Jetzt spenden
Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital
Thomas Duffé / Greenpeace

Atomexperte Heinz Smital: "Es kann nur ein Unfall sein"

Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Erhöhte Werte des radioaktiven Rutheniums weisen auf einen Unfall in der russischen Atomanlage Majak hin – doch Moskau dementiert. Dazu Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace.

Es erinnert auf fatale Weise an den Super-GAU in Tschernobyl: Europäische Messstationen melden erhöhte radioaktive Strahlung, die offenbar aus Russland kommt, aus dem südlichen Ural. Doch Moskau streitet jeden möglichen Unfall ab. Diesmal ist sicherlich kein Atomkraftwerk explodiert, doch immerhin ist der verleugnete Atomunfall für die Menschen in der Region um die Nuklearanlage Majak durchaus gesundheitlich bedenklich. Vertuschen ist unverantwortlich, sagt Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie, im Interview. 

Greenpeace: Schon Ende September, Anfang Oktober wurden in Deutschland, Italien, Österreich, der Schweiz und Frankreich erhöhte Rutheniumwerte gemessen; das Bundesamt für Strahlenschutz vermutete schon damals einen Unfall im südlichen Ural. Doch der staatliche russische Energieriese Rosatom hat jedmöglichen Unfall dementiert. Was ist passiert?

Heinz Smital: Genau wissen wir es nicht, aber alles spricht dafür, dass es im russischen Atomzentrum Majak einen Unfall gegeben hat. Vielleicht ist ein Behälter in der Wiederaufbereitungsanlage kaputtgegangen. Oder es gab einen Unfall in den Teilen der Atomanlage, die radioaktive Stoffe für die Medizin herstellen. Klar ist jedenfalls: Dort muss etwas passiert sein. Denn jetzt hat der russische Wetterdienst bekanntgegeben, dass in der Messstation in Argajasch, einem Dorf im südlichen Ural, vom 25. September bis zum 7. Oktober eine Konzentration des radioaktiven Ruthenium 106 gemessen wurde, die 986-mal so hoch ist wie der in Russland erlaubte Wert. Und die einzig plausible Erklärung dafür ist ein Unfall im 30 Kilometer entfernten Atomkomplex Majak.

Ist das eine gefährliche Strahlung?

Für die Menschen in der Region ist die Belastung der Atemluft mit einem fast tausendfach erhöhten radioaktiven Stoff durchaus gesundheitlich bedenklich. Auf welche Art genau, kann ich allerdings nicht einschätzen. Für uns hier besteht keine Gesundheitsgefahr. Denn selbst die höchsten Werte, die in Deutschland in Görlitz gemessen wurden, liegen unterhalb der Gefährdungsgrenze.

Wie ist das Verhalten der russischen Behörden zu beurteilen?

Es ist absolut unverantwortlich, wie sich die russischen Behörden verhalten. Atomunfälle zu vertuschen ist eine Straftat, weil dadurch notwendige Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung nicht getroffen werden. Deswegen hat Greenpeace jetzt auch die russische Staatsanwaltschaft eingeschaltet, um Ermittlungen über die mögliche Verschleierung eines Atomunfalls einzuleiten. Von Rosatom erwarten wir eine gründliche Untersuchung und vor allem, dass die Ergebnisse auch veröffentlicht werden.

Woher weiß man, dass nichts Schlimmeres passiert ist, beispielsweise ein Unfall in einem Atomkraftwerk in der Gegend von Majak?

Das kann man aus der Zusammensetzung der radioaktiven Stoffe herauslesen. Es wurde nur eine erhöhte Rutheniumkonzentration gemessen, aber keine Erhöhung von radioaktivem Jod oder anderen Stoffen, die typischerweise bei einem Reaktorunfall freigesetzt worden wären.

Was ist Ruthenium, und wo kommt es zum Einsatz?

Das Ruthenium-Isotop 106  ist ein auch in Majak künstlich erzeugtes radioaktives Nuklid, das bei der Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennstäben abgesondert werden kann. Es wird in der Medizin zum Beispiel in der Krebstherapie zur Behandlung von Tumoren am Auge verwendet. Auch an Satelliten kommt es zum Einsatz. Seine Halbwertszeit beträgt etwas mehr als ein Jahr: 374 Tage, um genau zu sein.

  • Radioaktives Warnschild an Stacheldrahtzaun in Majak

    Verstrahltest Land

    Überspringe die Bildergalerie
  • Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital bei Radioaktivitätsmessungen an einem Fluss bei Majak

    Wir in der Region

    Überspringe die Bildergalerie
Ende der Gallerie

Jetzt mitmachen

Du willst Teil der Energiewende sein?

Menschen stellen die Energiewende dar - von der Atomkraft zur Windkraft 15.04.2011

Dann besuche in unserer Mitmach-Community Greenwire die Energiewende-Themengruppe und tausche dich mit Anderen aus, finde weitere Mitmachangebote und erfahre mehr über unsere Kampagnen.

Hier lang zur Themengruppe-Energiewende

Themengruppe auf

Menschen stellen die Energiewende dar - von der Atomkraft zur Windkraft 15.04.2011

Mehr zum Thema

Greenpeace and BUND Naturschutz Celebrate Nuclear Phase-out in Munich
  • 12.04.2024

Vor einem Jahr ging das letzte AKW in Bayern vom Netz. Strom aus erneuerbaren Energien hat deutschlandweit Atomstrom ersetzt. Nur der Freistaat hinkt hinterher. Warum ist das so?

mehr erfahren
Projektion für den Atomausstieg am Atomkraftwerk Isar 2 bei Nacht
  • 09.04.2024

Happy Birthday, Atomausstieg! Auch wenn ein Jahr nach dem deutschen Ausstieg vielerorts eine “Renaissance der Atomkraft” herbeigeredet wird, laut einer aktuellen Studie sprechen die Fakten dagegen.

mehr erfahren
Karte der Region Fukushima in Japan, die die Ausbreitung der Strahlung nach der Atomkatastrophe im März 2011 im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi zeigt.
  • 11.03.2024

Der 11. März 2011 versetzte Japan in einen Ausnahmezustand, der bis heute anhält. Die dreifache Katastrophe von Erdbeben, Tsunami-Flutwelle und Super-GAU traf das Land bis ins Mark.

mehr erfahren
Projektion zum Atomausstieg am AKW Isar 2
  • 05.03.2024

Atomkraft ist nicht nur riskant, sondern auch keine Lösung für die Energiekrise. Am 15. April 2023 wurden die deutschen Atomkraftwerke darum abgeschaltet, endgültig.

mehr erfahren
Balloons on the 'Plein' at The Hague
  • 12.12.2023

Ein technologischer Meilenstein, aber kein Modell für die Zukunft: Warum der gelungene Versuch der Kernfusion nicht die Probleme der Gegenwart löst.

mehr erfahren
Dunkle Wolken über Fukushima
  • 24.08.2023

Mit bewussten Fehleinschätzungen wird der Plan gerechtfertigt, mehr als eine Million Tonnen radioaktives Wasser aus Fukushima ins Meer abzulassen. Greenpeace entkräftet diese Halbwahrheiten.

mehr erfahren