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Zwei Fahrradfahrer in Berlin
Gordon Welters / Greenpeace

Greenpeace-Studie zum Radverkehr: Städte müssen mehr und besser investieren

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Die Greenpeace-Kalkulationen zu Investitionen in den Radverkehr haben eine Diskussion entfacht: Warum investieren die Städte nicht mehr und besser in Radverkehr?

382. Diese Zahl sticht heraus wie ein schmerzhafter Stachel, als das Statistische Bundesamt Mitte Juli in Berlin die jüngste Unfallstatistik vorstellt. An jedem Tag des vergangenen Jahres ist in Deutschland im Schnitt ein Radfahrer tödlich verunglückt - mindestens. Während die Zahl der auf deutschen Straßen tödlich Verunglückten insgesamt auf den niedrigsten Stand seit 60 Jahren gesunken ist, stagniert sie unter den Radfahrenden.

Woran liegt es, dass deren Anteil an den Verkehrstoten immer weiter steigt? Von acht Prozent Anfang der 90er Jahre stieg ihr Anteil auf zuletzt zwölf Prozent. Unsere Vermutung: Es liegt an Kreuzungen, die für Radfahrer unsicher sind, und an fehlenden oder schlechten Radwegen. Denn um die Sicherheit hier zu verbessern, müssen Städte bereit sein, dem Auto etwas Straßenraum zu nehmen. Und sie müssen Geld in die Hand nehmen.

Wie weit sie letzteres tun, hat Greenpeace mit einem Blick in die städtischen Haushalte herausgefunden. Wir haben diese öffentlich zugänglichen Dokumente nach Posten durchsucht, die klar für den Radverkehr ausgewiesen sind, haben die Summe auf die Bevölkerung umgelegt und schließlich einen Mittelwert aus allen verfügbaren Jahrgängen gebildet. Das Ergebnis war ernüchternd: In keiner der sechs größten deutschen Städten addieren sich diese Posten im Schnitt auf mehr als fünf Euro pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: Kopenhagen investiert gut 35 Euro pro Einwohner in den Radverkehr – seit vielen Jahren.

Verkehrsministerium empfiehlt höhere Ausgaben

Der Aufschrei der Städte ließ nicht lange auf sich warten: Man investiere doch viel mehr, etliche Projekte seien nicht berücksichtigt worden. Stuttgart etwa führt einen Pro-Kopf-Wert von 13,27 Euro ins Feld – allerdings für das laufende Jahr, während der Greenpeace-Wert den Durchschnitt der zugänglichen Haushaltsjahre zeigt, im Falle Stuttgarts die Jahre 2014 bis 2019. München wiederum verweist auf eine Nahmobilitätspauschale, die im Haushalt nicht eindeutig als Radinvestition zu erkennen ist. Wie auch Hamburg kommt die bayerische Landeshauptstadt auf Radinvestitionen pro Kopf von gut sechs Euro. Auch damit allerdings wäre nicht alles gut. Sogar das Verkehrsministerium empfiehlt Städten, zwischen acht und 18 Euro pro Kopf auszugeben, um radelnden Stadtbewohnern eine bessere Infrastruktur zu bieten.

Nicht aber die längst fällige Diskussion darüber, wie viel Geld Städte denn nun tatsächlich für Radfahrende in die Hand nehmen, ist die erfreulichste Folge der Greenpeace Studie. Weit wichtiger ist, dass endlich auch darüber gesprochen wird, was Städte mit den angeblichen Investitionen in den Radverkehr anstellen. Denn ein sicherer Radweg besteht nicht aus einem Farbstreifen auf einer vielbefahrenen Straße. Wirksam geschützt sind Radfahrer nur auf baulich getrennten Radwegen, wie etwa Amsterdam und Kopenhagen sie seit vielen Jahren anlegen. Eine Kreuzung wird für Radfahrer nicht automatisch weniger gefährlich, wenn Städte Abbiegeassistenten von Lkw-Herstellern fordern. So wichtig diese sind, so zentral bleibt es, dass Städte Kreuzungen so umbauen, dass Radfahrer weder von Lkw- noch von Autofahrern übersehen werden können.

Es ist höchste Zeit, dass Städte endlich damit beginnen, das enorme Potenzial des Radverkehrs zu nutzen. Sie haben dabei viel aufzuholen.

Update 9. Oktober 2018: Stellungnahme der Städte

Greenpeace hat Ende August jene Städte gebeten, ihre Investitionen offenzulegen, die die Zahlen angezweifelt und höhere Ausgaben für den Radverkehr geltend gemacht hatten. Gefragt wurde auch, wie viele der neuen Radwege sicher, also baulich vom Autoverkehr getrennt sind. Zudem interessierten die Ausgaben für den Autoverkehr.

Von Köln und Frankfurt gab es keine Rückmeldung. Berlin war außen vor, da die Stadt dem Durchschnittswert der vergangenen Jahre nicht widersprochen hatte. Sie verwies lediglich auf aktuelle Investitionen, die sich auf 14 Euro pro Kopf und Jahr erhöht hätten – diese sind auch in der Greenpeace-Kurzexpertise aufgeführt. Geantwortet haben – wenn auch unvollständig – München, Hamburg und Stuttgart:

München: Die Stadt München gab an, 6,70 Euro pro Kopf und Jahr für den Radverkehr auszugeben. Im Rahmen der bereits erwähnten Nahmobilitätspauschale würden seit 2015 etwa 10 Millionen Euro jährlich in den Fuß- und Radverkehr investiert. Zusätzlich würden mehrere Millionen für weitere Großprojekte ausgegeben, die nicht über die Nahmobilitätspauschale finanziert werden, aber nicht genau beziffert werden können. München investiere seit 2015 zehn Millionen Euro (plus Großprojekte) in den Radverkehr.

Hamburg: Hamburg verweist für das Jahr 2017 auf Ausgaben von insgesamt etwa 15 Millionen Euro, das sind etwa 8,33 Euro pro Kopf und Jahr. Hierbei seien Projekte wie Grund­instandsetzungen, Busoptimierung und Erschließungen, von denen auch der Radverkehr profitiert, nicht berücksichtigt. Die Anteile, die dem Radverkehr zugutekommen, ließen sich nicht herausrechnen. Für das Jahr 2017 kämen zusätzlich noch Investitionen für das StadtRAD in Höhe von 2,7 Millionen Euro sowie etwa 1,58 Millionen Euro für Bike und Ride sowie 500.000 Euro für den Winterdienst hinzu. Auch sei das für den Radverkehr zuständige Personal in den vergangenen Jahren deutlich aufgestockt worden.

Stuttgart: Auch die Stadt Stuttgart erklärte, das dem Radverkehr zugeordnete Personal aufgestockt zu haben. Die reinen Investitionskosten für den Radverkehr, ohne Personalkosten, hätten laut Haushaltsbeschlüssen in dem Doppelhaushalt 2018/2019 5,6 Millionen Euro pro Jahr betragen. Pauschalen, Anteile und Personal hinzugerechnet, käme man beispielsweise für das Jahr 2017 auf 4,05 Millionen und für 2018 auf 8,12 Millionen Euro pro Jahr. Allerdings ist es in den meisten anderen Städten unüblich, die Personalkosten einzurechnen.

Kurzexpertise: Radfahrende schützen - Klimaschutz stärken

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