Ikea: Kahlschlag statt Nachhaltigkeit
Das dunkle Geheimnis hinter den Ikea-Möbeln
Greenpeace deckt auf: Trotz klarer Warnungen bezieht Ikea weiter Holz aus den Karpaten – und gefährdet Europas letzte Wildnis.
- Ein Artikel von Miryam Nadkarni & Torben Dreyer
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Es ist nicht immer leicht, das Richtige zu tun. Wenn einem das Wissen dazu fehlt, ist es sogar unmöglich. Greenpeace hat Ikea deswegen vor einem Jahr eine Karte übergeben, die klar zeigt, welche Wälder in den rumänischen Karpaten aufgrund ihrer hohen Artenvielfalt und ihres Alters tabu sein müssen. Ikea hätte nun das Richtige tun können. Das Unternehmen hätte seinen Zulieferern mitteilen können, dass es kein Holz mehr aus diesen Wäldern kauft. Stattdessen hat der Möbelriese die Warnungen ignoriert – und gefährdet so die letzte europäische Wildnis. Das zeigt eine Recherche, die Greenpeace Zentral- und Osteuropa jetzt veröffentlicht hat.
Dafür hat das Team Satellitenbilder analysiert und Felduntersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse zeichnen ein alarmierendes Bild: Allein im Jahr 2024 gingen fast 59 Quadratkilometer wertvolle, artenreiche Wälder – eine Fläche größer als 8.200 Fußballfelder.
„Wir haben Beweise dafür, dass Ikea Warnungen, sich aus schützenswerten Wäldern herauszuhalten, bewusst ignoriert”, sagt Dorothea Epperlein, Greenpeace-Waldexpertin. Seine Zulieferer beziehen Holz aus Europas artenreichsten Lebensräumen, darunter eines der letzten Urwaldgebiete der Karpaten. Das steht in krassem Widerspruch zu den Beteuerungen des Unternehmens, verantwortungsvolle Forstwirtschaft zu betreiben und die Artenvielfalt zu schützen. Wir dürfen die biologisch vielfältigen Wälder Europas nicht für Möbel opfern.”
Von den Karpaten bis in die Ikea-Regale: eine Greenpeace-Recherche
Die Karpaten sind eine 1.500 km lange Gebirgskette, die sich von Polen über die Slowakei, die Ukraine und Rumänien bis nach Tschechien, Ungarn, Serbien und Österreich erstreckt. Tief in ihren Wäldern leben die größten europäischen Populationen von Braunbären, Wölfen, Gemsen und Luchsen sowie mehr als ein Drittel aller europäischen Pflanzenarten. Hier, in der letzten Wildnis Europas, spielt sich eine Tragödie ab: In riesigen Mengen werden alte Bäume gefällt, die alten Wälder und Urwälder der Karpaten schwinden.
Aber wofür werden diese alten Wälder zerstört? Für die Recherche aus dem Jahr 2024 hatten sich Greenpeace-Teams aus 13 verschiedenen Ländern auf die Spur des Holzen begeben. Mithilfe von Satellitenbildern, Abholz-Genehmigungen, Holzlagern und Handelsregistern konnten wir den Weg des Holzes aus den Wäldern Rumäniens verfolgen – bis in die Regale der Ikea-Filialen. Auch bis nach Deutschland.
Ikea lässt artenreiche und alte Wälder für Ingolf und Proppmätt vernichten
Diese Lieferketten nachzuverfolgen, war nicht leicht, denn Ikea produziert nicht alle seine Möbel selbst, sondern beschäftigt zusätzlich externe Hersteller. Aber nach monatelanger Recherche können wir nachweisen: Sieben dieser externen Unternehmen, die Ikea-Möbel herstellen, nutzen Holz aus alten, schützenswerten Wäldern.
In Ikea-Filialen in 13 Ländern, darunter auch Deutschland, fanden sich 30 verschiedene Produkte dieser Hersteller. Dazu gehören eine Vielzahl von Ikea-Klassikern, vom Kinderbett und Bettgestell Sniglar über die Stühle Ingolf, den Tritthocker Bekväm, die Sofas Kivik bis hin zu kleineren Haushaltsgegenständen wie dem Schneidebrett Proppmätt. Vielleicht sitzen Sie, liebe Lesende, gerade auf einem dieser Produkte oder haben es in der Küche – wie die meisten von uns.
© Tomáš Hulík / Greenpeace
Braunbär in den Karpaten
EU und Ikea in der Verantwortung
Dass die Karpaten nicht ausreichend geschützt sind, dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen sträuben sich Unternehmen und Behörden seit Jahren dagegen, dass wertvolle Wälder in Rumänien als solche ausgewiesen werden, weil dort dann kein Holz mehr geerntet werden dürfte.
Zum anderen liegen viele dieser Wälder zwar bereits in Schutzgebieten (wie im europäischen Natura 2000 Netzwerk) – das Problem ist, dass in vielen Schutzgebieten eben doch Bäume gefällt werden dürfen. Die Europäische Union (EU) hat sich zwar Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt gesteckt und in diesen ist vorhergesehen, mehr Wälder besser zu schützen. Viele EU-Länder wie auch Rumänien setzen dies jedoch nicht um. Über 40 Prozent der Karpaten-Wälder befinden sich in Rumänien, davon sind nur 2,4 % (1700 km²) derzeit streng, d.h. vor Einschlag, geschützt.
“Alte Wälder sind für die Gesundheit des Planeten unverzichtbar und gehören umfassend geschützt. Ohne sie können wir die Arten- und Klimakrise nicht in den Griff bekommen”, sagt Epperlein.
Ikeas Greenwashing
Ikea poliert seit Jahren an seinem Image herum und hat sich “Nachhaltigkeit” prominent auf die Fahne geschrieben. Auf der Webseite verspricht ein Zitat von Ikeas Globalem Forstwirtschaft-Manager Mikhail Tarasov: "Wir fördern verantwortungsvolle Forstwirtschafts-Methoden. Wir tun dies, um die Branche zu beeinflussen und auch einen Beitrag zur wichtigen Arbeit zur Beendigung der Entwaldung zu leisten."
Klingt vielversprechend, aber ist in Wahrheit vor allem Greenwashing: In den Karpaten wird jede Stunde eine Fläche von fünf Fußballfeldern abgeholzt.
Ikea nutzt außerdem gezielt seine Mitgliedschaft im Forest Stewardship Council (FSC). Das FSC-Siegel kennzeichnet Waldprodukte als Erzeugnisse von Forstbetrieben, die nachhaltig arbeiten. Laut Ikea stammen fast 98% des von ihnen verwendeten Holzes aus FSC-zertifizierten Quellen. Allerdings erkennt das FSC-Zertifizierungssystem nicht immer die wahren Werte alter Wälder für die Artenvielfalt an. Dadurch können unter FSC-Zertifizierung sogar industrielle Forstwirtschaft und Holzeinschlagspraktiken in Wäldern stattfinden, die eigentlich streng geschützt sein sollten. Deshalb verließ Greenpeace das Siegel 2018.
Zudem wurde der rumänische FSC-Standard seit 2017 nicht mehr überarbeitet und berücksichtigt das EU-Ziel von zehn Prozent striktem Schutz nicht, wodurch er nach aktuellem Stand der Wissenschaft kaum zur wirksamen Walderhaltung beiträgt.
Greenpeace Ost- und Zentraleuropa hat Ikea und seinen externen Möbelherstellern die Möglichkeit gegeben, zu den Ergebnissen der Recherche Stellung zu nehmen. Ikea hat die Aussagen der Recherche nicht bestritten. Die meisten Möbelhersteller haben nicht geantwortet. Einer der Hersteller bestätigte den Bezug von Holz aus einem Natura 2000-Gebiet und erklärte, dass eine solche Zerstörung nicht illegal sei.
“Es ist Aufgabe der EU, die eigenen Wälder stärker zu schützen, das heißt, Einschlag in Urwäldern und alten Wäldern zu verbieten”, sagt Epperlein. “Aber auch Unternehmen haben eine Verantwortung. Ikea behauptet, nachhaltig zu sein, profitiert aber im Moment immens vom schwachen Naturschutz in den Karpaten. Ikea muss seinen eigenen Nachhaltigkeitsversprechen gerecht werden und seine Lieferkette von der Zerstörung der Urwälder säubern.”
“Dunkle Fakten zur Waldzerstörung in den Karpaten”
- Schätzungen zufolge wird weltweit alle zwei Sekunden ein Baum für die Produktion von Ikea-Möbeln gefällt.
- Nur noch rund 7% der rumänischen Wälder sind älter als 120 Jahre.
- Schätzungen zufolge hat Rumänien in den letzten 20 Jahren mehr als 50% seiner Urwälder durch Abholzung verloren.