
Bahn statt Autobahn
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Deutschland hat eines der dichtesten Autobahnnetze in Europa – und die meisten Bahnstrecken stillgelegt. Dennoch will Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zusätzliche Autobahnen bauen. Damit würden Natur und Klima weiter unter die Räder kommen – und die Abhängigkeit vom Auto weiter zementiert. Eine moderne und sozial gerechte Mobilitätspolitik, die auch Menschen ohne Auto mitnimmt, würde stattdessen konsequent in die Bahn investieren.
Als die Autobahn Nummer 49 als Verbindung zwischen Kassel und Gießen geplant wurde, ließ sich Gerd Müller in Mexiko als WM-Torschützenkönig feiern und Willy Brandt regierte aus Bonn ein Land, das zu Mungo Jerrys “In The Summertime” tanzte. Bald darauf, 1972, veröffentlichte der Club of Rome ein Buch mit dem Titel “Die Grenzen des Wachstums”. Der Planet wird das “immer mehr” auf Dauer nicht ertragen, lässt sich der Inhalt zusammenfassen. Er ist auch 50 Jahre später noch nicht im Verkehrsministerium angekommen.
Knapp 1000 Kilometer weitere Autobahnen will das Ministerium von Volker Wissing bis 2030 durchs Land walzen lassen, durch Wälder, Felder und über Moore. Dabei durchzieht das Land bereits heute eines der dichtesten Autobahnnetze Europas, mit gut 13.000 Kilometern ist es heute mehr als dreimal so lang wie noch 1960. Das deutsche Bahnnetz ist hingegen ein Sanierungsfall: Strecken und Bahnhöfe wurden geschlossen, Weichen zurückgebaut, nötige Sanierungen verschleppt.
Hoffnungsschimmer bei der Bahn
Um Bahnfahren attraktiv zu gestalten, sind jedoch bequem erreichbare und zuverlässig verkehrende Züge unerlässlich. Im vergangenen Jahr endete fast jede dritte Fahrt mit mindestens 15 Minuten Verspätung - meist wegen eines überlasteten Schienennetzes. Hoffnung machen nun die beim so genannten Schienengipfel am 15. September 2023 angekündigten Maßnahmen: Die Bundesregierung will der Bahn bis zum Jahr 2027 zusätzlich knapp 40 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Mit dem Geld sollen 40 hochbelastete Bahnstrecken schrittweise bis 2030 saniert werden. Diese wären dann zwar zunächst für einige Monate komplett gesperrt und durch Umleitungen ersetzt, würden dann aber Engpässe beseitigen und für einen reibungsloseren Zugverkehr sorgen. Im kommenden Jahr soll es an der Riedbahn im Korridor Frankfurt-Mannheim losgehen, gefolgt von den Strecken Berlin-Hamburg und Emmerich-Oberhausen im Jahr 2025.
“Die angekündigte Erhöhung der Schienenmittel um 40 Milliarden bis 2027 könnte die Weichen umstellen”, sagt Lena Donat, Verkehrsexpertin bei Greenpeace. “Wirkung wird das Geld aber nur erzielen, wenn der Bund zusätzliche Mittel über 2027 hinaus bereitstellt. Das bestehende Netz auf Trab zu bringen, ist wichtig, aber um mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, braucht es auch zusätzliche Gleise. Auf dem Land ist es zudem teils unmöglich, die Bahn zu nutzen, weil Bahnhöfe und Gleise stillgelegt wurden. Anstatt Milliarden in den Aus- und Neubau von Autobahnen zu stecken, sollte der Bund regionale Bahnstrecken wieder eröffnen, um den Menschen eine Alternative zum Auto zu bieten.”
Die zahlreichen geplanten Straßenprojekte belegen zudem wichtige Planungs-, Genehmigungs- und Baukapazitäten, die für den Ausbau von Bahninfrastruktur fehlen. “Damit Planungs- und Bauprozesse tatsächlich angestoßen werden können, braucht die Branche eine viel langfristigere Perspektive”, so Donat. “In der Schweiz gibt es einen Infrastrukturfonds für die Bahn, der langfristig, also auch über Legislaturperioden hinweg, die Finanzierung von Bauvorhaben absichert. Eine solche Fondslösung braucht auch Deutschland.”
Europa-Vergleich: Deutsches Bahnnetz schrumpft am stärksten
Die nun erforderlichen enormen Summen sind dem über Jahrzehnte bei der Bahn entstandenen Sanierungsstau geschuldet. Kein anderes Land in Europa hat in den letzten drei Jahrzehnten mehr Zugstrecken stillgelegt, zeigt eine von Greenpeace beauftragte Studie des Wuppertal Instituts und “T3 Transportation Think Tank”: Deutschland kürzte sein Schienennetz für Personenverkehr seit 1995 um 2700 Kilometer. Gleichzeitig baute das Land 2000 Kilometer Autobahnen. Pro Kopf steckte Deutschland zwischen 1995-2018 zudem deutlich weniger Geld in den Bahnverkehr als andere Länder: Im europäischen Vergleich steht die Bundesrepublik mit rund 1600 Euro an zwölfter Stelle. Die Schweiz gibt das Vierfache aus, Österreich investiert immerhin das Doppelte.

Auf dem Abstellgleis
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HerunterladenDrei verlorene Jahrzehnte für den Klimaschutz im Verkehr
Das meiste Geld jedoch floss in allen europäischen Ländern in die Straßeninfrastruktur: von 1995 bis 2018 gewaltige 1,5 Billionen Euro und nur 930 Milliarden Euro in die Schiene – trotz wachsender Klimasorgen und der ersten globalen Verpflichtungen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen in den 1990er Jahren. 30.000 Kilometer neue Autobahnen wurden gebaut und trugen zu einem Zuwachs von 29 Prozent an motorisiertem Straßenverkehr bei, der inzwischen 72 Prozent der klimaschädlichen Verkehrsemissionen in Europa verursacht – der Schienenverkehr hingegen nur 0,4 Prozent.
Während sich der europäische Kontinent zu einem Brennpunkt der Klimakrise entwickelte, ließen die Regierungen das Schienennetz verfallen: Für den Personenverkehr schrumpfte es um 15.600 Kilometer in den vergangenen knapp drei Jahrzehnten. Fast 2600 Bahnhöfe und Haltestellen wurden vorübergehend oder dauerhaft geschlossen. Mehr als die Hälfte der stillgelegten Streckenkilometer könnten der Studie zufolge wieder in Betrieb genommen werden – mit mehr Geld und vereinfachten Verfahren zur Wiedereröffnung.
Mehr Straßen führen zu mehr Staus
Angesichts dieser Entwicklungen verwundert es nicht, dass der Straßenverkehr seit 1960 fünfmal so schnell gewachsen ist wie der Schienenverkehr und heute 87 Prozent des Personen- und 72 Prozent des Güterverkehrs abdeckt. Die dahinter liegende Logik brachte Münchens ehemaliger Oberbürgermeister, der spätere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel schon 1972 auf eine griffige Formel: “Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.” Mehr Straßen sind also weniger geeignet, Staus zu verhindern, sondern führen zu noch mehr Verkehr. Das belegt auch eine systematische Auswertung von Verkehrsdaten durch Greenpeace. Die Analyse basiert auf Daten von Millionen Pkw, die der Verkehrsdatenanbieter TomTom ausgewertet hat.

Stauausbau
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HerunterladenUntersucht wurde die Fahrgeschwindigkeit auf acht Autobahnabschnitten in Deutschland, jeweils im Jahr vor einem Ausbau und zwei Jahre nach Bauende. Das Ergebnis zeigt: Das Risiko in einen Stau zu geraten, ist durch den Ausbau in vier von acht Fällen gestiegen. Auf den Hauptverkehrsstraßen in der Umgebung der Ausbaustrecke ist es sogar in sechs von acht Fällen gestiegen. Profitiert haben hauptsächlich schnell fahrende Autos außerhalb der Stoßzeiten.
Wohin fließen die Milliarden: Kosten für Autobahnausbau steigen
Die FDP jedoch hält unbeirrt an der weiteren Versiegelung von Flächen für den Autoverkehr fest. Hinzu kommt, dass der Autobahnbau teurer wird als kalkuliert: Greenpeace hat berechnet, dass die Kosten für die geplanten Autobahnneu- und -ausbauprojekte des Bundesverkehrswegeplans bis 2035 dreimal höher liegen werden als bisher angenommen. Berücksichtigt man die Kostensteigerungen der letzten Jahre, werden die Projekte nicht wie bislang veranschlagt 50,9 Milliarden Euro sondern 153 Milliarden Euro kosten. Dieses Geld wird jedoch dringend für den Ausbau der Schieneninfrastruktur und ein besseres ÖPNV-Angebot gebraucht.

Milliardengrab Autobahnausbau
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HerunterladenDamit die viel zu hohen CO2-Emissionen im Verkehr endlich sinken, braucht Deutschland dringend eine andere Verkehrsplanung: Wohin die Milliarden des Verkehrshaushalts jetzt fließen, ob damit noch mehr Straßen gebaut werden oder das Bahnnetz gestärkt wird, bestimmt die Mobilität und den Treibhausgasausstoß im Verkehr über die kommenden Jahrzehnte. Deshalb ist es naheliegend, die alten Straßenbaupläne daraufhin zu überprüfen, wie viel CO2 durch ihren Bau und Betrieb verursacht würde und wie sich das verträgt mit den Klimazielen des Bereichs. Österreich und Wales haben einen solchen Klima-Check schon eingeführt. Greenpeace fordert ihn auch für Deutschland.

Nächste Ausfahrt Klimakrise
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