
Gülle-Importe aus den Niederlanden belasten deutsches Trinkwasser zusätzlich
- Hintergrund
Landluft – das heißt vor allem im Spätsommer in weiten Teilen Deutschlands: Von abgeernteten Feldern steigt der Geruch frisch versprühter Gülle auf. Kurz vor dem winterlichen Düngeverbot bringen Landwirte den sogenannten „flüssigen Wirtschaftsdünger“ aus. Laut Düngeverordnung (DüngeV) darf ab diesem Jahr auf Ackerland in Deutschland von Oktober bis Ende Januar, keine Gülle ausgebracht werden. Im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern sind die deutschen Sperrzeiten für das Ausbringen der Gülle sehr moderat. In den Niederlanden und Belgien gelten laut Branchenmagazin Topagrar weit strengere Vorschriften. So gibt es absolute Nährstoff-Obergrenzen für die Düngung mit Gülle und Mineraldünger, abhängig von der Bodenbeschaffenheit. Die Sperrfristen für die Ausbringung von Gülle beginnen direkt nach der Ernte der Vorfrucht im Sommer. Deshalb müssen niederländische Bauern teure Lagerkapazitäten für sieben Monate, die dänischen sogar für neun Monate vorhalten – in Deutschland sind es nur vier.
Niederlande: bis zum Hals in der Scheiße
Die schärferen Regelungen stellten die Landwirte in den Niederlande vor Probleme, dort – wie auch in Nordwestdeutschland – ist die Viehhaltung in den vergangenen Jahrzehnten massiv angestiegen. Viehhaltung erzeugt Gülle, sie kann im Idealfall aufgrund des hohen Nährstoffgehalts (Stickstoff, Phosphor Kalium, Magnesium, Calcium) als natürlich anfallender Dünger für landwirtschaftliche Flächen genutzt werden. Das erspart Bauern den Zukauf von künstlichem Mineraldünger. Den kleinen Niederlanden fehlt es jedoch an Fläche für die riesigen Güllemengen, die Gülle wurde zum Abfallstoff. So zahlen niederländische Landwirte der für die Abfuhr von überschüssigem Wirtschaftsdünger zwischen 18 und 25 Euro pro Kubikmeter.
Güllehandel floriert
Trotz längerer Transportwege ist es für die niederländischen Bauern günstig, die Gülle nach Deutschland zu bringen. Mehr als 2,2 Millionen Tonnen dieses Tierdungs wurden laut der niederländischen Behörde Rijksdienst voor Ondernemend Nederland (RVO) 2016 exportiert –– bereits drei Prozent mehr als 2015. In grenznahe deutsche Gebiete liefern Tanklastwagen die stinkende Fracht direkt an die Abnehmer. Für längere Strecken reist der Großteil des Tierdüngers per Schiff den Rhein entlang. Umgerechnet rund 66.000 LKWs oder 900 Schiffsladungen kommen pro Jahr aus Holland nach Deutschland. So ist Deutschland der größte Abnehmer für den niederländischen Dung, obwohl er im Inland überreichlich vorhanden ist: 208 Millionen Tonnen Gülle strömten allein 2015 aus deutschen Ställen – 92 Mal so viel, wie aus den Niederlanden importiert werden.
Überdüngung: Zuviel Nitrat im Grundwasser
Die enorme Gülleflut zeigt deutschlandweit Auswirkungen. Mittlerweile ist das Grundwasser vielerorts belastet: Stickstoff (Nitrat) und Phosphat gelangen aus der Gülle ins Grundwasser und beeinträchtigen die Qualität von Seen, Flüssen und küstennahen Meeresgebieten. In Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westphalen und Rheinland-Pfalz werden laut Umweltbundesamt (UBA) inzwischen alarmierende Nitratwerte gemessen. Der EU-Grenzwert liegt bei 50 Milligramm Nitrat pro Liter (EU-RL 91/676/ EWG) – mehr als 27 Prozent des Grundwasserkörpers in Deutschland liegen bereits darüber. Eine zu hohe Konzentration von Nitrat im Trinkwasser gefährdet die menschliche Gesundheit. Bei Erwachsenen steigt das Krebsrisiko, bei Säuglingen kann die Aufnahme von Nitrat zu Blausucht oder sogar zum Tod führen.
Billiges Fleisch gegen teures Trinkwasser
Um die gesetzlichen Trinkwasservorgaben einzuhalten, müssen Wasserversorger immer aufwändigere und teure Methoden anwenden. Einer aktuellen Studie des UBAs zufolge können diese Aufbereitungskosten den Preis für Trinkwasser in hochbelasteten Regionen bis zu 45 Prozent erhöhen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) warnte kürzlich vor bis zu 62 Prozent höheren Wasserpreisen. Einerseits wird Massentierhaltung mit Preiseinsparungen gerechtfertigt, dafür gehen in Zukunft die Kosten für die Grundwasserreinigung richtig ins Geld. Eine ökologische Milchmädchenrechnung. Ein langfristiger Ausweg aus der Gülleflut ist, die Tierzahlen vor Ort so zu reduzieren, dass die Fläche der Betriebe und deren Tierhaltung wieder zusammenpassen. Das ist möglich, wenn die Bauern für Fleisch und Milch angemessene Preise erhalten.
EU-Kommission verklagt Deutschland
Die großindustrielle Agrarwirtschaft ist der wichtigste Verursacher hoher Nitratkonzentrationen im Grundwasser. Schon seit 2008 drängt die Europäische Kommission als „Hüterin der Verträge" auf die angemessene Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie. Aufgrund der anhaltend hohen Belastung reichte die EU-Kommission im November 2016 schließlich Klage gegen Deutschland ein. Es drohen hohe Strafzahlungen. Mit einer Reform der Düngegesetze sollte schärfer gegen die massive Überdüngung der Felder vorgegangen werden. Im Frühjahr 2017 verfasste Deutschland daraufhin die Düngeverordnung neu. Doch viele Experten fürchten, dass die neuen Maßnahmen nicht für eine Kehrtwende ausreichen.
Güllerecht verschärfen, Trinkwasser schützen
Denn die neue Gülleverordnung geht nicht weit genug, um die Nitratwerte im Grundwasser vor allem in hoch belasteten Regionen zu senken. Wie gravierend diese tatsächlich sind, zeigt sich, abhängig von der Bodenbeschaffenheit, zum Teil erst in Jahrzehnten – den Preis zahlen kommende Generationen.
Deshalb fordert Greenpeace:
- Sperrfrist für die Gülleausbringung von mindestens fünf Monaten während der Vegetationsruhe im Herbst und Winter
- Sofortiges Einarbeiten der Gülle in den Boden, um gesundheitsschädliche Ammoniak-Emissionen zu minimieren und das Ablaufen der Gülle in Oberflächengewässer zu verhindern. (Bei veralteten Methoden wird die Gülle auf der Erdoberfläche verteilt und erst nach mehreren Stunden in den Boden eingearbeitet.)
- Verpflichtende Bilanzierung aller Nährstoffmengen (Hoftorbilanz) ohne Schlupflöcher: Alle Stickstoffmengen, die in einen Agrarbetrieb über Dünger oder das Tierfutter gelangen sollen gemessen werden. Zugleich soll alles, was den Hof in Form landwirtschaftlicher Produkte wieder verlässt, erfasst werden. Die Stickstoffdifferenz muss auf dem Acker verblieben sein – und für diesen Stickstoffüberschuss muss ein Grenzwert eingehalten werden.
- Strengere und vollständige Kontrolle der Nährstoffflüsse zwischen den Betrieben (Bundeseinheitliches Düngekataster, Düngedatenbank)
(Stand September 2017)