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Action against CCS on Heligoland
© Jonas Wresch / Greenpeace

CCS: Streit um CO2-Endlagerpotenzial in der Nordsee

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Der Plan, große Mengen CO2 in der Nordsee zu lagern, ist nicht zu Ende gedacht. Greenpeace-Experte Karsten Smid erläutert die Risiken und warum er sich mit dem Forschungsverbund Geostor anlegt.

Die Idee klingt simpel und ist, wie so viele simple Ideen, leider grundfalsch: Man könnte das Klimagas CO2 einfach am Meeresgrund verpressen und es so der Atmosphäre entziehen. CCS heißt diese Methode, “Carbon Capture and Storage”, zu deutsch Kohlenstoffverpressung und -speicherung. 

Der Bundestag hat das umstrittene Kohlenstoffspeichergesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet – unter einer neuen Bundesregierung wird es aber wieder auf den Tisch kommen. Mit ihm soll CCS erstmals im großen Maßstab in Deutschland erlaubt werden. 

Geplant sind riesige Endlager in der Nordsee. Um zu erfahren, wie viel verpresstes CO2 die potenziellen Lagerstätten aufnehmen können, ließ die Bundesregierung das Forschungsprojekt Geostor am Kieler Geomar-Zentrum für Ozeanforschung das Volumen schätzen. In einem Spiegel-Artikel hat Karsten Smid, Greenpeace-Experte für Klima und Energie, Annahmen und Methodik der Wissenschaftler:innen scharf kritisiert. Steht am Ende sogar das Aus für die Risikotechnologie? 

Portrait of Karsten Smid

Karsten Smid, Greenpeace-Experte für Klima und Energie

Greenpeace: Im Spiegel kritisierst du, dass die CO₂-Endlagerpotenziale in der Nordsee bloße Theorie sind. Kannst du das erläutern?

Karsten Smid: Gerne. Die häufig zitierte CO₂-Speicherkapazität von eins bis sechs Milliarden Tonnen ist ein reines Konstrukt, das auf höchst optimistischen Annahmen beruht. In zahlreichen Anhörungen und Stellungnahmen wurden diese Zahlen von den Geostor-Forschenden als realistisch dargestellt – und daraus wurde abgeleitet, dass die Potenziale in der deutschen Nordsee ausreichten, um jährlich 30 bis 60 Millionen Tonnen CO₂ aufzunehmen. Nun haben die Kieler Wissenschaftler:innen in einem Update selbst eingeräumt, dass “raumplanerische, geotechnische und wirtschaftliche Randbedingungen” die tatsächlich nutzbare Speicherkapazität massiv reduzieren werden.

Also gibt es die Endlagerkapazität nur auf dem Papier? 

In der Praxis schrumpft die Anzahl potenzieller Endlagerstätten auf ein paar Dutzend – und selbst dann ist deren tatsächliche Nutzbarkeit alles andere als gesichert. Die ursprünglich im Geostor-Projekt veröffentlichten CO2-Endlagerpotenziale sind nicht haltbar. Über einzelnen Speicherstätten liegen zudem Störzonen, die das Risiko von Leckagen oder sogar katastrophalen Blow-Outs dramatisch erhöhen. Die Annahme, dass in einer Speicherstätte jährlich 10 Millionen Tonnen CO₂ verpresst werden können – das ist das Hundertfache der Menge, die in den letzten Jahren im norwegischen Vorzeigeprojekt Sleipner verpresst worden ist – ist schlichtweg spekulativ und unverantwortlich. Dazu kommen Gefahren durch Erdbeben, die noch gar nicht untersucht wurden.

CCS: Carbon Capture and Storage

Was ist Carbon Capture and Storage?

Text

Die Abkürzung CCS steht für Carbon Capture and Storage, auf deutsch etwa Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Gemeint ist, dass bei industriellen Prozessen und bei der Energieerzeugung anfallendes CO2 abgefangen wird, um es danach endzulagern. 

In der Regel wird das CO2 nach der Abscheidung an der Quelle (z.B. in Kohlekraftwerken oder Zementfabriken) über Pipelines oder Schiffe zu Endlagerstätten transportiert. Dort soll es in tiefen geologischen Formationen, wie ausgebeuteten Ölfeldern oder tiefen Salzwasseraquiferen, dauerhaft gespeichert werden. 

Dabei ist CCS teuer und energieintensiv. Die Technologie erfordert massive Investitionen, die auf dem Weg zur Klimaneutralität stattdessen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz fließen müssen.

Aber gibt es in der Nordsee überhaupt Erdbeben?

Zwar gilt die deutsche Nordsee gemeinhin nicht als seismisch aktiv – doch neue Erkenntnisse belegen, dass die Region geologisch dynamischer ist, als bisher angenommen. So wurde 1931 das Doggerbank-Erdbeben der Stärke 6,1 verzeichnet. Bei CO₂-Endlagern, die über 10.000 Jahre dicht sein sollen, müssen selbst seltene seismische Ereignisse berücksichtigt werden - denn sie hätten katastrophale Folgen. Es genügt, sich vorzustellen, dass ein Ereignis, das statistisch nur einmal in 10.000 Jahren auftritt, in diesem Zeitraum eben nahezu sicher geschieht. Diese Unsicherheit ist nicht hinnehmbar, wenn es um die Sicherheit unserer Umwelt und unserer Zukunft geht. Denn bei einem Erdbeben besteht die Gefahr, dass die Deckschichten der unter Druck stehenden CO2-Speicherstätte ganz plötzlich aufreißen und es zu einem Mega-Blowout kommt.

Welche Schlussfolgerungen ziehst du aus all diesen Punkten?

Die CO₂-Speicherpotenziale sind überzogen, Umwelt- und Sicherheitsrisiken werden ignoriert, Kostenkalkulationen geschönt und dazu kommt ein eklatanter Mangel an Transparenz - das zeichnet ein düsteres Bild. Politische Entscheidungsträger wurden mit falschen Versprechungen gelockt. Denn es ist allzu verführerisch, das CO₂ einfach im tiefen Untergrund zu verstecken, nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“, statt die dringend nötige Energiewende anzupacken. Dies führt nicht zu einer echten Lösung, sondern in einen klimapolitischen Scherbenhaufen. Anstatt Millionen- oder gar Milliardeninvestitionen in ein fragiles und risikoreiches CCS-System zu pumpen, sollten wir endlich auf bewährte, nachhaltige Maßnahmen setzen, die unser Klima schützen und gleichzeitig die Umwelt nicht dauerhaft schädigen.

Wie ist der aktuelle Stand beim CCS-Gesetzentwurf?

Die fossil-industrielle Lobby hat bereits im Januar vergeblich versucht, den CCS-Gesetzentwurf in letzter Minute durchzudrücken – ein klarer Versuch, ihre Interessen ohne Rücksicht auf Umwelt und langfristige Sicherheit durchzusetzen. Dass der Entwurf nicht den erhofften Durchbruch erzielt hat, ist für uns Umweltverbände ein erster Zwischenerfolg. In der neuen Regierung muss das Verfahren jetzt grundsätzlich neu aufgerollt werden – und wir fordern, dass man sich endlich von dieser gefährlichen Scheinlösung verabschiedet und stattdessen in zukunftssichere, erneuerbare Technologien investiert.

In einem in Berlin kursierenden Lobby-Papier hieß es, die Grünen sollten die erreichten Kompromisse – etwa die 8 Kilometer breite Schutzzone um Naturschutzgebiete – als Erfolg werten und dem CCS-Gesetzentwurf zustimmen. Was ist da dran?

Hinter diesem Vorschlag steckt eine unverhohlene Erpressung: Jetzt müsst ihr zustimmen, sonst würden die Schweinswale in der Nordsee nicht geschützt. Zum Glück haben sich die Grünen nicht auf diesen Deal eingelassen. Denn der geplante Einsatz von Schallkanonen, zur Suche nach CO₂-Endlagerstätten und für das Monitoring unter dem Meeresboden unerläßlich, erzeugt einen extrem hohen Schalldruck, der das empfindliche Gehör der Schweinswale massiv stört und sogar zu chronischem Stress, Hörverlust oder irreversiblen Gewebeschäden führen kann. Die Schutzzone hat nur eine Alibi-Funktion, weder halten sich die Schweinswale nur innerhalb der Naturschutzgebiete auf, noch hört die schädigende Schallausbreitung an der Grenze auf.

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© Bente Stachowske / Greenpeace

CCS: Mythen und Fakten

Überblick

Nun leider doch: Die Bundesregierung beschließt, CO2 im Meer zu versenken. Doch CCS ist keine Lösung – aktuelle Studien beleuchten die Risiken der CO2-Verpressung und bewerten den Gesetzentwurf.

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Wie genau schädigen die Schallkanonen die Schweinswale?

Die Schallkanonen senden ohrenbetäubend laute Wellen aus, deren Schall sich kilometerweit im Wasser ausbreitet. Für Schweinswale – deren Überleben von einem intakten Gehör abhängt – bedeutet das nicht nur akuten Lärm, sondern auch chronischen Stress, bis hin zum Hörverlust und sogar Gewebeschäden im Innenohr. Solche Eingriffe in die Meeresökosysteme sind inakzeptabel.

Und was ist mit den Kosten? Was soll der Bau der CO2-Entsorgungs-Infrastruktur, die Erkundung und der Betrieb von CO₂-Endlagern eigentlich kosten?

Hier zeigt sich erneut ein intransparentes Bild: Im Rahmen des Geostor-Projekts verweisen die Wissenschaftler von Geomar in Kiel auf eine Konzept- und Machbarkeitsstudie des Ingenieurbüros Fichtner – doch in ihrem veröffentlichten Endbericht fehlt jegliche konkrete Kostenschätzung. Statt detaillierter Zahlen finden sich lediglich Allgemeinplätze. Uns wird die Herausgabe realistischer Kostenschätzungen systematisch verweigert, obwohl Fichtner mit über 200.000 Euro an öffentlichen Forschungsgeldern gefördert wurde. Wir befürchten, dass wirtschaftliche Interessen hier im Vordergrund stehen und man das Projekt darum mit unrealistischen Vorannahmen schönrechnet.

Diese Intransparenz gefährdet nicht nur die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit des GEOSTOR-Projekts, sondern untergräbt auch das Vertrauen in die CCS-Strategie der Bundesregierung.

Überhöhte Angaben zu den CO2-Endlagerpotentialen, ignorieren der Erdbebengefahr, geschönte Kostenkalkulationen und Missachtung von Umweltauswirkungen, das ist schon harter Tobak. Wie geht es jetzt weiter?  

Die neue Regierung hat jetzt die Chance, das CCS-Gesetz in seiner derzeitigen Form zu verhindern – und damit einen entscheidenden Schritt gegen eine Scheinlösung zu gehen. Sie sollte nicht in die fossil-industrielle Falle tappen. Es ist höchste Zeit, den Kurs radikal zu ändern und stattdessen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und echte Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Nur so vermeiden wir, dass unrealistische Versprechen und verdeckte Risiken Jahrzehnte später in ein Desaster münden.

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