Industriestrompreis vs. Klimageld?
Eine Frage der Gerechtigkeit
Die Bundesregierung verschleppt das versprochene Klimageld für Bürger:innen, während sie mit dem Industriestrompreis klimaschädliche Milliardengeschenke für Konzerne diskutiert. Ein Meinungsbeitrag.
- mitwirkende Expert:innen Bastian Neuwirth
- Meinung
Klimaschutz kann nur sozial gerecht gelingen. Ein richtiger Schritt in diese Richtung ist das Klimageld - beschlossen im Koalitionsvertrag der Ampel. Die Idee dahinter ist so einfach wie effektiv: Staatliche Einnahmen aus steigenden CO2-Preisen werden an die Bürger:innen zurückgezahlt – und zwar für alle gleich viel. Das heißt: Wer klimaschonend lebt, dem bleibt vom Klimageld unterm Strich am meisten übrig. Vor allem Menschen mit geringem Einkommen würden vom Klimageld besonders profitieren, da sie mit ihrem Konsumverhalten einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck haben als Vermögende.
Gerade in Zeiten von Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten ist das Klimageld ein wichtiges und kluges Instrument, um den notwendigen Klimaschutz mit einem fairen sozialen Ausgleich zu verbinden. So stärkt das Klimageld die Akzeptanz von Klimaschutz und sorgt für eine gerechtere Lastenverteilung. Keine Frage, das Klimageld ist längst überfällig. Doch wo bleibt es? FDP-Finanzminister Christian Lindner vertröstet, er hält eine Auszahlung technisch erst ab 2025 für möglich. Und überhaupt, so die Regierung, fehle derzeit das Geld. Die Mittel im dafür vorgesehenen Klima- und Transformationsfonds (KTF) sind derzeit für die nächsten Jahre anderweitig verplant.
Kein Geld fürs Klimageld? Ernsthaft?!
Nicht nur, dass der erwähnte Klimatopf (KTF) zwischenzeitlich für alle möglichen anderen Wunschprojekte (die teilweise herzlich wenig mit Klimaschutz zu tun haben, wie etwa milliardenschwere Subventionen für Chipfabriken), maßlos zweckentfremdet wird. Seit Monaten streitet die Ampel um die Einführung eines sogenannten Industriestrompreises – denn die Industrie macht Druck für billigere Energie. Die Idee: Strompreise für energieintensive Industrieunternehmen für den Großteil des Verbrauchs auf etwa sechs Cent je Kilowattstunde deckeln. Kurzum: Eine Rundum-Sorglos-Garantie für billigen Strom. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wie es heißt. Das Bundeswirtschaftsministerium schätzt die Kosten für den Industriestrompreis auf 25 bis 30 Milliarden Euro (!) bis zum Jahr 2030. In der Diskussion steht, das Geld aus dem besagten Klima- und Transformationsfond zu nehmen – der ja angeblich zu leergeschöpft ist, um daraus das im Koalitionsvertrag beschlossene Klimageld zu finanzieren. Kein Geld also? Unfassbar!
Was ist das Klimageld?
Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung die Einführung eines sogenannten Klimagelds festgelegt. Das Klimageld sieht vor, dass die Einnahmen aus der Verteuerung von fossiler Energie durch den CO2-Preis an die Bürger:innen zurückfließen – für alle gleichermaßen. Wer umweltfreundlich und klimaschonend lebt, profitiert besonders. Dabei haben Menschen mit geringem Einkommen den größten Vorteil, da sie einen deutlich kleineren CO2-Fußabdruck als Reiche haben. Fast die Hälfte der Bevölkerung hätte am Ende mehr Geld auf dem Konto. Greenpeace fordert, das Klimageld im Sinne von Klimaschutz und sozialem Ausgleich schnell umzusetzen.
Worum geht es beim Industriestrompreis?
Parteien, Gewerkschaften, Industrieverbände und Umweltorganisationen debattierten im Sommer/Herbst 2023 monatelang um die Einführung eines sogenannten Industriestrompreises. Die Ampel-Koalition war zunächst uneins: Grüne und SPD strebten einen vergünstigten Industriestrompreis für bestimmte energieintensive Branchen an, um deren Abwanderung ins Ausland zu verhindern. Die FDP schlug stattdessen Maßnahmen wie die Senkung der Stromsteuer vor. Greenpeace lehnte einen pauschalen Industriestrompreis mit der Gießkanne ab. Am 9. November 2023 verkündete die Bundesregierung schließlich eine Senkung der Strompreise für das produzierende Gewerbe - anstelle des zuvor diskutierten Industriestrompreises.
Industriestrompreis vs. Strompreis-Paket - was wurde entschieden?
Die Bundesregierung hat nach einer mehrmonatigen politischen Debatte um den Industriestrompreis stattdessen ein Strompreis-Paket für das produzierende Gewerbe angekündigt. Darauf haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) geeinigt. Das Strompreis-Paket sieht unter anderem eine deutliche Senkung der Stromsteuer für Unternehmen des produzierenden Gewerbes vor und eine Ausweitung der bisherigen Strompreiskompensation für Konzerne, die besonders im internationalen Wettbewerb stehen. Allein 2024 sollen Unternehmen dadurch eine Unterstützung von bis zu zwölf Milliarden Euro erhalten. Davon sollen insbesondere energieintensive Unternehmen etwa aus der Stahl- und Zementindustrie profitieren. Daran gibt es Kritik. Greenpeace befürchtet, dass die Senkung der Strompreise Anreize zur Energieeinsparung und Emissionsreduktion untergraben und die notwendige klimagerechte Transformation der Wirtschaft ausbremsen.
Die Industrie profitiert bereits von klimaschädlichen Subventionen
Was angesichts der lautstarken Appelle entsprechender Lobbygruppen nach einem Industriestrompreis gern zu kurz kommt: Die Industrie erhält bereits staatliche Energiesubventionen in Milliardenhöhe - und diese haben bislang wohl kaum zur vielbeschworenen Transformation beigetragen:
- Allein für billigeren Strom vergibt der Staat jährlich Subventionen in Höhe von mehr als acht Milliarden Euro an die Industrie (fossiler Anteil: 3,8 Mrd.) - etwa durch Stromsteuerentlastungen.
- Die Gesamtsumme klimaschädlicher Industriesubventionen, die fossile Energieträger begünstigen, beziffert sich in Deutschland pro Jahr auf mehr als 16 Milliarden Euro, wie eine aktuelle Greenpeace-Studie zeigt.
- Zig Milliarden für klimaschädliche Entlastungspakete für Unternehmen wie etwa die Strom- und Gaspreisbremse kommen noch oben drauf!
- Der Großteil dieser Gelder fließt vor allem an wenige energieintensive Großkonzerne wie Thyssenkrupp oder BASF.
Report Zukunftsplan Industrie - Sofortprogramm für den Abbau klimaschädlicher Subventionen
Anzahl Seiten: 62
Dateigröße: 1.32 MB
HerunterladenDabei handelt es sich um fossile Milliardengeschenke, die den Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft verteuern und blockieren. Alleine schon, um international wettbewerbsfähig bleiben zu können, wäre ein schnelles Ende der fossilen Abhängigkeiten unabdingbar.
Der vorgeschlagene Industriestrompreis würden die Lage aber nicht verbessern – im Gegenteil: Er droht, Anreize zum Stromsparen und für Investitionen in Energieeffizienz zu senken, den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremsen und fossile Industriestrukturen zu zementieren. Gleichzeitig könnten die Strompreise laut DIW für alle anderen – Bürger:innen und den Rest der Wirtschaft – steigen. Führende Ökonom:innen warnen vor den Risiken eines Industriestrompreis. Richtig also, dass ihn Bundeskanzler Olaf Scholz ablehnt. Wirtschaftsminister Robert Habeck will ihn dagegen; das hat er in seiner gestern vorgelegten Industriestrategie bekräftigt.
Wir brauchen eine sozial gerechte Klimapolitik
Weder dem Klimaschutz noch der Wirtschaft selbst ist geholfen, wenn die Regierung die ökologische Modernisierung weiter verschleppt und die Unterstützung für Bürger:innen bei der notwendigen Klimawende vernachlässigt. Zu Recht erwartet der Großteil der Gesellschaft einen fairen sozialen Ausgleich und mehr Gerechtigkeit beim Klimaschutz.
Die Bundesregierung sollte aus Greenpeace-Sicht deshalb schleunigst folgende Maßnahmen ergreifen:
- Sie muss jetzt Milliarden an klimaschädlichen Subventionen abbauen, die die ökologische Transformation der Wirtschaft hemmen und die Klimakrise anheizen. Dazu hat sie sich im Koalitionsvertrag längst verpflichtet. Mit freiwerdenden Mitteln könnte die Regierung gezielt die Umstellung auf klimaschonende und effiziente Produktionsverfahren mit erneuerbaren Energien fördern und den Wandel hin zu einer sozial-ökologischen Wirtschaft mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen unterstützen. Energiesubventionen mit der Gießkanne, wie der Industriestrompreis, sind dagegen kontraproduktiv, wie die Greenpeace-Studie zeigt.
- Die Bundesregierung sollte das Klimageld umgehend auszahlen. Wann, wenn nicht jetzt, braucht es entschlossene Signale aus der Politik, dass sie die Menschen beim Klimaschutz nicht alleine lässt. Dass sie die Menschen bei den vielen Veränderungsschritten gerecht unterstützt und niemanden überfordert. Dass alle von einer sozial gerechten Klimaschutzpolitik profitieren.
Die eskalierende Klimakrise trifft die Ärmeren am härtesten, die gleichzeitig über die wenigsten finanziellen Mittel verfügen, sich an die Folgen anzupassen und am ökologischen Fortschritt teilzuhaben. Der Übergang hin zu einer klimagerechten und zukunftsfähigen Gesellschaft kann und wird daher nur gelingen, wenn er solidarisch und gerecht organisiert wird. Dafür braucht es eine Politik, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in dieser Frage stärkt. Das Klimageld wäre der richtige Anfang.