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Mitarbeiterin hält im Labor einen roten High Heel-Stiefel
© Kay Michalak / Greenpeace

Gefährliche Chemikalien in SHEIN-Produkten

Fast Fashion mit ihren Protagonisten H&M und Zara war gestern. Heutzutage geht es noch schneller: Mit unglaublichen 6.000 manchmal sogar 9.000 neuen Artikeln pro Tag auf der Homepage und in den Social-Media-Kanälen befeuert der größte Online-Textilhändler SHEIN den Durchlauf in den Kleiderschränken weltweit. Die Zielgruppe: Kinder bis junge Erwachsene. Wie dreckig die Produktion ist, zeigt ein neuer Report: 15 Prozent der von Greenpeace ins Labor geschickten Artikel enthalten mehr schädliche Substanzen als die EU erlaubt.

Shein, gesprochen She in – eine kleine Hilfestellung für die über 30jährigen, die von der Marke womöglich noch nichts gehört haben – ist ein chinesischer Online-Shop für Mode. Vielen Acht- bis 26jährigen hingegen dürfte in Deutschland die Ultra-Fast-Fashion Marke wohl bekannt sein. Denn auf sie konzentriert sich Shein auf Plattformen wie TikTok, YouTube oder Instagram. Das erst im Jahr 2013 gegründete Unternehmen entwickelte sich in nur wenigen Jahren zum größten Modeunternehmen in der digitalen Welt. 

SHEIN kam aus dem Nichts

Die Ultra-Fast-Fashion-Marke

Text

Von einem kleinen Unternehmen mit nur 50 Angestellten im Jahr 2013 wuchs SHEIN bis 2016 auf 10.000 Angestellte. Die Pandemie war ein weiterer Katalysator: In den USA stieg der Marktanteil von SHEIN im Bereich Online-Mode von sieben Prozent im Januar 2020 auf fast 30 Prozent im Juni. Während das Wachstum vieler Fast-Fashion-Konkurrenten nach den Lock-Downs zurückgegangen ist, schoss der Umsatz von SHEIN weiter in die Höhe und betrug im Jahr 2021 beinahe 16 Milliarden Dollar. Der Wert des Unternehmens wird mittlerweile auf 100 Milliarden Dollar geschätzt - mehr als H&M und Zara zusammen. Verdrängen konnte SHEIN die Konkurrenz mit Preisen, die bis zu 24 Prozent niedriger liegen. Dabei nutzt der Konzern Steuerschlupflöcher, aber auch der Fokus auf den Online-Handel ermöglicht geringere Preise.

Am 28. Februar 2024 schrieb die NZZ: Shein und Temu schicken täglich Tausende Kleidungsstücke per Flugzeug nach Europa und in die USA – das wird zum Problem für die Luftfracht. Jede zweite Luftfracht aus China ist voll mit Kleidung. 

Wer neue Männerschuhe für sieben Euro, ein Shirt für vier Euro oder Hochzeitskleider für acht Euro sucht, wird bei SHEIN fündig. Die Marketingstrategie von SHEIN ist, insbesondere junge Menschen über Social-Media-Plattformen wie TikTok mit glamourös erscheinenden Produkten zu Tiefstpreisen zu umwerben. Unbemerkt von einem Großteil der Gesellschaft, vorbei an einer kritischen Zivilgesellschaft und – wie die Greenpeace-Recherche zeigt – wohl auch vorbei an den Behörden. Der Konzern nutzt gezielt aus, dass sich die Jüngsten unserer Gesellschaft noch nicht der immensen sozialen und ökologischen Auswirkungen von billig produzierter Kleidung bewusst sind. 

Unterstützt wird SHEIN dabei von Influencer:innen, die sich ihre Empfehlung mit kostenlosen Produkten sowie anderen Vorteilen vergüten lassen. Im Gegensatz zur Popularität im Netz sind die Zulieferfirmen hinter SHEIN jedoch praktisch unbekannt: Weder über die Nähfabriken in Guangdong (China), die am laufenden Band sieben Tage die Woche Aufträge ausführen, gibt es Daten in der Öffentlichkeit; noch über die Fabriken, die diese Textilien waschen und färben – und damit den größten Einfluss auf den immensen ökologischen Fußabdruck von SHEIN haben.

Verstoß gegen EU-Vorschriften: gefährliche Chemikalien in SHEIN-Produkten 

Einige Informationen jedoch lassen sich den Produkten selbst entlocken – indem man sie zur chemischen Analyse ins Labor schickt. Greenpeace hat deshalb 47 Artikel, darunter Kleidungsstücke und Schuhe für Männer, Frauen, Kinder und Kleinkinder über SHEIN-Webseiten in Österreich, Deutschland, Italien, Spanien und der Schweiz gekauft. Und vom unabhängigen Labor BUI (Bremer Umwelt Institut) untersuchen lassen. 

  • Eine Mitarbeiterin zerkleinert für den Labortest einen roten Stiefel.

    Ein Stiefel wird im Labor für die Schadstoffanalyse zerkleinert.

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  • Vorbereitung der Proben für Extraktionsverfahren mit Xylol.

    Textilproben werden in Lösungsmitteln am Rückflusskühler erhitzt, um die Chemikalien in das Lösungsmittel zu überführen für die anschließende Analyse im Gaschromatografen.

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  • Mit Proben gefüllte Behälter im Labor

    Textilproben der zu analysierenden SHEIN-Kleidung sind im Labor für die Analyse im Gaschromatograf in Lösungsmittel gegeben worden. An der Zusammensetzung der Massen sieht man später im Chromatografen, welchen chemischen Verbindungen in der Probe enthalten sind.

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Ende der Gallerie

Das Ergebnis: Sieben Proben (15 Prozent) enthielten gefährliche Chemikalien, die gegen EU-Grenzwerte im Rahmen der REACH-Verordnung verstoßen. In 15 Produkten (32 Prozent) steckten gefährliche Chemikalien in besorgniserregenden Mengen.

„In einem Kleid für ein kleines Kind wies das Labor einen hohen Gehalt an krebserregendem Formaldehyd nach, in einem Schuh die Weichmacher Phthalate“, erklärt Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace. „Die Ergebnisse machen klar, dass SHEIN keine Übersicht über das Chemikalienmanagement in den eigenen Zulieferbetrieben hat. Dass der Online-Gigant auch keine Liste mit gefährlichen Chemikalien veröffentlicht hat, die für die Produktion ausgeschlossen sind, ist bedenklich. Bei verantwortungsvollen Produzenten ist das mittlerweile Standard. Aus Profitinteresse gefährdet der Konzern so die Gesundheit der Verbraucher:innen – doch die Hauptlast für die Chemikalien-Abhängigkeit der Billigproduktion zahlen die Arbeiterinnen in den Produktions- und Zulieferbetrieben. Gelangen die Stoffe über Abwasser und Luft in die Umwelt, verschmutzen sie zudem etwa Flüsse und gefährden die Bevölkerung in den Produktionsländern im globalen Süden.“

Mehr SHEIN als Sein

Mehr SHEIN als Sein

Gefährliche Chemikalien und Naturzerstörung als Geschäftsmodell

Anzahl Seiten: 133

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SHEINS Geschäftsmodell: billiger, schneller, mehr

Seit dem Jahr 2011 fordert Greenpeace mit der „Detox My Fashion“-Kampagne die Modebranche auf, ihre Produktion zu entgiften. Mit Erfolg. Die damals adressierten Marken, darunter die Fast-Fashion Brands Zara und H&M, haben über Jahre darauf hingearbeitet, ihre Lieferketten zu entgiften und transparenter zu gestalten.

Dennoch lösten genau diese großen Konzerne vor vielen Jahren den Fast-Fashion-Trend aus und öffneten damit die Büchse der Pandora. SHEIN schlägt nun neue Kapitel auf – nicht nur durch den Einsatz giftiger Chemikalien, sondern auch durch die schiere Masse an Hosen, Shirts, Schuhen, Jacken, Kleidern heben sie die Umwelt- und Klimaschäden durch Massenproduktion in eine ganz neue Dimension.

  • "Detox-Mannequins” in der Provinz Zhejiang am Fluss Qiantang.

    „Detox Mannequins” in der Provinz Zhejiang am Fluss Qiantang. Der Greenpeace-Report „Toxic Threads: Putting Pollution on Parade” zeigte im Jahr 2012, dass die Abwässer der Linjiang-Kläranlage verschiedene giftige Chemikalien und krebserregende Stoffe enthielten.

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  • Das Foto aus dem Jahr 2012 zeigt den Tullahan River mit lila Schaum – er ändert fast täglich seine Farbe. Mehrere Fabriken, darunter eine Färberei befinden sich stromaufwärts.

    Der Tullahan River (Philippinen) im Jahr 2012: Er ändert fast täglich seine Farbe. Sromaufwärts befinden sich mehrere Fabriken, darunter eine Färberei.

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  • Färberei in Shaoxing, Mai 2012.

    Färberei in Shaoxing, Mai 2012.

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  • Ein Aktivist nimmt Proben am mit Schnee und Eis bedeckten Macun See in der Schweiz

    Im Jahr 2015 nahm Greenpeace Proben am Macun-See in der Schweiz. Insgesamt waren acht Teams auf drei Kontinenten unterwegs, um Wasser- und Schneeproben auf PFC-Rückstände untersuchen zu lassen. Die schädliche, langlebige Chemikalie, die Outdoor-Ausrüstung wasserdicht machen soll, reichert sich in der Umwelt an und wurde schon in Tieren, in den Tiefen der Ozeane und auf Berggipfeln nachgewiesen.

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Tag für Tag stellt SHEIN unglaubliche 6.000 bis stellenweise sogar 9.000 neue Artikel online. Darunter immer wieder Stile, die von Designer:innen, Kunstschaffenden und anderen Marken gestohlen wurden, was regelmäßig Klagen nach sich zieht – SHEIN aber scheinbar völlig unbeeindruckt lässt. Diese Artikel werden in kaum noch vorstellbarer Geschwindigkeit in 5.000 kleinen und großen Fabriken in Guangdong (China) produziert. In der Regel braucht eine Modemarke etwa drei Monate, um ein Kleidungsstück zu entwerfen und auf den Markt zu bringen. Shein hat diesen Prozess auf drei bis sieben Tage verringert und damit Zara unterboten, seinen nächsten Konkurrenten, der zwei bis drei Wochen benötigt. 

Aktive sitzen auf einem einem 3,5 Meter hohen und 12 Meter breiten Textilmüll-Berg  vor dem Brandenburger Tor, auf dem Banner steht "Fast Fashion: Kleider machen Müll".

Aussortierte Kleidung landet in großem Stil in Afrika – und wird dort zum Plastikmüllproblem. Eine Greenpeace-Recherche zeigt das Ausmaß, Aktive protestieren gegen Fast Fashion auf der Fashion Week.

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Fabrikarbeiterin in der Provinz Guangdong

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Textile Landfill in Atacama Desert Chile

Mit Fast Fashion ungebremst in die Ressourcenkrise: Für das schnelle Geld mit den Wegwerf-Textilien werden Mensch und Umwelt ausgebeutet.

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Kleidung als Wegwerfartikel

Um die Ware an die junge Generation zu bringen, bedient sich Shein aus der Trickkiste der Manipulation wie zeitlich begrenzte Angebote, die im Countdown ablaufen oder versteckte Werbung. Methoden, die eingesetzt werden, um Verbraucher:innen dazu zu bewegen, mehr zu kaufen, als sie benötigen. „Das Ultra-Fast-Fashion-Geschäftsmodell treibt die Extreme des übermäßigen Verbrauchs und der Ressourcenverschwendung noch weiter“, so Wohlgemuth. „Die billige überflüssige Ware fristet dann ein ungenutztes Dasein im Kleiderschrank, landet irgendwann im Müll oder geht Retoure. Bekannt ist allerdings, dass Online-Versandhändler die zurückgeschickte Neuware oft vernichten, wie Greenpeace mehrfach zum Beispiel bei  Amazon belegt hat. Zudem schmeißen viele Käufer:innen die Textilien eher weg, als sie zurückzuschicken, wenn der Versand teurer ist als das Produkt."

Über die vergangenen Jahre ist die Wegwerfkleidung von Ultra-Fast-Fashion-Marken zunehmend Teil des stetig wachsenden Müllbergs geworden. Der Textilmüll wird häufig nach Ostafrika und in andere Länder des Globalen Südens verschifft, landet dort auf Deponien oder wird unter freiem Himmel verbrannt. Da die Textilien hauptsächlich aus synthetischen Fasergemischen bestehen, verschmutzen sie als Plastikmüll voller Chemikalien die Umwelt, wie Greenpeace kürzlich gezeigt hat.

„Ultra-Fast-Fashion verwandelt Kleidung in reine Wegwerfartikel“, so Wohlgemuth. „Viele Kleidungsstücke sind nichts anderes als Einwegverpackungen: einmal getragen, direkt weggeworfen und nicht biologisch abbaubar und recycelbar, weil sie aus Plastik und gemischten Materialien bestehen.“ 

Aber nicht nur der dadurch entstehende Abfall ist ein großes Problem. Das toxische Problem beginnt bereits bei den synthetischen Materialien auf Erdölbasis und setzt sich mit den katastrophalen und oft irreversiblen Umweltschäden fort, die durch die Fabriken entlang der Lieferkette in den Produktionsregionen hauptsächlich in Ostasien verursacht werden. „Die EU muss ihre Gesetze zu gefährlichen Chemikalien durchsetzen", fordert Wohlgemuth. "Das ist eine Grundvoraussetzung für die Verwirklichung einer kreislauforientierten Textilwirtschaft und das Ende von giftigen Geschäftsmodellen wie bei SHEIN. Und es führt kein Weg daran vorbei, Fast-Fashion massiv zu entschleunigen.“ 

Globale Modemarken können sich nicht durch Greenwashing herauswinden. Sie müssen ihre umweltschädlichen linearen Geschäftsmodelle vollständig ändern und zu Dienstleistenden statt bloß Produzierenden werden. Das heißt: 

  • weniger Kleidung produzieren, die qualitativ hochwertiger, langlebiger, reparierbar und wiederverwendbar ist 
  • Rücknahmesysteme einrichten, um Kleidungsstücke zu pflegen, zu reparieren und zu teilen

Die Alternativen zum Neukauf müssen zur neuen Normalität werden. Greenpeace fordert, dass bis spätestens 2035 nur noch etwa 40 Prozent der Kleidung neu hergestellt und 60 Prozent mit alternativen Systemen gedeckt werden wie Reparatur, Second-Hand, Verleih und Tausch.

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Gut zu wissen: 10 Fakten zu Fast-Fashion

  • Verbraucher:innen tragen Kleidungsstücke nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. 
  • Die Bekleidungsproduktion hat sich von 2000 bis 2014 verdoppelt. Im Jahr 2014 wurden mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke neu produziert, 2019 waren es 183 Milliarden.
  • Die Modeindustrie ist für bis zu zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.
  • Während weniger als ein Prozent der Kleidung für neue Kleidung wiederverwertet wird, wächst die Masse der Kleidungsproduktion um 2,7 Prozent jährlich.    
  • Jede Sekunde wird eine LKW-Wagenladung voller Kleidung verbrannt oder landet auf einer Mülldeponie. 
  • Über 80 Prozent der schädlichen Umweltauswirkungen von Textilien treten entlang der Lieferketten in den Ländern des Globalen Südens in Südost-Asien auf, wo die überwältigende Mehrheit der Kleidungsstücke für den globalen Markt produziert wird.  
  • Jährlich werden durch das Waschen von synthetischer Kleidung 0,5 Millionen Tonnen Mikroplastikfasern in die Meere geschwemmt, was 35 Prozent des gesamten freigesetzten primären Mikroplastiks entspricht. 
  • Die Menge des von SHEIN erzeugten Verpackungsmülls ist bisher unbekannt. Die Zahlen zu Amazon sollen helfen, ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Müllmengen durch den Online-Handel entstehen. Im Jahr 2020 erzeugte Amazon 272 Millionen Kilogramm Abfälle aus Plastikverpackungen. Dies bedeutet einen Anstieg von 29 Prozent gegenüber 2019. Der von Amazon geschätzte Kunststoffverpackungsabfall allein in Form von Luftkissen aus 2019 könnte mehr als 600-mal um die Erde gewickelt werden. Schätzungen zufolge gelangten 2020 bis zu 10,6 Millionen Kilogramm Amazon-Verpackungsabfälle aus Kunststoff in die weltweiten Wasserstraßen und Ozeane. Das entspricht einer LKW-Ladung alle 67 Minuten.
  • Die Produkte von SHEIN bestehen überwiegend aus Plastik. Die Damenmode bei SHEIN besteht fast zu 60 Prozent aus Polyester und anderen aus Erdöl gewonnen Materialien wie Nylon, Acryl, Polyurethan (PU) oder Elastan. Schon jetzt verbraucht die Modeindustrie jährlich genauso viel Öl wie ganz Spanien.
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