Ohne mich! Kein Zwang zur Uniform
Warum eine neue Wehrpflicht Deutschland nicht weiterhilft
Zwang zum Dienst an der Waffe schafft keine Sicherheit – er zerstört Vertrauen und raubt jungen Menschen ihre Freiheit.
- Ein Artikel von Eva Schaper
- Hintergrund
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat in Deutschland eine Phase beschleunigter Aufrüstung ausgelöst. Mit dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen im Jahr 2022 und einer Grundgesetzänderung 2025, die eine unbegrenzte Finanzierung der Bundeswehr ermöglicht, wurden zentrale finanzielle Hürden für militärische Expansion beseitigt.
Nun bereitet die Bundesregierung die Rückkehr zur Wehrpflicht vor. Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich das Verteidigungsministerium und die Regierungsfraktionen im November 2025 auf einen Kompromiss zum Wehrdienstmodernisierungsgesetz geeinigt. Vorgesehen ist eine Musterung aller deutschen Männer ab dem Geburtsjahrgang 2008. Sollten sich weniger Freiwillige melden, als der Aufbauplan vorgibt, wird ein neues Gesetzgebungsverfahren eingeleitet, das die Bedarfswehrpflicht regeln soll.
Ohne Änderung des Grundgesetzes wäre ein weiterhin diskutiertes Losverfahren voraussichtlich auch im Jahr 2035 verfassungswidrig, da es das Gebot der Wehrgerechtigkeit verletzt. Das zeigt ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten. Der verfassungsrechtlich hoch umstrittene § 2a WPflG, der die Wiedereinführung der Wehrpflicht per einfacher Rechtsverordnung ermöglicht hätte, wurde gestrichen. Damit ist einer der größten Kritikpunkte von Greenpeace geändert worden.
“Ein Zwang zum Wehrdienst bleibt vorerst aus – das ist gut und entspricht dem, was die meisten jungen Menschen sich wünschen. Es ist richtig, die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht per einfacher Rechtsverordnung aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Greenpeace hatte frühzeitig gefordert, dass hierzu ein separates Gesetz nötig ist. Gut, dass die Parlamentarier dies nun auch so sehen."
Greenpeace-Kampagne zur Wehrpflicht
Die Bundesregierung hatte am 27. August 2025 im Kabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, der zu Streitigkeiten auch innerhalb der Fraktionen führte. Der vorgelegte Gesetzesentwurf enthielt die Option, zur Wehrpflicht zurückzukehren und junge Männer zum Dienst an der Waffe zu zwingen.
Nun wurde der Gesetzesentwurf weitestgehend angepasst - nicht zuletzt durch Proteste von Jugendverbänden, so auch der Greenpeace Jugend, gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht. In einem Verbändebrief hatten sie sich an die Bundesregierung gewandt.
Rechtsgutachten zum Wehrdienstgesetz
Zu dem ersten Gesetzesvorschlag der Bundesregierung ließ Greenpeace ein Rechtsgutachten erstellen, dass ganz klar zeigte: Käme dieser Entwurf durch, wäre er an zentralen Punkten verfassungswiedrig. Die Ergebnisse des Gutachtens vom 22. September, bezugnehmend auf den Entwurf vom August waren:
- Die geplante Regelung, wonach die Bundesregierung die Einberufung zum Grundwehrdienst per Rechtsverordnung anordnen könnte, ist verfassungswidrig. Sie verletzt den sogenannten Gesetzesvorbehalt: Entscheidungen mit so tiefgreifenden Folgen für die Grundrechte der Betroffenen und für die gesamte Gesellschaft dürfen nicht der Regierung überlassen werden, sondern müssen vom Parlament selbst getroffen werden.
- Zudem verstößt die Regelung gegen das Bestimmtheitsgebot. Dieses verlangt, dass Gesetze klar und präzise formuliert sein müssen, damit Bürger:innen wissen, was auf sie zukommt, und Gerichte staatliches Handeln wirksam kontrollieren können. Der Entwurf enthält jedoch keine klaren Kriterien für eine mögliche Reaktivierung der Wehrpflicht. Damit läge die Entscheidung weitgehend im Ermessen der Bundesregierung, ohne dass eine wirksame rechtliche Kontrolle gewährleistet wäre.
Eine Auswahlwehrpflicht verletzt außerdem die Wehrgerechtigkeit: Derzeit können aus Kapazitätsgründen (fehlende Infrastruktur) noch gar nicht alle geeigneten Wehrpflichtigen ausgebildet werden. Die Studie meint dazu wörtlich: “Eine solche “Auswahlwehrpflicht” lässt sich auf Basis des aktuellen Entwurfs nicht ohne Bruch mit diesem Grundsatz umsetzen. Die Diskrepanz zwischen der Zahl wehrpflichtiger Personen und dem deutlich geringeren Bedarf der Bundeswehr könnte die Wehrpflicht insgesamt verfassungswidrig machen, falls der Gesetzgeber nicht nachbessert. Doch selbst mit einer Gesetzesänderung ließe sich eine Auswahlwehrpflicht nicht verfassungskonform einführen, da so weitreichende Ausnahmen mit der Wehrgerechtigkeit unvereinbar bleiben.”
„Das Wehrdienstmodernisierungsgesetz ist für mich ein klarer Schritt zur Wiedereinführung der Wehrpflicht – und das halte ich für falsch. Engagement entsteht aus Freiwilligkeit, nicht durch Zwang. Gerade unsere Generation, die schon durch die Folgen der Corona-Pandemie, ein überholtes Bildungssystem und eine unsichere Zukunft angesichts der Klimakrise belastet ist, sollte nicht zusätzlich unter Druck gesetzt werden.”
Greenpeace Jugend protestiert gegen die Wehrpflicht
Umfrage: die Mehrheit sieht ihre Grundrechte durch die Wehrpflicht bedroht
Eine Mehrheit der jungen Erwachsenen (57 Prozent) lehnt die Rückkehr zur Wehrpflicht ab, 61 Prozent sehen darin einen erheblichen Eingriff in die persönlichen Grundrechte junger Menschen. Das zeigt eine von Greenpeace beauftragte Umfrage unter 16 bis 25-Jährigen. Sie ist bevölkerungsrepräsentativ für diese Zielgruppe. Besonders deutlich: 72 Prozent wünschen sich, in die politische Diskussion um die Wehrpflicht aktiv einbezogen zu werden.
In der Debatte um die Wehrpflicht darf unsere Stimme nicht übergangen werden. Ein Zwangsdienst durch die Hintertür nimmt uns unsere Freiheit und blendet unsere Perspektive aus. Aufrüstung schafft keine Sicherheit – im Gegenteil, sie schürt Konflikte. Wir Jugendliche haben das Recht, selbst zu entscheiden, wie wir leben und unsere Zukunft gestalten wollen.
Attraktivität statt Zwang!?
Eine allgemeine Wehrpflicht ist weder sicherheitspolitisch notwendig noch gesellschaftlich gerechtfertigt. Die gegenwärtige Lage verlangt keinen derart massiven staatlichen Eingriff in die Lebensplanung junger Menschen. Eine von Greenpeace beauftragte Studie zeigt, dass die Nato Russland bereits militärisch überlegen ist – personell, technologisch und finanziell. Grenzenlose Aufrüstung ist daher nicht erforderlich.
Statt auf Zwangsdienste zu setzen, sollte die Bundeswehr endlich ihre strukturellen Probleme angehen. Eine Greenpeace-Recherche zur Attraktivität der Bundeswehr zeigt: zahlreiche Kasernen sind sanierungsbedürftig, Instandhaltungen (sowie auch schon die Beauftragungsprozesse) funktionieren Bürokratie bedingt nur schleppend. Außerdem ist die Digitalisierung der Standorte unzureichend und die hierarchische Struktur erschwert eine flexible, zeitgemäße Ausbildung. Zudem zeigen sich kulturelle Defizite: Fälle von Rechtsextremismus, mangelnde Diversität und sexualisierte Gewalt belasten das Arbeitsklima. Das führt dazu, dass es der Bundeswehr trotz hoher Investitionen in Werbung und Imagekampagnen nicht gelingt, junge Menschen langfristig zu binden – die Abbruchquoten im freiwilligen Wehrdienst bleiben hoch.
Sicherheit entsteht nicht durch mehr Rekrut:innen
Auch wenn die Bedrohung durch Russland bei vielen den Ruf nach mehr Militär auslöst, führt eine personelle Aufrüstung nicht automatisch zu mehr Sicherheit. Im Gegenteil: Sie bindet Ressourcen, die dringend für die Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimakrise, Artensterben, Armut und soziale Ungleichheit benötigt werden - Herausforderungen, die langfristig ebenso sicherheitsrelevant sind wie militärische Bedrohungen, da sie soziale Spannungen verschärfen, Fluchtbewegungen auslösen und geopolitische Instabilität fördern können.
Rechtsgutachten zum neuen Wehrpflichtgesetz
Anzahl Seiten: 43
Dateigröße: 2.34 MB
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Rechtsgutachten zum Losverfahren im neuen Wehrpflichtgesetz
Anzahl Seiten: 10
Dateigröße: 261.89 KB
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Die Attraktivitätskrise der Bundeswehr
Anzahl Seiten: 23
Dateigröße: 1.5 MB
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Umfrage zu Wehrpflicht unter Jugendlichen
Anzahl Seiten: 8
Dateigröße: 353.2 KB
HerunterladenHäufige Fragen zur Wehrpflicht
Wann wird in Deutschland die Wehrpflicht eingeführt?
Der Gesetzentwurf, über den im Herbst entschieden werden soll, eröffnet die Möglichkeit, bei besonderer sicherheitspolitischer Lage und mangelndem Erfolg bei der freiwilligen Rekrutierung zur Wehrpflicht zurückzukehren. Schon heute herrscht allerdings in vielen Teilen der politischen Öffentlichkeit die Ansicht vor, dass das Gesetz vor allem darauf abzielt, die Voraussetzungen für eine umfassende Wiedereinführung der Wehrpflicht zu schaffen.
Wer wird bei der Wehrpflicht eingezogen?
Aktuell noch niemand! Nach der Gesetzesvorlage sollen ab Juli 2027 zunächst Männer und Frauen aus dem Geburtsjahrgang 2008 angeschrieben und gemustert werden. Für Frauen ist die Teilnahme an diesen Aktivitäten freiwillig, für Männer verpflichtend. Sollten über diese Maßnahmen nicht genügend Freiwillige akquiriert werden, droht binnen weniger Jahre die Rückkehr zur Wehrpflicht.
Kann in Deutschland der Wehrdienst verweigert werden?
Ja. Das Grundgesetz garantiert das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen.
Kann im Kriegsfall der Wehrdienst verweigert werden?
Ja, der Wehrdienst kann auch im Kriegsfall verweigert werden. Das Grundgesetz garantiert das Recht, den Dienst mit der Waffe zu verweigern.
Wann wurde in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft?
Die Wehrpflicht wurde per Gesetz 2011 ausgesetzt, abgeschafft wurde sie nicht. Sie kann durch ein neues Gesetz reaktiviert werden, das bedeutet, es reicht eine einfache Mehrheit der Anwesenden
In welchem Alter würde die Wehrpflicht beginnen?
Die Wehrpflicht beträfe Männer ab Vollendung des 18. Lebensjahres. Das aktuell geplante Gesetz sieht vor, junge Menschen ab Geburtsjahrgang 2008 zu kontaktieren und über die Teilnahme an einer schriftlichen Befragung und einer Musterung für den freiwilligen Wehrdienst zu motivieren.
Warum gibt es keine Wehrpflicht für Frauen?
Das Grundgesetz sieht derzeit nur für Männer die Wehrpflicht im Spannungs- und Verteidigungsfall vor. Die aktuelle Gesetzesvorlage plant dies bei einer “besonderen verteidigungspolitischen Lage”. Im Artikel 12 des Grundgesetzes ist geregelt, dass Frauen nicht zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden, dies aber freiwillig tun dürfen. Der aktuelle Gesetzentwurf sieht keine Option zu einer verpflichtenden Heranziehung von Frauen vor, da dafür eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erfordert.
Ist die Wehrpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar?
Ja, die Wehrpflicht ist eine in Artikel 12a Grundgesetz geregelte Grundpflicht deutscher Bürger (nicht Bürgerinnen). Sie wurde im Jahre 2011 ausgesetzt (§ 2 WPflG), wird im Spannungs- und Verteidigungsfall (Art. 80a u. 115a GG) aber automatisch wieder eingesetzt.