
Autobahnausbau: verkehrte Verkehrsplanung
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Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) will Autobahnen beschleunigt neu- und ausbauen. Weitere Straßen sind jedoch nicht nur schlecht fürs Klima. Eine Greenpeace-Datenanalyse zeigt: Autobahnen zu erweitern, löst nicht das Verkehrsproblem, sondern erzeugt lediglich weitere Staus.
Zuletzt rechtfertigt Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Ausbau von Autobahnen auch damit, Engpässe im deutschen Autobahnnetz beseitigen zu wollen. Weniger Staus, flüssigerer Verkehr, das kommt bei vielen gut an. Nun aber zeigt erstmals eine systematische Auswertung von Verkehrsdaten: Sogenannte Engpässe zu beheben, schafft neue Engpässe. Greenpeace hat diesen Effekt mit einer Datenanalyse belegt und tausende Daten des Verkehrsdatenanbieters TomTom ausgewertet, die wiederum auf Informationen von Millionen Pkw basieren.

Stauausbau
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HerunterladenUntersucht wurde die Fahrgeschwindigkeit auf acht Autobahnabschnitten, jeweils im Jahr vor einem Ausbau und zwei Jahre nach Bauende. Das Ergebnis zeigt: Das Risiko in einen Stau zu geraten, ist durch den Ausbau nicht gesunken. Auf den Hauptverkehrsstraßen in der Umgebung der Ausbaustrecke ist es sogar gestiegen. Profitiert haben hauptsächlich schnell fahrende Autos außerhalb der Stoßzeiten.
Die FDP jedoch hält unbeirrt an der weiteren Versiegelung von Flächen für den Autoverkehr fest. Nach aktuellen Plänen sollen noch mehr als 850 Kilometer weitere Autobahn durch Wälder, Wiesen und Moore asphaltiert werden. Dabei durchzieht Deutschland bereits mit 13.141 Kilometern Länge eines der dichtesten Autobahnnetze Europas. So erreicht der Verkehr seine Klimaziele nicht. Gemeinsam mit dem BUND hat Greenpeace gezeigt, dass der Klimaschaden durch geplante Autobahnprojekte mindestens doppelt so hoch ist, wie bislang vom Verkehrsministerium angegeben.

Damit die viel zu hohen CO2-Emissionen im Verkehr endlich sinken, braucht Deutschland dringend eine andere Verkehrsplanung: Wohin die Milliarden des Verkehrshaushalts jetzt fließen, ob damit noch mehr Straßen gebaut oder das Bahnnetz gestärkt wird, bestimmt den Treibhausgasausstoß im Verkehr über die kommenden Jahrzehnte.
Um die zähen Planungsprozesse zu beschleunigen, diskutiert die Ampel-Koalition derzeit auch darüber, welche Infrastrukturprojekte künftig schneller geplant werden sollen. Während die FDP auch weitere Autobahnen und Fernstraßen beschleunigt planen und bauen will, fordern die Grünen, gezielt nur Projekte zu beschleunigen, die zum Klimaschutz beitragen, also den Neu- und Ausbau weiterer Bahnlinien. Straßen sollen lediglich leichter saniert und marode Brücken schneller ersetzt werden können.

Nächste Ausfahrt Klimakrise
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HerunterladenNeubau von Autobahnen: SPD muss Farbe bekennen
Einigen konnten sich die Kontrahenten auch nach mehreren Koalitionssitzungen nicht. Die SPD könnte es richten, tut es aber nicht. Dabei könnte sie nicht nur beim Klimaschutz punkten, sondern auch für eine sozial gerechte Mobilität einstehen. Denn der Ausbau der Bahn kombiniert mit bezahlbaren Tickets ermöglicht vielen Menschen, die sich kein Auto leisten können, erst eine Teilhabe an dem Grundrecht Mobilität. Eine Kalkulation von Greenpeace hat im vergangenen Jahr gezeigt, wie ein günstiges Ticket Haushalte entlasten kann und finanzierbar ist. Die Ampel hat "ihren Koalitionsvertrag mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben", schreibt Benjamin Stephan, Experte für Mobilität bei Greenpeace in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau. "Die anstehenden Entscheidungen im Verkehr sind eine Chance, dieses Versprechen auf einem gesellschaftlich hoch relevanten Feld wie dem Verkehr einzulösen. Die Grünen allein können dies nicht, die FDP will es offensichtlich nicht. Es liegt deshalb an der SPD, eine Entscheidung herbeizuführen, die unmissverständlich klarmacht: Gerechter und klimaschonender Verkehr lässt sich nicht herbeiasphaltieren, er fährt auf einem gut ausgebauten und für alle zugänglichen Schienennetz."
Mehrheit gegen weitere Autobahnen
Die Bevölkerung jedenfalls erwartet den Ausbau einer zukunftsfähigen Infrastruktur. In einer bundesweiten repräsentativen Meinungsumfrage im Auftrag von Greenpeace, sprachen sich Mitte Dezember 2022 vier von fünf der Befragten (81 Prozent) dafür aus, auf weitere Autobahnen zu verzichten, wenn dadurch das Klima geschützt werden kann. Auch zum Schwerpunkt des künftigten Infrastrukturausbaus zeigt die Umfrage deutliche Vorlieben: 70 Prozent der Befragten gaben an, der Ausbau solle sich auf neue Zugstrecken und den öffentlichen Nahverkehr konzentrieren.
Verkehrsplanung auf dem Prüfstand
Wie Deutschlands künftige Verkehrsinfrastruktur aussieht, ist im Bundesverkehrswegeplan geregelt. Das Verkehrsministerium plant darin, welche Bundesfern- und Wasserstraßen und welche Schienenwege in den kommenden 15 Jahren gebaut werden sollen. Weil das Verkehrsministerium traditionell den größten Investitionshaushalt des Bundes verwaltet, geht es dabei um viele Milliarden. Vor allem aber geht es um die Chance, eine Mobilität zu entwerfen, bei der Mensch, Natur und Klima nicht länger unter die Räder kommen.
Beschlossen wurde der aktuelle Plan 2016. Er gilt bis 2030. Aber er kann noch geändert werden. Gerade läuft eine Bedarfsprüfung. Begleitet werden soll diese von einem sogenannten Dialogprozess. Er startete bereits Ende vergangenen Jahres. Dort will die Bundesregierung einen “Infrastrukturkonsens” herstellen, so verspricht es zumindest der Koalitionsvertrag. Denn einen Konsens gibt es bislang nicht, wie zahlreiche Proteste gegen geplante Autobahnen wie die Küstenautobahn A20 oder die A100 in Berlin zeigen.
Doch der Auftakt des Dialogs an dem auch Greenpeace teilnahm verspricht nichts Gutes. Volker Wissings Ministeriale beschieden dem frontal belehrten Publikum, dass man ausschließlich über den nächsten, dann bis 2040 geltenden Verkehrswegeplan reden wolle. Bis 2030 sollten Autobahnen- und Fernstraßen wie geplant gebaut werden. Für Greenpeace und andere Umweltverbände ein Affront - schließlich wurde der aktuelle Plan vor entscheidenden Klimabeschlüssen wie dem Pariser Abkommen von 2015 und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 geschmiedet. Um die Klimaziele zu erreichen, muss der aktuelle Plan geändert werden.
Biosprit und synthetische Kraftstoffe
Wie sehr die FPD an veralteten Mobilitätskonzepten klebt, zeigen auch die aktuellen Debatten um Biosprit und synthetische Kraftstoffe. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) preist sie unbeirrt als Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise an - entgegen aller Vernunft.
Bundesverkehrswegeplan ist veraltet
Als der aktuelle Plan geschrieben wurde, war das Ende 2015 geschlossene Pariser Klimaschutzabkommen noch nicht in Kraft. 2021 schließlich urteilte das Bundesverfassungsgericht, heute unterlassener Klimaschutz dürfe nicht die Freiheit künftiger Generationen einschränken. Beides hat tiefgreifende Auswirkungen auf die künftige Planung des Verkehrs, der heute ein Fünftel der deutschen CO2-Emissionen verursacht. Deshalb ist für Greenpeace klar: Das Ziel eines Konsens bei der Infrastruktur lässt sich nur erreichen, indem der geltende Bundesverkehrswegeplan an die Anforderungen eines klima- und sozialgerechten Verkehrs angepasst wird.
Doch über den Auftrag des Dialogs, das Mandat des Formats herrscht bislang keine Einigkeit unter den Beteiligten. Zukunftsweisende Entscheidungen zur Infrastruktur sind die Voraussetzungen der Verkehrswende. Sie können nicht länger warten. Greenpeace ist bereit, konstruktiv daran mitzuarbeiten, den Verkehr in eine klimaschonende Zukunft zu führen. Für unverbindliche Plauderrunden ist der Rückstand im Klimaschutz hier zu groß.
(Diesen Artikel haben wir am 6. Dezember 2022 veröffentlicht und im Februar 2023 aktualisiert.)