Streit um EU-Flottengrenzwerte
- Nachricht
Es war ein kleiner Riss in der harmonischen Geschlossenheit der Ampel-Regierung, der da Mitte Februar auftauchte. „Tatsächlich hätte ich mir noch höhere CO2-Grenzwerte vor und für 2030 gewünscht“, sagte die Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke und stellte sich damit gegen ihren FDP-Kollegen Volker Wissing im Verkehrsministerium. Der Zank betrifft die Position, die Deutschland bei einer der wichtigsten EU-Entscheidungen zum Klimaschutz im Verkehr einnimmt, den künftigen Flottengrenzwerten. Sie regeln, wieviel CO2 die Autos der Hersteller ab dem Jahr 2025 im Schnitt noch ausstoßen dürfen. Je niedriger der Wert, umso schneller verabschieden sich die Hersteller von klimaschädlichen Verbrennerautos. FDP-Mann Wissing setze auf einen weniger niedrigen Wert, wie ihn auch die EU-Kommission vorgeschlagen habe. So stehe es schließlich auch im Koalitionsvertrag, sprang Kanzler Scholz ihm bei. Wenn sich kommenden Donnerstag die 27 Umweltministerinnen und -minister der EU zusammensetzen, wird Lemke also wohl nicht ihren Wunschvorschlag vertreten können.
Dabei gibt es eine Verbindung zwischen diesem kleinen Koalitionskrach und dem grausamen Krieg, den Putin gerade in der Ukraine führen lässt. Und diese Verbindung ist Öl. Der Rohstoff, aus dem Diesel und Benzin erzeugt werden, stammt in Deutschland zu einem Drittel aus Russland. Werden Autos sparsamer, braucht man weniger davon, wird also perspektivisch unabhängiger von Lieferanten wie Russland. Dieser offensichtliche Zusammenhang hat mit Ausbruch des Kriegs ein neues Gewicht bekommen und wiegt schwerer als ein Koalitionsvertrag aus dem vergangenen Jahr. „Der Koalitionsvertrag ist erst wenige Monate alt, aber er stammt aus einer anderen Welt. Nach zwei Wochen Krieg in der Ukraine darf sich niemand dahinter verstecken“, sagt Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. „Ambitionierte europäische Pkw-Grenzwerte können uns schneller in eine Zukunft ohne Öl steuern. Das lindert die Folgen der Klimakrise und macht Deutschland und Europa sicherer und freier.“ Schon deshalb sollte Wissing, dessen Parteichef erst kürzlich von den Erneuerbaren als „Freiheitsenergien“ sprach, sich für stärkere Grenzwerte einsetzen, so Stephan.
Der Unterschied zwischen den CO2-Szenarien von Wissing und Lemke ist beträchtlich, wie Greenpeace errechnet hat - in mehrfacher Hinsicht. Setzt sich die Position von Wissing in Brüssel durch, addiert sich der zusätzliche Verbrauch ab in Kraft treten der neuen Grenzwerte im Jahr 2025 allein in Deutschland auf 53 Millionen Tonnen Treibstoff. Das entspricht etwa dem, was der Verkehr in Deutschland in einem Jahr insgesamt verbraucht. Nach oben gehen mit Wissings Vorschlag entsprechend auch die Emissionen (aufaddiert um 167 Millionen Tonnen CO2). Und schließlich wird es auch für die Autofahrerinnen und -autofahrer an der Zapfsäule teurer. Selbst auf Basis der heute niedrig erscheinenden Spritpreise vor Beginn des Kriegs (Benzin: 1,76 Euro und Diesel: 1,67 Euro pro Liter) summiert sich der höhere Verbrauch durch Wissings laschere Grenzwerte auf Gesamtspritkosten von 63 Milliarden Euro.
Dabei würden selbst die ehrgeizigeren Grenzwerte von Ministerin Lemke nicht genügen, um den Verkehr auf 1,5-Grad-Kurs zu bringen. Dazu - hat Greenpeace errechnen lassen - dürften schon ab dem Jahr 2028 in Europa keine weiteren Verbrenner mehr zugelassen werden. Der angenehme Nebeneffekt: Die Öl-Abhängigkeit von Deutschland und der EU sinkt schneller.