Ein globaler Plastik-Vertrag
Eine historische Chance unserer Generation, Menschen und den Planeten vor der Klima- und Plastikkrise zu schützen.
- Hintergrund
Eine historische Chance, für die in Nairobi bei der UN-Umweltversammlung im März 2022 die Weichen gestellt wurden: Die Vereinten Nationen verhandeln über ein verbindliches globales Abkommen gegen Plastikverschmutzung.
Die vierte Verhandlungsrunde fand vom 23. bis 29. April 2024 im kanadischen Ottawa statt und ist das vorletzte Treffen. Sie endete mit einem Minimalkompromiss, die Fronten zwischen den Ländern sind verhärtet. Trotzdem sollen die Verhandlungen wie geplant im Dezember in Südkorea abgeschlossen werden. Immerhin konnten sich die Länder zum ersten Mal auf technische Arbeitsgruppen einigen, die bis zur nächsten Runde weiterarbeiten. Greenpeace kritisiert die andauernde Blockade durch die Öl- und Plastik-Lobby und zieht eine ernüchternde Bilanz.
Mit vielen verbündeten Umweltschutzorganisationen war auch Greenpeace wieder vor Ort und fordert erneut, die Plastikproduktion durch das UN-Abkommen bis 2040 um 75 Prozent zu reduzieren. Aus über 170 Ländern kommen Delegierte zusammen, für die Bundesregierung reist Umweltministerin Steffi Lemke an. "Mit jedem Tag ohne starkes Plastikabkommen versinkt die Welt tiefer in Plastikmüll", so Panhuber. "Weiteres Taktieren und Verzögern kann sich der Planet nicht leisten. Statt Scheinlösungen, wie etwa chemisches Recycling, braucht es klare Vorgaben, die die weltweite Plastikproduktion bis 2040 um mindestens 75 Prozent reduzieren. Dazu gehören ein verbindlicher globaler Reduktionspfad, Mehrweg-Quoten für Verpackungen und Verbote für vermeidbare Einwegplastik-Produkte."
Lisa Panhuber nahm an den UN-Verhandlungen teil und appelliert an Lemke, sich weiterhin für eine drastische Reduktion der Kunststoffproduktion einzusetzen: "Umweltministerin Steffi Lemke muss sich für eine verbindliche weltweite Reduktion der Plastikproduktion einsetzen. Zudem müssen sich die Staaten mit dem Abkommen verpflichten, von Einweg- auf Mehrwegverpackungen umzusteigen. Auch muss ein Finanzierungsmechanismus, der vor allem Abfallvermeidung und Wiederverwendung priorisiert, verankert werden. Nur wenn das Problem an der Quelle gestoppt wird, können die Staaten ihr Versprechen einlösen und unsere Gesundheit, Umwelt, Tiere und Klima schützen."
Im Februar dieses Jahres befragte das Meinungsforschungsinstitut Censuswide online im Auftrag von Greenpeace International insgesamt gut 19.000 Menschen in Deutschland und 18 weiteren Ländern, wie sie zur Plastikkrise stehen. Das Ergebnis der weltweiten Umfrage ist eindeutig: Vier von fünf Befragten wollen, dass künftig weniger Plastik produziert wird. 90 Prozent der Befragten sprechen sich zudem für die Umstellung von Einweg-Plastikverpackungen auf Mehrweg-Alternativen aus. 75 Prozent wollen sogar ein Verbot von Einweg-Plastikverpackungen. „Die Umfrage zeigt, dass die Menschen die Plastikflut stoppen wollen”, sagt Manfred Santen, Chemiker bei Greenpeace. „Die Staats- und Regierungschefs sollten diesen gesellschaftlichen Rückenwind nutzen und in Ottawa ein verbindliches Reduktionsziel festlegen.” Gleichzeitig wird deutlich, dass in vielen Ländern breite Unterstützung für weniger Plastikproduktion besteht, die jeweiligen Regierungen aber keine entsprechende Position vertreten.
Mitte November 2023 fand die dritte Runde der internationalen Verhandlungen für ein globales Kunststoffabkommen in Kenia statt. Die Verhandlungen sind die Chance für ein ambitioniertes Abkommen, um die Plastikkrise zu bewältigen und damit die schlimmsten Auswirkungen auf die Klimakrise anzugehen. Dafür muss aber die Menge an produziertem Kunststoff deutlich reduziert werden.
Die weltweite Kunststoffproduktion hat sich von 2000 bis 2019 verdoppelt und erreicht 460 Millionen Tonnen pro Jahr. Ohne drastische politische Regulierungen wird sie sich bis 2050 voraussichtlich fast verdreifachen und dann 13 Prozent oder mehr unseres weltweit noch verbleibenden Kohlenstoffbudgets verbrauchen, wenn wir die Klimaerhitzung unter 1,5 °C halten wollen. Modellierungen zeigen, dass eine Reduzierung der Kunststoffproduktion um 75 Prozent bis 2040 erforderlich sein wird, um die Erwärmung bei 1,5 Grad zu begrenzen. Außerdem sollen damit Arbeitsplätze geschaffen und echte Lösungen für eine kohlenstoffarme, schadstofffreie und auf Wiederverwendung basierende Wirtschaft vorangetrieben werden.
Die Bilanz der Verhandlungen ist bisher leider ernüchternd. Erneut nahm die Öl- und Gas-Lobby teil – wenn es nach ihr geht, soll sich die Plastikproduktion bis 2050 sogar verdreifachen.
Bisher konnten sich die Staaten nur auf einen Minimalkompromiss einigen. Die bisherigen Verhandlungen haben gezeigt, dass besonders Saudi-Arabien, China und die USA zusammen mit der petrochemischen Industrie alles daran setzen, ein wirksames globales Abkommen zu untergraben. Mehrere der hochkarätigen Berichte, die als Grundlage für die Vertragsverhandlungen dienen sollen, stammen von einem Berater mit Verbindungen zur Öl- und Gasindustrie. So wird für Recycling und Clean Ups lobbyiert, für Müllverbrennung und sogenanntes chemisches Recycling. Es wird versucht, den Fokus von verbindlichen Regeln zur Reduktion der Plastikproduktion wegzulenken. So kündigte Iran eine Koalition mit Saudi-Arabien, China, Russland und anderen Ländern mit großen petrochemischen Industrien an, um sich für einen Vertrag einzusetzen, der den Schwerpunkt auf die Abfallkontrolle legt und nicht auf den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen, wie vergangenes Jahr vereinbart war.
Trotz der destruktiven Taktiken der großen Öl- und Plastikstaaten wurde jedoch die Greenpeace-Forderung nach einer Reduktion der Plastikproduktion im Auftrag für einen Vertragstext aufgenommen und ist so die Basis für die aktuelle Verhandlungsrunde. Dieser im September 2023 von der UN veröffentlichte „Zero Draft“ stellt eine grundlegende Rechtsarchitektur dar, die erforderlich ist, um ein ehrgeiziges, globales Reduktionsziel für die Plastikproduktion festzulegen.
Greenpeace fordert nun von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), sich dafür einzusetzen, das Reduktionsziel in dem jetzt entstehenden Vertragstext zu verankern.
Plastikproduktion verbraucht enorme Mengen Ressourcen und verschmutzt zunehmend die Welt
Bis Ende 2024 soll die Konvention zur Eindämmung der Verschmutzung durch Einwegplastik, Geisternetze oder Mikroplastik stehen und international durch die UN-beschlossen sein. Dass die Vereinten Nationen im März 2022 beschlossen hatten, der globalen Plastikflut gemeinsam ein Ende setzen zu wollen, ist ein gewaltiger Erfolg der globalen Umweltschutzbewegung, auch Greenpeace hatte jahrelang dafür gekämpft. Auch wenn der Weg noch weit ist. Entsteht aus der Absichtserklärung ein Vertrag, wäre dies allerdings das erste große UN-Umweltabkommen seit dem Klimavertrag von Paris.
„Ein verbindliches UN-Plastikabkommen ist unsere historische Chance im Kampf gegen beide Krisen: Plastikverschmutzung und Klimakrise”, so Viola Wohlgemuth, die als Expertin für Greenpeace bei den Verhandlungen im Frühjahr 2023 dabei war. „Das Märchen vom sauberen Recycling als Lösung ist ausgeträumt. Wir können uns nicht aus der Plastikkrise herausrecyceln, wir brauchen Mehrweglösungen. Der UN-Vertrag muss ein verbindliches Reduktionsziel für die Produktion von Neu-Plastik und für den Kunststoffeintrag in die Umwelt festschreiben.” Ihre Vorstellungen für ein ambitioniertes globales Plastikabkommen haben die Umweltverbände bereits gemeinsam veröffentlicht.
Die Produktion von Plastik verbraucht weltweit enorme Mengen endlicher Ressourcen und verschmutzt zunehmend die Welt. Jährlich werden nach Angaben der Vereinten Nationen weltweit 400 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert, davon werden nur neun Prozent wiederverwertet. Laut Alfred-Wegener-Institut landen jede Minute umgerechnet zwei LKW-Ladungen an Plastikmüll im Meer. Plastik gefährdet Ökosysteme und Lebewesen: Selbst in der Arktis, dem Regen, der Atemluft und menschlichen Organen wird Mikroplastik gefunden. Wissenschaftler:innen warnen bereits vor den dramatischen Folgen des gegenwärtigen Plastik-Zeitalters.
Was wurde in Nairobi beschlossen?
Am 2. März 2022 verkündete die Umweltversammlung der Vereinten Nationen das Mandat, dass alle beteiligten Länder Verhandlungen über ein rechtsverbindliches globales Abkommen zur Plastikvermeidung aufnehmen, und zwar eines, das den gesamten Lebenszyklus der Plastikverschmutzung abdeckt – von der Produktion bis zu Kunststoffabfällen in den Meeren. Ein fertiges Abkommen gibt es noch nicht - die Verhandlungen laufen, entsprechend lässt sich noch keine Aussage treffen, wie gut oder umfassend es sein wird. Den Meilenstein sehen Beobachter:innen an anderer Stelle: “Das ist endlich das klare, globale Bekenntnis der Politik zu dem, was wir alle längst wissen: dass Plastik dem Menschen und dem Planeten schadet”, so Viola Wohlgemuth.
Das wird Konsequenzen haben: “Für die großen Ölkonzerne und globale Unternehmen bedeutet das, dass man ihnen künftig genauer auf die Finger schauen wird. Sie werden per Gesetz verpflichtet, ihren Plastik-Fußabdruck zu verringern und – viel wichtiger – ihre Geschäftsmodelle umzustellen – auf Nachfüllen und Wiederverwenden, ohne weiterhin massenhaft Einwegplastik zu nutzen.” Nun ginge es um einen Systemwechsel: “Die Zeiten von ‘weiter wie bisher’ mit grünem Logo sind vorbei. Und das ist auch bitter nötig, denn Greenwashing, wie es bisher an der Tagesordnung war, ist schlimmer als gar nichts zu tun.”
Greenpeace und viele weitere Umweltschutzorganisationen haben sich in dem Bündnis Break Free From Plastic organisiert, das seit Jahren auf einen solchen Moment hinarbeitet. Vor allem diesem Druck der Zivilgesellschaft ist es geschuldet, dass das Plastikproblem nun zur internationalen Chefsache erklärt wurde. Greenpeace ist außerdem Teil des Bündnisses Exit Plasik, das im Manifest "#plastikwende jetzt!" zeigt, wie eine Welt ohne Schäden durch Plastik sein soll.
Wie kam die Resolution zustande?
Mehrere Staaten haben bereits an ähnlichen Eingaben an die Vereinten Nationen gearbeitet: Ruanda, Japan, Peru und Indien. Die Resolution, die auf der UNEA-Konferenz (United Nations Environment Assembly) verabschiedet wurde, ist ein abgestimmtes Dokument der drei erstgenannten Staaten, Indien zog seinen Entwurf zurück – auch weil es viele Überschneidungen zwischen den beiden Texten gab. Ziel war es, der Versammlung eine Vorlage zu geben, die fortschrittlich, aber auch mehrheitsfähig ist. Das ist offensichtlich geglückt.
Was sind die Stärken der Resolution?
Freiwillige Verpflichtungen der Industrie zeigen keine Wirkung – das hat die Umweltversammlung der Vereinten Nationen verstanden. Greenpeace hat dafür über Jahre Belege gefunden: Seien es illegale Müllhalden in Südostasien oder das Scheitern der freiwilligen Selbstverpflichtung von Kosmetikherstellern: Noch immer findet sich gesundheits- und umweltschädliches Plastik in den Produkten.
Was die Resolution darum verlangt, sind rechtlich verbindliche Regelungen in jedem Land, die der Plastikflut effektiv Einhalt gebieten. Damit ist eine Hauptforderung von “Break Free Fom Plastic” erfüllt. In Deutschland fordert Greenpeace eine umfassende Mehrwegpflicht vom Einzelhandel über die Gastronomie bis hin zum Onlinehandel, die Sie mit Ihrer Unterschrift hier unterstützen können.
Zum ersten Mal wird nun von einem Gremium der Vereinten Nationen das Plastikproblem von Grund auf bis zur letzten Konsequenz angegangen: Jeder Produktionsschritt kommt auf den Prüfstand, ebenso die Entsorgung. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Vermüllung der Meere und wie man sie verhindert. Mögliche Gesundheitsschäden durch Kunststoffkontamination kommen zur Sprache, denn wir nehmen mittlerweile Plastik mit der Nahrung und sogar mit der Atemluft auf. Eine echte Kreislaufwirtschaft wird in Aussicht gestellt: Produkte und Materialien sollen von vornherein so gestaltet werden, dass sie wiederverwendet, wiederaufbereitet oder recycelt werden können.
Dabei spricht die Resolution die Sprache der Umweltschutzbewegung: Schlüsselwörter wie “nachhaltige Produktion”, “Produktionsdesign” und “Entsorgungsmanagement” werden auf selbstverständliche Weise verwendet. Das erweckt den Eindruck: Die Krise wird ernstgenommen und verstanden.
Der Text klammert dabei nicht aus, dass die Vermüllung durch Plastik nicht bloß ein ökologisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem in vielen der ärmsten Länder der Erde ist. Die Rolle der “Wastepickers”, die dort anstelle eines staatlichen Recyclingsystems Plastikmüll sammeln, erfährt ebenfalls Anerkennung.
Wo liegen die Kritikpunkte?
Um eine mehrheitsfähige Beschlussvorlage zu finden, ist der Text an vielen Stellen ein Kompromiss, die Sprache könnte klarer, die Forderungen stärker sein. Viele Punkte werden angerissen, aber nicht mit Forderungen verknüpft.
Zum Beispiel: Zwar werden die Gesundheitsschäden durch Plastik zur Kenntnis genommen, aus dem Text lassen sich aber keine besonderen Schutzmaßnahmen für besonders betroffene Menschen ableiten, seien es Anwohner:innen petrochemischer Anlagen oder von Mülldeponien. Forderungen an den privaten Sektor bleiben schwach formuliert: Große Unternehmen werden ermutigt, Auswege aus der Plastikkrise zu finden; ihre Verantwortung beim Verschulden des Müllproblems und ihre Rolle bei der Lösung werden aber unterverkauft. Dabei sind sie ein kritischer Bestandteil, wenn ein künftiges Abkommen Erfolg haben soll.
Zudem ist klar: Dieser Text ist nicht das fertige Abkommen. Selbst wenn die Forderungen so umgesetzt werden, rennt uns die Zeit davon. Solange dieser Vertrag nicht ausgearbeitet und umgesetzt ist, arbeiten Menschen in giftigen Umgebungen, vermüllen die Meere und unser Klima verschlechtert sich weiter. Greenpeace und seine Verbündeten in “Break Free From Plastic” werden den Weg zu einem globalen Plastikabkommen genau beobachten und auf einen konsequenten, wirkungsvollen Vertragstext drängen. Es ist ein guter Anfang.
(Der Artikel wurde am 7. März 2022 erstveröffentlicht und zuletzt am 4. April 2024 aktualisiert.)