LNG: Wie Deutschland in neue fossile Abhängigkeiten gerät
- mitwirkende Expert:innen Mira Jäger
- Überblick
Aktivist:innen protestierten fast 30 Stunden im belgischen Zeebrügge gegen LNG-Importe. Eine neue Greenpeace-Recherche beleuchtet die fossilen Abhängigkeiten zwischen Europa, USA und Russland.
Deutschland will eigentlich bis 2045 klimaneutral sein, doch die aktuelle Gaspolitik der Bundesregierung entspricht dem nicht. Seit infolge des Angriffskriegs auf die Ukraine kein russisches Pipelinegas mehr nach Deutschland fließt, setzt die Bundesregierung alles daran, neue Quellen für den fossilen Brennstoff zu finden - darin unterscheidet sich die Koalition von Union und SPD nicht von der im vergangenen Jahr abgewählten Bundesregierung unter Olaf Scholz. Nicht nur in Deutschland stößt eine solche Politik auf Widerstand: Im belgischen Zeebrügge protestierten von Mittwochnachmittag bis zum Donnerstagabend Aktivist:innen aus 17 Ländern gegen überdimensionierte LNG-Importe aus Russland und den USA in die EU.
Russisches LNG: Milliarden für den Kreml
© Eric De Mildt / Greenpeace
Zwei Gasfreunde: Protestaktion gegen LNG-Transporte im Oktober 2025 in Belgien
Dazu hatten die Aktivist:innen überlebensgroße Skulpturen von Donald Trump und Wladimir Putin im Bereich des LNG-Terminals im Hafen von Zeebrügge platziert. Die beiden Staatschefs waren auf einem zehn Meter langen Modell eines Gastankers dargestellt, an dessen Längsseite „Fossil Gas“ geschrieben stand. Direkt daneben zeigte das Aktionsschiff "Witness" Banner mit der Aufschrift „They love gas, you pay the price“ und „Stop Fossil Gas“. Begleitet wurden die Szene von Aktivist:innen in Kajaks und Schwimminseln. Die Demonstrierenden blieben über Nacht, erst am Donnerstagabend wurde die Protestaktion von der Polizei beendet.
Die Aktion richtete sich gegen den massiven Import von Flüssiggas aus Russland und den USA – und gegen die klimapolitischen Folgen, die Europa damit in Kauf nimmt. Zeebrügge spielt hierbei eine Schlüsselrolle: Das dortige LNG-Terminal gilt als wichtigster Umschlagplatz für russisches Flüssiggas in die EU.
Eine neue Greenpeace-Recherche, die gestern im Vorfeld der Aktion veröffentlicht wurde, zeigt: Europas Abhängigkeit von fossilem Gas ist nicht nur ein Klimaproblem, sondern finanziert auch Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Auch das deutsche Staatsunternehmen Sefe nimmt in großen Mengen Flüssigerdgas (LNG) aus Russland ab – und erwirtschaftet damit Gewinnsteuern für den Kreml in Milliardenhöhe.
Über das russische Unternehmen Yamal LNG wird der Großteil des Handels abgewickelt. Nach Berechnungen von Greenpeace erzielte Yamal allein zwischen 2022 und 2024 rund 40 Milliarden US-Dollar Umsatz – und überwies davon geschätzte 9,5 Milliarden US-Dollar an den russischen Staat. Geld, das in Waffensysteme fließen kann: rein rechnerisch reicht dieser Betrag zur Finanzierung von mehr als 270.000 Shahed-Drohnen, die Russland regelmäßig für Angriffe auf die Ukraine einsetzt.
Alleine die Sefe trug mit ihren Geschäften etwa 1,45 Milliarden US-Dollar Gewinnsteuer zu diesen Einnahmen bei – und ist noch bis mindestens 2038 an Lieferverträge mit Yamal gebunden. Der Anteil von Sefe würde bereits ausreichen, um 40.000 Drohnen zu finanzieren. Ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Vertrag wäre allerdings möglich – bei einem EU-weiten Verbot von LNG-Importen aus Russland, wie es das 19. Sanktionspaket der EU-Kommission vorsieht.
Der Report hält außerdem fest, dass Frankreich, Spanien, die Niederlande und Belgien seit 2022 zusammengenommen 34,3 Milliarden Euro für russisches LNG ausgegeben haben – das ist deutlich mehr als ihre Hilfe für die Ukraine im gleichen Zeitraum (21,2 Milliarden Euro). Doch auch die Alternative aus den USA ist hochproblematisch. Dort wird Gas vor allem durch umweltschädliches Fracking gewonnen. Zudem sind die Ausbaupläne maßlos: Bereits die genehmigten US-Projekte würden ab 2030 die gesamte im IEA-Szenario „Net Zero by 2050“ erwartete weltweite LNG-Handelsmenge überschreiten.
LNG-Deals mit USA zulasten des Klimas
Etwa 85 Prozent der deutschen LNG-Importe kommen aus den USA, wo das fossile Gas größtenteils mit der extrem umwelt- und gesundheitsschädlichen Fracking-Methode ausgebeutet wird. Gerade wegen der verheerenden Folgen für Menschen und Umwelt ist Fracking in Deutschland und den meisten Ländern der EU zu recht verboten.
Der scheidende US-Präsident Joe Biden hatte 2023 einen Stopp weiterer Projekte zum Export von LNG veranlasst und umfangreiche Umwelt- und Klimaschutzprüfungen angeordnet. Donald Trump hingegen treibt getreu seines Mottos “Drill, baby, drill!” die Förderung von klimaschädlichen fossilen Energiequellen massiv voran.
Ein Bericht von Greenpeace USA, Earthworks und Oil Change International aus dem Juli 2025 warnt eindringlich vor den klimapolitischen und finanziellen Risiken fünf geplanter US-Gasexportprojekte. Die Analyse zeigt: Keines dieser Vorhaben ist mit Klimaschutzvorgaben vereinbar, die das US-Energieministerium erst 2024 formuliert hat. Stattdessen behindern die LNG-Großprojekte den Ausbau erneuerbarer Energien und zementieren die globale Abhängigkeit von fossilen Energien.
Das betrifft auch Europa. Die Analyse belegt, dass europäische Energieunternehmen, darunter die deutschen Konzerne Sefe, EnBW und BASF, bereits langfristige Abnahmeverträge für einige dieser Projekte abgeschlossen haben – mit Laufzeiten weit über 2035 hinaus, dem Jahr, in dem die EU aus fossilen Energien aussteigen muss, um internationale Klimaziele noch einhalten zu können.
So gefährden politische Entscheidungen in den USA die Energiewende auf der anderen Seite des Atlantiks: Dass US-Präsident Trump im Zollstreit mit der Europäischen Union LNG-Abnahmeverträge als geopolitisches Druckmittel nutzt, ist darum mehr als unfaire Handelspolitik: Es ist ein verhängnisvoller Tiefschlag im Kampf gegen die Klimakrise.
Protest bei LNG-Gipfel
© Paul Lovis Wagner / Greenpeace
9.12.2024: Greenpeace-Aktivist:innen demonstrieren mit einer Videoprojektion an die Fassade des Hotels Adlon gegen den “World LNG Summit” in Berlin und den weiteren Ausbau von Hafenanlagen für den Import von Flüssiggas (LNG) nach Europa.
Bei dieser Politik scheinen Umweltschäden – etwa durch Fracking in den USA – oder Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen keine größere Rolle zu spielen. Höchstpersönlich reiste Scholz etwa nach Katar, um einen Deal über Erdgaslieferungen an das brandneue LNG-Terminal in Brunsbüttel einzufädeln. Auch den Präsidenten Aserbaidschans, Ilham Alijew, empfing er im Kanzleramt, um erfolgreich über die Steigerung von Exportmengen zu verhandeln. Und das, obwohl der Autokrat zeitgleich die Menschen in der Region Bergkarabach von der Versorgung mit Lebensmitteln abschnitt und damit eine humanitäre Krise auslöste.
Politisch unproblematische Handelspartner scheinen hingegen auf den ersten Blick die deutschen Nachbarn Belgien und die Niederlande zu sein. Doch beide Länder beziehen – neben Fracking-Gas aus den USA – noch immer LNG aus Russland, welches dann über das europäische Pipeline-Netz auch nach Deutschland gelangt.
Greenpeace-Aktivist:innen demonstrierten am 9. Dezember 2024 frühmorgens mit einer Projektion gegen den “World LNG Summit” in Berlin und den weiteren Ausbau von Hafenanlagen für den Import von Flüssiggas (LNG) nach Europa. An die Fassade des Luxushotels Adlon projizierten sie den Slogan “Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge” projiziert. Im Hotel kommt die Gasindustrie und -lobby zu einem internationalen Vernetzungstreffen zusammen. “Auf ihrer Champagnerparty schmiedet die Gasindustrie Pläne, wie sie ihr zerstörerisches Geschäftsmodell möglichst lange aufrechterhalten kann. Für Menschen, die weltweit heute bereits unter der immer schneller voranschreitenden Klimakatastrophe leiden, ist das ein Schlag ins Gesicht ”, sagt Mira Jäger, Energieexpertin von Greenpeace.
Protest gegen Fracking-Flüssiggas aus den USA
Import von Gas kurbelt die Produktion an
Langfristige Lieferverträge mit Export-Partnern zementieren nicht nur die Abhängigkeit Deutschlands von schmutzigem Erdgas über einen viel zu langen Zeitraum. Sie kurbeln auch international die Gasproduktion an, weil sie langfristige Nachfrage signalisieren. Das bescheinigt auch ein Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP): Die für 2030 geplanten Förderungen fossiler Energien übersteigen demnach die mit den Pariser Klimazielen zu vereinbarenden Mengen um mehr als das Doppelte – die 1,5-Grad-Grenze kann so auf keinen Fall eingehalten werden. Anstatt, wie dringend nötig, die Förderung von Kohle, Öl und Gas ab sofort drastisch zu reduzieren, wird der Abbau von Kohle demnach noch bis 2030 steigen, die Förderung von Öl und Gas sogar bis ins Jahr 2050. So rücken sämtliche nationale, europäische und globale Klimaziele in weite Ferne und der Planet heizt sich ungebremst weiter auf.
Den Boom der Gas-Infrastruktur in Deutschland wie in ganz Europa begründen die Regierungen mit der viel beschworenen “Energiesicherheit”. Mehrere Studien kommen jedoch zu dem Schluss, dass europaweit massive Überkapazitäten für LNG-Importe geschaffen werden. So berechnet beispielsweise das Institute for Energy Economics and Financial Analysis, dass die derzeitigen Ausbaupläne für Europa bis 2030 LNG-Importkapazitäten ermöglichen, die mehr als doppelt so hoch liegen als der bis dahin prognostizierte Bedarf. Laut ihrer Analyse wird die jetzt entstehende Infrastruktur im Jahr 2030 nur zu etwa einem Viertel ausgelastet sein und demnach ein Großteil als “stranded assets” (verlorene Vermögenswerte) ungenutzt bleiben. Höhere Auslastungen wiederum wären fürs Klima katastrophal.
Trotz des Widerspruchs zu den Klimazielen und des Risikos, bei unausgelasteten Import-Terminals auf milliardenschweren Investitionsruinen sitzen zu bleiben, ist weder in Deutschland noch auf europäischer Ebene ein Umdenken in Sicht – im Gegenteil. Obwohl die drei schwimmenden LNG-Terminals in Deutschland bei weitem nicht ausgelastet sind und auch im dritten Winter nach Kriegsbeginn keine Gasmangellage zu erwarten ist, soll am Bau von drei festen Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade festgehalten werden.
Der Gaskanzler Report
Anzahl Seiten: 21
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