigen Herausforderungen anzugehen, versucht sie auf einem Kongress vor allem, die Reihen zu schließen und Kritik abzuwehren.
Vor der Tagungshalle haben sich Greenpeace-Aktive zusammengefunden. Sie fordern einen Wandel in der Fleischindustrie und ein Ende der klimaschädlichen und tierquälerischen Billigfleischproduktion. Auch in der Halle protestieren Aktivist:innen. Dort schallt den Teilnehmer:innen aus Boxen anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Fleischkongresses ein Geburtstagsständchen entgegen: Die Audiobotschaft kritisiert die deutsche Fleischindustrie, weil sie sich ihrer Verantwortung entzieht und weiter möglichst viel Fleisch möglichst billig produziert.
“Nur wenn sich die Fleischbranche grundlegend wandelt und endlich auf weniger und besseres Fleisch sowie pflanzliche Eiweißquellen setzt, hat sie in einer klimaverträglichen Gesellschaft noch einen Platz. Unter dem Billigfleischsystem leiden nicht nur die Tiere, sondern auch unsere Lebensgrundlagen: Das Klima wird verheizt, das Grundwasser verschmutzt und die Biodiversität, elementar für erfolgreiche Ernten, wird zerstört. Die Lebensmittelindustrie muss aus der Erzeugung aussteigen – genauso wie die Energiewirtschaft aus der Braunkohle oder die Autoindustrie aus dem Verbrenner.”
An Transformation der Landwirtschaft führt kein Weg vorbei
Wie alle Sektoren muss auch die Landwirtschaft ihren Teil dazu beitragen, die großen Umweltkrisen in den Griff zu bekommen. Damit steht die gesamte fleischproduzierende Branche vor einer großen Transformation. Bislang jedoch verweigert die Fleischwirtschaft den Wandel anzugehen und verharrt in überholten Denkmustern. Doch mit ihrem “Weiter so wie bisher” schadet sie nicht nur Tier und Umwelt, sondern auch sich selbst. Denn bestimmte Prozesse lassen sich nicht mehr aufhalten, längst ist die Veränderung in Gang:
So treiben bei der Ernährung vor allem drei Aspekte den Wechsel von tierischen Produkten auf pflanzliche Lebensmittel voran:
- Wertegetriebene Transformation
Immer mehr Menschen möchten nicht, dass Tiere unter der Haltung leiden, etwa durch Züchtung auf Höchstleistung getrimmt werden, unter schwierigen Bedingungen transportiert werden. Dieser Punkt ist besonders jungen Menschen wichtig und wird bedeutender. Für sie ist es kein Verlust, völlig auf Fleisch zu verzichten, sondern ein Mehrwert.
- Umwelt- und klimagetriebene Transformation
Die Klimakrise wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen und der Anteil der Tierhaltung an den Klimagasen steigen. Die meisten pflanzlichen Lebensmittel lassen sich deutlich klimafreundlicher produzieren. Dies wird den Druck auf die Branche massiv erhöhen.
- Technikgetriebene Transformation
Derzeit werden in großem Umfang Lebensmitteltechnologien entwickelt, die Fleischprodukte sozusagen nachbauen: ähnlich in Geschmack und Struktur, jedoch ohne tierische Zutaten. Diese Lebensmittel sind nicht vergleichbar mit früheren Fleischersatzprodukten. Die Entwicklung etwa der Fermenter-Technologie oder der zellulären Techniken steht noch ganz am Anfang. Zu erwarten ist, dass derart hergestellte Lebensmittel in der Massenproduktion immer günstiger und vielfach tierische Produkte preislich schlagen werden.