
Deutschlandticket: So kann es weitergehen
Petition unterzeichnen: Bahn statt Autobahn- Nachricht
Zehn Millionen Deutschlandtickets werden jeden Monat verkauft. Auch Firmen nutzen das Angebot für ihre Mitarbeitenden – wie eine Greenpeace-Abfrage zeigt. Aber die Erfolgsgeschichte ist in Gefahr und viele Fragen sind offen – vor allem, wie viel der Fahrschein künftig kosten wird.
Innerhalb weniger Monate hat das Deutschlandticket die Art und Weise verändert, wie Millionen Menschen in Deutschland mit Bus und Bahn unterwegs sind. Der nahezu undurchdringliche Tarifdschungel ist gelichtet, das Verzweifeln an Ticketautomaten beendet. Verlässlich angeboten und mit einem bundeseinheitlichen Studierenden- und Sozialtarif ausgestattet, ließe sich die Attraktivität nochmal erhöhen. Das wäre nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch ein faires Angebot für alle, die kein Auto oder wenig Geld haben.
Seit dem 1. Mai kann das Deutschlandticket landesweit für Busse und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr für 49 Euro im Monat verwendet werden – als digital buchbares, monatlich kündbares Abonnement. In Nachfolge des 9-Euro-Tickets, das im vergangenen Jahr für drei Sommermonate eingeführt worden war, um mehr Menschen zum Umsteigen vom Auto auf die Bahn zu bewegen. Gut die Hälfte der elf Millionen verkauften Deutschlandtickets entfällt auf Menschen, die Bus und Bahn zuvor ohne Abo oder gar nicht nutzen. Dieser Erfolg wirkt sich positiv auf die Nutzung von Verkehrsträgern und den Klimaschutz aus: Fünf Prozent aller Fahrten mit dem Deutschlandticket wären sonst mit dem Auto unternommen worden, hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ermittelt.
Weitere Finanzierung des Deutschlandtickets unklar
Doch die weitere Finanzierung des 49-Euro-Tickets steht in den Sternen: Da viele Pendler:innen von ihren bisherigen Abos auf das günstigere Deutschland-Ticket gewechselt sind, verzeichnen die Verkehrsunternehmen massive Einnahmeausfälle. Bund und Länder schießen in den Jahren 2023 und 2024 jeweils 1,5 Milliarden Euro für die Kosten des Tickets zu. Umstritten ist aber, wer die gestiegenen Kosten für Personal und Energie bezahlt. Laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sind für 2024 rund 400 Millionen Euro offen – die Bundesländer sind bereit, sich hälftig zu beteiligen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte Gespräche über zusätzliche Bundesgelder aber bislang abgelehnt und schürt so die Unsicherheit über den Fortbestand des Tickets.
Am 6.11. legten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsident:innen darauf fest, dass der Fahrschein weiter bestehen bleiben soll. Bis zum Frühjahr 2024 soll geklärt werden, wie das Ticket längerfristig finanziert wird. Offen blieb aber, ob es dann weiterhin für 49 Euro im Monat angeboten wird.
„Olaf Scholz will sich mit dem D-Ticket schmücken, dafür zahlen aber will er nicht", sagt Clara Thompson, Mobilitäts-Expertin von Greenpeace. "Das kann nicht funktionieren. Wenn die Kundinnen und Kunden jederzeit mit einer Preiserhöhung rechnen, dann würgt das den Erfolg des Tickets ab, noch bevor es überhaupt richtig angekommen ist. Während vielen vor der nächsten Tank- oder Heizrechnung bangt, könnte die Ampel mit einer verbindlichen Zusage zum 49-Euro-Ticket den Menschen ein Stück Sicherheit geben. Statt zuzusehen, wie der Verkehrsminister immer noch mehr Autobahnen durchs Land walzt, sollte Scholz im Haushalt einen festen Platz dafür einräumen, das D-Ticket zu erhalten und zu verbessern.“
Kalkulation zeigt: Ein Kilometer Autobahn teurer als fehlender Ticketbeitrag
Greenpeace hat die fehlende Summe für das Deutschlandticket mit den Kosten einiger in Bau befindlicher Autobahnprojekte verglichen: Die 200 Millionen Euro an Zusatzkosten entsprechen nach jüngstem Preisstand den Kosten für 1,2 Kilometer der umstrittenen A100 in Berlin. Auch 0,9 Kilometer der geplanten A26 in Hamburg oder 1,3 Kilometer der A52-Bauabschnitte in NRW könnten die Finanzierungslücke decken.
Immer mehr Unternehmen bieten Deutschland-Ticket als Jobticket an
Unter den Abonent:innen finden sich auch viele, die das Deutschlandticket als Jobticket über ihren Arbeitgeber bekommen. Ein einfaches Angebot für Firmen, die Mitarbeitende bei ihrer persönlichen Mobilitätswende unterstützen möchten. Doch wie stark nutzen die großen, börsennotierten Unternehmen in Deutschland diese Chance? Greenpeace hat die 40 im Dax- und die 50 im MDax gelisteten Unternehmen gefragt, 78 Firmen haben geantwortet. Die Ergebnisse sind erstaunlich: Wenige Monate nach seiner Einführung bietet gut die Hälfte (46 der 90 Unternehmen) ihren Mitarbeitenden das Deutschlandticket als Jobticket an. Damit hat das deutschlandweit gültige ÖPNV-Abo das regionale Jobticket deutlich überholt.
Der Preis des Tickets für die Mitarbeitenden variiert dabei deutlich. Einige, etwa das Modeunternehmen Hugo Boss, der Versicherungskonzern Hannover Rück oder der Erzeuger erneuerbarer Energien Encavis, übernehmen die Kosten vollständig.
Das Deutschlandticket als Jobticket ist nicht der einzige Weg, wie Unternehmen ihre Belegschaft bei einer umwelt- und klimafreundlichen Mobilität unterstützen können. Einige bieten keine Jobtickets an, zahlen Mitarbeitenden aber einen ÖPNV-Zuschuss, andere fördern nachhaltige Mobilität mit einem Jobrad-Angebot.
Befragt nach ihren Wünschen bezüglich des Tickets, lautete die häufigste Rückmeldung der Dax- und MDax-Unternehmen: “Planungssicherheit” (13 Nennungen). Auch die deutschen Unternehmer sind also daran interessiert, dass es das Ticket dauerhaft gibt, mit einer Planungssicherheit zu den Bedingungen und Kosten. Ein Auftrag vor allem an das Verkehrsministerium.
Verkehrswende durch Abbau klimaschädlicher Subventionen finanzieren
Auch ein günstigeres Ticket für 29 Euro wäre finanzierbar und wohl für den Staat nicht unbedingt teurer – zeigt eine im Zuge der Debatte um die Fortführung des 9-Euro-Tickets bereits im Oktober 2022 von Greenpeace vorgelegte Kostenkalkulation: Der Berechnung lagen zahlreiche Umfragen zur Zahlungsbereitschaft für das künftige Deutschlandticket zugrunde. So kam heraus, dass ein Ticket für 29 Euro pro Monat den Staat maximal so viel an Zuschüssen kostet wie ein 49-Euro-Ticket – durch die voraussichtlich doppelt so hohen Verkaufszahlen des günstigeren Tickets. Auf Basis der aus den Umfragen gemittelten Kaufbereitschaft addieren sich die möglichen Einnahmen eines 29-Euro-Tickets auf 8,6 Milliarden Euro, gegenüber 7,2 aus dem Verkauf des 49-Euro-Tickets.
Die staatliche Bezuschussung für den Nahverkehr ist nach Auffassung von Greenpeace ohnehin zu gering. An Ideen für die Finanzierung einer sozial gerechten und klimafreundlichen Mobilität mangelt es nicht: Sei es der Abbau klimaschädlicher Subventionen oder die Umwidmung von Geldern weg vom Auto hin zum öffentlichen Nahverkehr.
Ein erweitertes Deutschlandticket-Angebot mit günstigeren Tarifen für Sozialhilfeempfänger:innen und Studierende könnte beispielsweise durch die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs finanziert werden. Denn der Staat belohnt mit dem geringen Steuersatz für privat genutzte Firmenwagen umweltschädlichen Konsum mit jährlich 4,4 Milliarden Euro – das kommt in der Regel Besserverdienenden zugute, die hauptsächlich Dienstwagen gestellt bekommen.
46 Milliarden Euro könnten insgesamt laut Greenpeace durch die Streichung klimaschädlicher Subventionen freigesetzt und in eine klimafreundlichere Zukunft investiert werden. Eine beachtliche, aber noch nicht ausreichende Summe angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen: Der Ausbau von Bus und Bahn ist dringlich – und auch die Landwirtschaft, das Bauwesen, die Energieversorgung müssen angepasst und zukunftsfähig werden.
Gelder in Bahn statt Autobahn stecken
Jahrzehntelang stand der klimaschädliche Verbrenner im Fokus der deutschen Verkehrsplanung, seit 1990 sind die Emissionen im Verkehr daher nicht gesunken. So wurde Deutschland sogar europäischer Spitzenreiter in der Stilllegung von Zugstrecken: Um 2700 Kilometer wurde hierzulande das Schienennetz für den Personenverkehr seit 1995 gekürzt, gleichzeitig wurden 2000 Kilometer neue Autobahnen gebaut.
Damit die Verkehrswende endlich Fahrt aufnimmt, bietet sich also nicht nur der Abbau klimaschädlicher Subventionen an: Viele Umwelt- und Klimaschutzorganisationen fordern, dass der Aus- und Neubau von Autobahnen beendet wird, damit diese Steuergelder stattdessen den massiven Investitionsrückstau bei der Bahn beheben.
Im aktuellen Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 haben die Fernstraßenprojekte, die als höchste Priorität eingestuft wurden, ein Preisschild von zusammen 50,9 Milliarden Euro. Doch wenige Jahre nach Inkrafttreten des Infrastrukturplans ist klar: Die Straßen werden viel teurer, als im BVWP veranschlagt: Für etliche Projekte liegen inzwischen aktualisierte Kostenschätzungen vor – häufig mit einer Vervielfachung der ursprünglichen Summen. Nach Berechnungen von Greenpeace addieren sich die Kosten für rund 800 im BVWP mit der höchsten Priorität bewerteten Straßenbauprojekte bis 2035 auf insgesamt 153 Milliarden Euro. Diese Summe könnte statt für den Bau neuer Straßen – damit ist nicht der Erhalt des bestehenden Straßennetzes gemeint - in den Ausbau des maroden Schienennetzes investiert werden.
Das käme auch den Menschen auf dem Land zugute. Hier zeigt sich die Abhängigkeit vom Auto besonders deutlich, vielerorts fehlen schlichtweg Busse oder Schienen. Der Weg aus dem Dorf ist die Straße. Meist mit dem privaten Pkw. Wer kein Auto hat, ist auf andere angewiesen - oder nimmt das Rad, was allerdings bei aller Liebe zum Radfahren über längere Distanzen nicht immer hinhaut.
Die Infrastruktur lässt sich nicht über Nacht herbeizaubern. Leider. Es gibt aber immerhin auch Maßnahmen, die rasch zu einer Verbesserung beitragen, welche Greenpeace im “ÖPNV-Sofortprogramm bis 2025” zusammengestellt hat. Denn dazu hat das Deutschlandticket auch geführt: Es hat beeinflusst, wie wir über Bus und Bahn sprechen. Die Probleme der Bahn wären nicht kleiner ohne das Deutschlandticket, aber sie finden mehr Beachtung, seit Millionen D-Ticket Abonnent:innen die Bahn als „ihr Verkehrsmittel“ sehen.