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nuclear waste Iraq
(c)2003 Greenpeace/P. Reynaers

Interview: Zeugen im Irak, 2

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Ab wann habt Ihr Euch den Amerikanern zu erkennen gegeben und wie hat die Zusammenarbeit geklappt bzw. gab es überhaupt eine Zusammenarbeit? Anfangs waren sie ja abweisend und dann haben sie zugegeben, dass Handlungsbedarf besteht.

Wir wussten, dass die Amerikaner in Zusammenarbeit mit der irakischen Atomenergiebehörde vereinzelt Strahlenquellen abhol. Diese Materialsicherung nehmen Sie allerdings nur vor, wenn sie von außen, beispielsweise von Journalisten, über Strahlenquellen informiert werden.

Laufen die Journalisten etwa alle mit einem Geigerzähler herum?

Es gibt derzeit nicht viele Journalisten im Irak, aber die rennen fast alle mit einem Geigerzähler herum. Ein japanisches Team hat auch mal eine Strahlenquelle gekennzeichnet. Sobald es in der Öffentlichkeit bekannt wurde, ist das Material abgeholt worden.

Das heißt aber, sie gehen nicht von selber los und suchen, obwohl sie von den Vorfällen wissen?

Die Amerikaner gehen nicht von selber los. Sie suchen auch nicht systematisch nach radioaktivem Material. Zumindest in den vier Wochen, in denen wir im Irak waren, haben sie das nicht getan. Zudem deuteten alle Geschichten, die wir vorher gehört haben darauf hin, dass es keine systematische Suche gibt. Nach den ersten Plünderungen war es noch etwas leichter, Strahlenquellen zu finden. Die Behälter waren mit Warnzeichen gekennzeichnet.

Unsere Beobachtungen haben ergeben: Kommen Journalisten, gibt es eine Öffentlichkeit, dann kommen auch die Amerikaner, die Profis. Sie haben aber keine Radioaktivitätsexperten, die jetzt Müll entsorgen können, vor Ort. Sie können Kontaminierungen feststellen.

Wir haben das erste Mal offiziellen Kontakt mit den Amerikanern aufgenommen bei unserer ersten Aktion. Wir haben gesagt, wir gehen in die Öffentlichkeit, sobald wir genügend Fakten beisammen haben. Dann können wir direkt zu den Amerikanern gehen, und ihnen den Atommüll vor die Tür legen. Sie sollen ihn dann entsorgen, da das als Besatzungsmacht mit zu ihren Aufgaben gehört.

Und das haben wir dann auch gemacht: Wir haben die radioaktive Strahlenquelle zum Hauptreaktorgelände geschafft. Dabei handelte es sich um ein Objekt, das offensichtlich aus einer Urananreicherungsanlage stammte und etwa zwei Kilo Uranoxid enthielt. Wir haben die Strahlenquelle neben einer Straße in der Ortschaft gefunden.

Das war unser erster Kontakt mit den Amerikanern. Weil wir britische Presse mithatten, war das relativ entspannt. Durch die Presse sahen sie sich irgendwie in Zugzwang und schickten nach ihrem Radioaktivitätsexperten. Er nahm uns mit auf das Gelände und hat uns das Objekt abgenommen. Anschließend gab er uns und der Presse noch Interviews. Er war sehr freundlich.

Wir hatten dann auch Gelegenheit, uns die Materiallager drinnen anzusehen. Dort lagerten alle Strahlenquellen, die sie abgeholt hatten: Fässer, Geräte, industrielle Strahlenquellen, Laboratoriumsgeräte, medizinische Strahlenquellen, viele veschiedene Objekte.

Und da drin waren die sicher gelagert?

Na ja, das ist eine Halle.

Und was ist das für eine Halle?

Eine Blechhalle.

Aber das geht doch da auch durch, oder?

Ja, diese Halle befindet sich im Inneren der Anlage, im Kern der Anlage. Diese Kernanlage ist von einem 30 Meter hohen, riesigen Damm umgeben. Von außen sieht man sie gar nicht. Es sieht aus hier wie bei uns in Deutschland ein hoher Deich aussieht.

Aber eigentlich kann sich da drin doch keiner mehr aufhalten.

Doch, die können sich dort aufhalten, und scheinbar haben sie auch einen anderen Zugang, ein anderes Verhalten. Wir haben auf dem Gelände nicht gemessen. Wir haben dort nur fotografiert und gefilmt.

Haben die Schutzanzüge an? Die, die Strahlenquellen abholen?

Sie tragen auch weiße Overalls. Viel mehr braucht man eigentlich auch nicht. Handschuhe und Overalls, die du ausziehen kannst, wenn du mit einer Strahlenquelle in Berührung gekommen bist. Es wird vorher und nachher gemessen, um sicher zu gehen, dass kein Partikel an dir hängengeblieben ist. Damit kann praktisch jedes Molekül, jeder Partikel festgestellt werden.

Der Oberstleutnant Melanson hat mehrere Vorschriften und Befehle missachtet, indem er erstens das Material angenommen hat und zweitens uns mit auf das Gelände genommen und uns drittens noch Interviews gegeben hat. Viertens hat er offiziell in Interviews gesagt, dass die Internationale Atomenergiebehörde hier gefordert ist. Greenpeace hat die Kräfte nicht, das Problem ist zu groß.

Ist er inzwischen abgezogen worden?

Den Oberstleutnant haben sie daraufhin gleich abgezogen. Wir konnten danach keinen Kontakt mehr zu ihm aufnehmen. Den einzigen Kontakt, den wir dann noch hatten, war der Sicherheitschef der Militärregierung, der für Sicherheit zuständige Offizier.

Hat er etwas darüber gesagt, dass die Amerikaner eigentlich die Pflicht gehabt hätten, solche Anlagen vor Plünderungen zu schützen?

Darüber haben wir mit ihm nicht geredet. Mit ihm haben wir über ganz andere Dinge besprochen. Wir sind da ganz vorsichtig vorgegangen, da wir nicht das Klima zerstören wollten.

Aus unserer Sicht sind die Amerikaner sicherlich für diese Plünderungen verantwortlich. Sie haben sie zugelassen und nach unserer Meinung war es möglich, die gefährlichen Objekte zu schützen.

Wir haben ja auch gesehen, dass das Ölministerium in Bagdad nicht in Flammen aufgegangen ist und bis heute nicht geplündert wurde. Die Ölfelder sind nicht geplündert worden, die Raffinerien sind nicht geplündert worden. Ich unterstelle jetzt mal den Amerikanern im Irak, dass das einzige, was sie geschützt haben, die Kerninteressen der Ölindustrie betrifft.

Archäologische Museen, Ministerien, die wichtigsten Ausgrabungsstätten, werden nach wie vor, bis zum heutigen Tag, geplündert und nicht geschützt. Die Atomanlagen, Chemieanlagen, Werkstätten, alles.

Wie ist es jetzt mit der medizinischen Versorgung der Menschen? Du hattest gesagt, es habe den Anschein, dass viele strahlenverseucht sind. Passiert da irgendwas?

Es gibt ein Krankenhaus in Tuwaitha, aber das ist vollständig ausgeplündert. Es gibt dort zwar Ärzte, aber sie können nichts machen, sie haben einfach nichts. Da steht noch nicht einmal mehr ein Bett drin. Dort sind sogar die Lampen und die Kabel rausgerissen worden.

Das nächste Spital ist vielleicht 15 Kilometer in südlicher Richtung entfernt. Dort wurde nicht geplündert und dahin sind dann auch Kranke gekommen. Allerdings, dort in einem Slum, ist das Krankenhaus nicht gut genug ausgerüstet. Die Ärzte können dort nicht feststellen, ob es sich um die Strahlenkrankheit oder vielleicht um eine Infektion handelt. Die Symptome sind oft ähnlich oder sogar dieselben. Man müsste die Menschen aber viel genauer untersuchen können. Aber dazu fehlen Geräte, fehlt die Expertise, fehlt auch der Zugang zu Informationen.

Zudem kann man die Leute nicht einfach holen. Man muss zu ihnen hingehen. Es fehlt einfach an allem und niemand kümmert sich darum. Auch wir wissen nicht, welches Ausmaß die Strahlenkrankheit und Uranverseuchung hat.

Liegt es an den USA, dass da niemand hinkommt? Es wäre ja Aufgabe der Weltgesundheitsbehörde, in dieses Gebiet zu gehen und systematisch zu untersuchen. Also wer setzt da die Grenzen, dass da nichts passiert?

Also, das ist eigentlich geregelt. Nach der Genfer Konvention ist eine Besatzungsmacht verpflichtet, für die Gesundheit der Bevölkerung zu sorgen. Sie ist dafür verantwortlich und muss die Gesundheit der Menschen sicher stellen. Tut sie das nicht, liegt ein Bruch der Genfer Konvention vor.

Das heißt, die Amerikaner und die Briten sind dafür verantwortlich, was im Irak passiert. Sie müssen nicht nur Al-Tuwaitha im Auge haben, sondern auch die anderen Nuklearanlagen im Irak, die möglicherweise auch geplündert sind. Oder Chemieanlagen im ganzen Land. Das ist ein Faktum.

Das zweite ist: Wenn sich die Besatzungsmächte durchringen könnten, und man nimmt jetzt Al-Tuwaitha, und nicht den Rest des Irak, geht dort seinen Pflichten nach, dann müssten das Experten übernehmen, und diese Experten sind bei den Vereinten Nationen. Das ist die Internationale Atomenergiebehörde, die kann systematisch suchen, nach Strahlenquellen, die kann systematisch die Strahlenquellen entsorgen, kann dekontaminieren. Das ist sozusagen die Organisation, die das machen kann. Die Gesundheitsorganisation WHO wiederum, die könnte die Menschen mal untersuchen, die könnte Krankheiten feststellen, die könnte Unterschiede feststellen, ob das die Strahlenkrankheit oder ob das was anderes ist. Und die könnte natürlich der Bevölkerung helfen. Soweit man halt helfen kann. In dem Fall. Sobald du das hier drinnen hast (zeigt auf seinen Arm), dann kriegst du es nicht mehr raus. Wenn du aber jetzt eine Hautkrankheit davon hast, können die die Symptome und Schmerzen lindern, das kann man auf jeden Fall machen.

Weiter geht es mit dem dritten Teil des Gesprächs.

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