
Wie steht’s um den ÖPNV in Deutschland?
- Ein Artikel von Gregor Kessler
- mitwirkende Expert:innen Lena Donat & Marissa Reiserer
- Nachricht
Bus und Bahn sind das Rückgrat einer sauberen und bezahlbaren Mobilität. Doch rund ein Viertel der Bevölkerung hat kaum eine Anbindung. Eine Analyse zur Bundestagswahl zeigt zudem: Wo der Bus nicht fährt, schneidet die AfD mehrheitlich besser ab.
Deutschland sieht rot. Ganz überwiegend jedenfalls. Färbt man die 11.000 Kommunen im Land danach, wie gut die Menschen dort Zugang zu Bus und Bahn haben, errötet die Karte. In Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Bayern wird es sogar dunkelrot (sehr schlecht). Dunkelgrün (sehr gut) hingegen markiert die wenigen urbanen Zentren wie Berlin, München und Hamburg.
Gut ein Viertel der Menschen im Land, das zeigt eine Greenpeace-Analyse, hat einen sehr schlechten Zugang zum ÖPNV. Weil diese Menschen ganz überwiegend in dünner besiedelten, ländlichen Regionen leben, bestimmen sie das Farbbild. Die Zahlen unterstreichen das Stadt-Land-Gefälle: In kreisfreien Großstädten ist der ÖPNV für rund 78 Prozent der Menschen gut oder sehr gut, in dünn besiedelten ländlichen Kreisen gerade mal für 11 Prozent. Dort haben die Hälfte der Menschen (52 Prozent) nur sehr schlechten Zugang zum ÖPNV.
Alle Ergebnisse in dieser interaktiven Karte:

"Deutschland braucht einen einheitlichen Mindeststandard für akzeptablen ÖPNV. Nur mit verlässlichen Verbindungen - alle 10 Minuten in der Stadt, alle 30 Minuten auf dem Land, von früh bis spät - werden Menschen nicht länger von einem eigenen Auto abhängig sein. Es ist ein verkehrspolitisches Alarmsignal, dass im Jahr 2025 noch immer bei einem Viertel der Menschen kaum ein Bus, geschweige denn eine Bahn fährt. Guter Nahverkehr garantiert, dass alle zum Einkaufen, Arzt oder Schwimmbad fahren können, und sorgt für bezahlbaren Klimaschutz. Die kommende Bundesregierung braucht einen Nahverkehrs-Turbo."
Es ist ein verkehrspolitisches Alarmsignal, dass im Jahr 2025 noch immer bei einem Viertel der Menschen kaum ein Bus, geschweige denn eine Bahn fährt. Guter Nahverkehr garantiert, dass alle zum Einkaufen, Arzt oder Schwimmbad fahren können, und sorgt für bezahlbaren Klimaschutz. Die kommende Bundesregierung braucht einen Nahverkehrs-Turbo."
Deutliche Unterschiede beim ÖPNV-Angebot zeigen sich auch zwischen Flächenländern und vergleichbaren Landkreisen. Während in Nordrhein-Westfalen der ÖPNV nur bei rund 18 Prozent der Bevölkerung sehr schlecht ist, liegt der Anteil der Abgehängten in Niedersachsen mit 42 Prozent gut doppelt so hoch. Im ländlich geprägten Landkreis Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) sind lediglich 15 Prozent der Bevölkerung sehr schlecht an den ÖPNV angeschlossen. Im niedersächsischen Leer sind es hingegen 87 Prozent.
Eine fehlende öffentliche Anbindung kann dazu führen, dass sich Menschen sozial abgehängt fühlen. Eine Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung im Auftrag von Greenpeace zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen einem schlechten ÖPNV-Angebot und höheren Zweitstimmen für die extrem rechte AfD bei der Bundestagswahl 2025. Die Studie berechnet den Zusammenhang zwischen ÖPNV-Angebot sowie weiteren relevanten Einflussfaktoren wie Gemeindegröße, Abwanderung, Frauenanteil, Kaufkraft, Arbeitslosigkeit und dem Zweitstimmenergebnis bei der Bundestagswahl 2025.

Das Kreuz mit den Öffentlichen
Anzahl Seiten: 37
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“Wo der Bus weniger fährt, wählen mehr Menschen extrem rechts. Wer sich abgehängt fühlt, misstraut politischen Institutionen und ist empfänglicher für rechtspopulistische Erzählungen. Fehlende Busse und Bahnen gefährden nicht nur die gesellschaftliche Teilhabe und das Klima, sondern auch die Demokratie. Obwohl wir dringend mehr ÖPNV brauchen, stehen an vielen Orten sogar Kürzungen im Raum. Um der AfD praktisch etwas entgegenzusetzen, sollten Bund, Länder und Kommunen jetzt Geld in eine flächendeckende Grundversorgung mit ÖPNV investieren. Davon profitieren Demokratie und Klima.”
ÖPNV-Vergleich zeigt Stillstand in den Städten
Nicht nur in ländlichen Regionen braucht der Nahverkehr eine bessere finanzielle Ausstattung. Auch in vielen Städten stagnieren Investitionen in den ÖPNV oder schrumpfen sogar.
Münster etwa hat einen Plan. Einen Masterplan sogar. Gemeinsam mit Bürger:innen erarbeitet, legt er auf 250 Seiten unter anderem dar, wie die Stadt in Richtung einer klimaneutralen Mobilität steuern soll. Der öffentliche Verkehr würde dadurch nicht nur klimaschonend, sicher und gerecht werden, das barrierefreie Angebot soll Münster auch lebenswerter machen. Klingt vielversprechend, allein der Schwung fehlt bislang. Um knapp vier Prozent ist Münsters Bus- und Bahnangebot zwischen 2023 und 2025 gewachsen. Zwei Prozent pro Jahr aber sind deutlich weniger als nötig wären, zeigt ein ÖPNV-Vergleich den Greenpeace unter den 30 größten deutschen Städten. Und doch liegt Münster dabei klar im oberen Drittel. In einem weiteren guten Drittel der untersuchten Städte, darunter etwa Hamburg, Stuttgart oder München, stagniert der ÖPNV-Ausbau. In fünf Metropolen, darunter Frankfurt, Köln und Berlin, werden sogar Verbindungen gestrichen.

Greenpeace ÖPNV-Vergleich deutsche Großstädte
Anzahl Seiten: 14
Dateigröße: 1.98 MB
HerunterladenDie Ergebnisse sind ernüchternd. Die Klimaziele im Verkehr lassen sich nur mit einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr erreichen. Dafür aber müsste das ÖPNV-Angebot pro Jahr um mindestens 4,5 Prozent wachsen. Einen Wert, den unter den verglichenen 27 Großstädten (die Daten aus drei Städten waren fehlerhaft) allein Leipzig erreicht. Auch sind Bus und Bahn flächenschonend, dazu kommen weniger Luftschadstoffe, weniger Lärm, mehr Sicherheit. Aus all diesen Gründen haben sich Bund und Länder vorgenommen, die Fahrgastzahlen bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln, verglichen mit 2019. Die dafür nötige Steigerung liegt bei acht Prozent pro Jahr. Einen Wert, den keine der Städte erreicht.
„Eine Großstadt ohne gutes Bus- und Bahnangebot ist keine. Der ÖPNV ist das Rückgrat eines sauberen, klimaschonenden Verkehrs, doch in den meisten Städten steht der Ausbau auf der Kriechspur. Weil Gelder fehlen, streichen viele sogar Verbindungen und zwingen Menschen so zurück ins Auto. Bund und Länder sollten Gemeinden finanziell so ausstatten, dass Städte ihre Bus- und Bahnnetze ausbauen können.“
Für den Städtevergleich hat das auf Verkehrsplanung spezialisierte Analysehaus Plan4Better im Auftrag von Greenpeace die öffentlich zugänglichen Fahrplandaten der Plattform Delfi ausgewertet. Auf Basis der Fahrplandaten hat Plan4Better die durchschnittlichen Abfahrtszeiten an einem Werktag im Jahr 2023 ermittelt und die Veränderung zu den Zahlen für 2025 errechnet. (Mehr zur Methodik hier)
Veränderung im ÖPNV-Angebot großer Städte

© Greenpeace Global Mapping Hub
Berlin streicht ÖPNV am schlimmsten
Die ermittelte Rangliste zeigt, wie weit die Veränderungen auseinanderklaffen. In Berlin etwa schrumpfte das Angebot über den untersuchten Zweijahreszeitraum mit sieben Prozent mit Abstand am stärksten. Die U-Bahnen der Hauptstadt sind überaltert und machen zunehmend technische Probleme. Zudem fehlt überall Personal. In der Folge sinken die Fahrkilometer der Berliner Busse kontinuierlich, zuletzt auf das Niveau von 2016. Das Ziel von 101 Millionen Buskilometern in 2030 rückt damit in weitere Ferne. Besserung ist nicht in Sicht, Ende 2024 hat der CDU-geführte Berliner Senat den ÖPNV-Etat um knapp 100 Millionen Euro gekürzt - Gelder, die unter anderem für die Verlängerung von Straßenbahnlinien gedacht waren.
Einsames Positivbeispiel des Städtevergleichs ist Leipzig: Dort wiederum legte das Angebot zwischen 2023 und 2025 um knapp 15 Prozent am deutlichsten zu. Doch leere Kassen und steigende Kosten drohen, das Wachstum in vielen Städte abzuwürgen und das Angebot auszudünnen. Die Hauptgründe für das stagnierende oder sogar sinkende ÖPNV-Angebot sind Personalmangel und ungenügende Finanzierung.
“Es darf nicht sein, dass Städte ihre Fahrpläne ausdünnen müssen, weil ihnen das Geld fehlt. Deutschlands Städte brauchen einen Booster für Bus und Bahn, dabei muss der Bund ihnen finanziell beistehen. Denn gut ausgebaute Bus- und Bahnnetz sind das beste Mittel für flüssigen Verkehr, besseren Klimaschutz im Verkehr und lebenswerte Städte.”
In den Millionenstädten Hamburg (Ziel: 2040 klimaneutral) und München (Ziel: 2030 klimaneutral) stagniert das Angebot, in Köln (2035 klimaneutral) wurden der Fahrplan im Herbst 2024 zum dritten Mal in Folge ausgedünnt. Dresden hingegen baute das Angebot um 3 Prozent aus. Zukunftsfähige Planung sieht anders aus.
