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Wind Farm near Nauen, Germany
© Paul Langrock / Greenpeace

Kritik am Energiewende-Monitoringbericht

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Der Vergleich zweier Fassungen des Monitoringberichts zur Energiewende zeigt: Das auftraggebende Wirtschaftsministerium hat entscheidende Passagen verändert. Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid spricht über Einflussnahme, fossile Interessen und ein demokratisches Problem.

In einer Pressemitteilung äußerte Greenpeace am 16. Dezember deutliche Kritik am Umgang des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWE) mit dem Monitoringbericht zur Energiewende. Greenpeace hatte die Dokumente nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) erstritten und erst nach Androhung einer Untätigkeitsklage mit erheblichen Schwärzungen erhalten. Beim Abgleich mit der ursprünglich vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) abgegebenen Endversion fällt auf, dass das Gutachten offenbar auf Wirtschaftsministerin Katherina Reiches (CDU) Hauslinie getrimmt wurde. Das BMWE leugnet jegliche Einflussnahme, obwohl Dokumente, die Greenpeace veröffentlicht hat, das Gegenteil belegen.

Portrait of Karsten Smid

Karsten Smid arbeitet seit 2000 bei Greenpeace zu Klima- und Energiepolitik und unterstützt investigative Recherchen.

Greenpeace.de: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche spricht von einem „Scheideweg der Energiewende“. Teilt Greenpeace diese Einschätzung?

Karsten: Smid: Nein. Dieser angebliche „Scheideweg“ ist konstruiert – und zwar auf Basis eines Berichts, der genau dafür zurechtgebogen wurde. Was Ministerin Reiche als nüchterne Analyse verkauft, ist in Wahrheit politische Meinung mit einem zweifelhaften wissenschaftlichen Qualitätssiegel. Das ist hochproblematisch.

Du sprichst den Monitoringbericht zur Energiewende an. Was ist daran so brisant?

Der Bericht ist kein unabhängiges Gutachten. Er wurde nachweislich nach Fertigstellung politisch nachbearbeitet. Die Originalfassung lag am 29. August 2025 final vor und wurde an Staatssekretär Frank Wetzel im Wirtschaftsministerium gemailt. Danach folgten mindestens 28 gezielte inhaltliche Änderungen, die weit über redaktionelle Anpassungen hinausgingen – subtil, aber in der Wirkung massiv.

Das Wirtschaftsministerium bestreitet jede Einflussnahme. Auf eine parlamentarische Anfrage von Michael Kellner (Grüne) wurde behauptet, der Bericht sei „unverändert“. 

Und genau das ist der nächste Skandal. Diese Aussage ist nachweislich falsch. Im E-Mail-Verkehr können wir nachweisen: Das EWI strebte eine Abgabe des fertiggestellten Gutachtens bis 29. Juli 15.00 Uhr an, die passwortgeschützte E-Mail zum Download des Gutachtens ging dann am besagten Freitag um 15:46 Uhr raus. Das Ministerium hat sich bei der Endfassung aber noch Korrekturen ausgebeten: „wir [werden] sie informieren welche Anpassungen erforderlich werden“, heißt es in der E-Mail vom BMWE an das EWI. Der Bericht Versorgungssicherheit Strom (VSM) der Bundesnetzagentur wurde den Gutachter:innen am 6. August vorab vertraulich zur Verfügung gestellt, der muss nun als Ausrede herhalten. Es geht hier nicht um redaktionelle Korrekturen, sondern um inhaltliche Eingriffe mit klarer Stoßrichtung: Kosten der Energiewende wurden überhöht, positive Aussagen zum Erneuerbaren-Ausbau abgeschwächt oder gestrichen. 

Ein konkretes Beispiel?

Gerne. Die Gutachter bewerteten den massiven Zubau neuer Gaskraftwerke ursprünglich als „unwahrscheinlich“. In der veröffentlichten Fassung wurde daraus „fraglich“. Das klingt harmlos – öffnet politisch aber Tür und Tor für neue fossile Investitionen. Das 80-Prozent-Ziel für Erneuerbare verschwand sogar aus einer zentralen Grafik. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien zeigt sich ebenfalls eine relevante Abschwächung. In der Endfassung wurde der klare Hinweis entfernt, dass das Ziel von mindestens 80 Prozent erneuerbarem Strom im Jahr 2030 auch verfehlt werden könnte. Darüber hinaus fehlt nun auch die Aussage, dass „mehr installierte Kapazität als bisher unterstellt notwendig sein“ könnte.Das Ziel war offensichtlich: Reiches später präsentierter 10-Punkte-Plan sollte plausibel erscheinen.

Wie bewertest du Reiches Umgang mit dem Bericht auf der Pressekonferenz?

Ministerin Reiche präsentierte ihre eigene, nachträglich eingefügte Kritik an der Kosteneffizienz der Energiewende als angebliches Fazit der Gutachter. Das ist eine Verdrehung der Rollen: Erst wird politisch eingegriffen – dann wird das Ergebnis als neutrale Wissenschaft ausgegeben.

Welche Rolle spielt Carbon Capture and Storage (CCS) in diesem Zusammenhang?

CCS, also Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, ist ein Paradebeispiel für Reiches fossile Agenda. In der Beauftragung des Gutachtens sollte untersucht werden, ob CCS statt Elektrifizierung genutzt wird – inklusive robuster Trends. Fakt ist: In den von Greenpeace erstrittenen Unterlagen taucht CCS überhaupt nicht auf. Kein Wort. Keine Analyse. Nichts. Und plötzlich steht CCS wieder ganz oben – in Reiches 10-Punkte-Plan, mit dem Verweis auf eben dieses Gutachten. Das ist völlig faktenfrei.

Wie bewertest Du den offiziellen Bericht der Expertenkommission vom Dezember 2025?

Er entlarvt Reiches Narrativ vollständig. Kein „Scheideweg“. Kein Abrücken von Klimazielen. Stattdessen: mehr Tempo, klare Regeln, Verlässlichkeit. Also genau das Gegenteil dessen, was Reiche politisch propagiert. 

Windräder vor Morgenrot
© Bernd Lauter / Greenpeace

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Welche Rolle spielt der Energiekonzern E.on?

E.on ist zum einen der Ex-Arbeitgeber von Katherina Reiche, zum anderen langjähriges Mitglied der Fördergesellschaft des EWI, und finanzieller Unterstützer des Instituts, das federführend am Gefälligkeitsgutachten beteiligt war. Bereits 2008 haben E.on und RWE gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen 12 Millionen Euro bereitgestellt, um das EWI gezielt auszubauen. Da besteht zumindest ein Interessenkonflikt.

Wie soll es jetzt mit der Energiewende weitergehen? Was gilt, das Gutachten von EWI oder der wissenschaftliche Bericht der Expertenkommission? 

Weder noch. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie antwortete auf eine parlamentarische Anfrage, dass sie konkrete Maßnahmen für die Umsetzung auf Basis des 10-Punkte-Plans von Katherina Reiche vorbereiten. Fachlich fundiert ist dieser Plan nicht – er basiert weder auf dem Monitoringbericht noch auf unabhängiger Analyse, sondern ist ein Positionspapier aus Reiches eigener Feder. Mir kommt er vor wie eine Wunschliste von E.on, RWE und VKU. 

Was ist dein Fazit?

Das Wirtschaftsministerium bestellt einen Bericht – offenbar mit politischem Spin – erhält ihn und schreibt ihn anschließend so um, dass er zur eigenen Agenda passt. Aussagen wie „mehr Erneuerbare nötig“ werden gestrichen, Gas und CCS werden salonfähig gemacht. Katherina Reiche betreibt fossile Lobbypolitik im Ministeramt. Sie bremst die Energiewende, anstatt sie konsequent voranzubringen. Klimaschutz behandelt sie als nachrangiges Thema, statt ihn als zentrale Herausforderung unserer Zeit zu begreifen. Damit täuscht Katherina Reiche Parlament und Öffentlichkeit mit beschönigenden Darstellungen. Das ist nicht nur schlechte Politik. Das ist ein demokratisches Problem.

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