You can't sink a Rainbow
- Ein Artikel von Martin Kaiser
- Meinung
Wer den Frieden will, darf den Protest nicht fürchten: Am 10. Juli vor 40 Jahren wurde das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior versenkt – heute wird Protest politisch und juristisch ausgehöhlt. Dabei ist zivilgesellschaftliches Engagement, das Machtmissbrauch und Umweltzerstörung sichtbar macht, keine Bedrohung, sondern Grundlage jeder lebendigen Demokratie. Ein Meinungsbeitrag von Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace.
Deutschland versteht sich gern als Friedensmacht. Als Land, das aus seiner Geschichte gelernt hat. Als Land, das Menschenrechte verteidigt, diplomatisch vermittelt und internationale Verantwortung übernimmt. Doch wie ernst ist es uns damit – wenn zivilgesellschaftliche Organisationen zunehmend unter politischen Druck geraten, weil sie diese Verantwortung beim Namen nennen? Weil sie öffentlich machen, wer zur Klimakrise beiträgt. Weil sie Konzerne anprangern, die Wälder zerstören oder Menschenrechte missachten.
Im März 2025 wurde Greenpeace USA zu über 660 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt – wegen einer Kampagne gegen ein Unternehmen, das massive Flächen ursprünglichen Regenwalds rodet und damit globale Umweltzerstörung vorantreibt.
SLAPP-Klagen (englisch für: Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung) wie diese missbrauchen die Rechtsprechung, um Kritiker:innen einzuschüchtern. Wer es wagt, Widerstand gegen Umweltzerstörung zu leisten, wird kostspielig verklagt. Aber Organisationen wie Greenpeace werden sich davon nicht unterkriegen lassen.
Wir lassen uns nicht einschüchtern. Weder von Regierungen noch von Konzernen. Weder mit Gewalt noch mit juristischen Drohgebärden. Die Antwort von Greenpeace auf Einschüchterung ist heute die gleiche wie 1985: Mut, Solidarität – und Widerstand.
Die Lehre der Rainbow Warrior: Mahnmal für friedlichen Protest
Vor diesem Hintergrund gewinnt ein Ereignis, das sich genau heute vor 40 Jahren zugetragen hat, neue Brisanz. Am 10. Juli 1985 versenkte der französische Geheimdienst das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior im Hafen von Auckland, Neuseeland. Ziel des Bombenanschlags: Die Proteste gegen französische Atomtests im Pazifik zum Schweigen zu bringen. Beim Anschlag kam der Fotograf Fernando Pereira ums Leben. Die Rainbow Warrior kam zu diesem Zeitpunkt von einem humanitären Einsatz. Sie hatte die Bevölkerung des Atolls Rongelap auf den Marshallinseln auf Bitte der Bewohner:innen evakuiert. Ihre Heimat war durch jahrzehntelange US-Atomwaffentests radioaktiv verseucht worden. Zwischen 1946 und 1958 explodierten dort über 67 US-amerikanische Atombomben – mit verheerenden Auswirkungen: Die Bewohner:innen wurden verstrahlt, schwer gesundheitlich geschädigt und entwurzelt. Bis heute hat der US-amerikanische Staat nicht die volle Verantwortung hierfür übernommen oder sich offiziell entschuldigt.
Greenpeace handelte, wo Staaten versagten – und machte damit sichtbar, wie sehr atomare Gewalt die Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften zerstört. Damit wurde die Rainbow Warrior nicht nur zur Hoffnungsträgerin für die Menschen der Marshallinseln, sondern auch zur Zielscheibe politischer Machtinteressen. Nachdem die Gemeinschaft von Rongelap in Sicherheit gebracht war, segelte die Crew der Rainbow Warrior weiter nach Auckland, Neuseeland. Von dort sollte es weiter gehen nach Französisch-Polynesien – ein weiterer Schauplatz kolonialer Atomtests. Geplant war ein gewaltfreier Protest gegen die französischen Nukleartests auf dem Atoll Moruroa in Ma‘ohi Nui.
Der Anschlag auf die Rainbow Warrior war ein Versuch, diese friedlichen Proteste gewaltvoll mundtot zu machen. Der Versuch scheiterte: Das Schiff sank – der Protest nicht. Die anhaltenden internationalen Proteste zeigten Erfolg: Frankreich führte 1996 seinen letzten Atomwaffentest im Pazifik durch. Der weltweite Druck – insbesondere auch von Greenpeace – war mitentscheidend dafür, dass die französischen Atomversuche im Pazfizik eingestellt wurden.
Rongelap vergisst nicht – die Rainbow Warrior segelt wieder
Der heutige 40. Jahrestag ist Mahnmal und Aufruf zugleich – ein Aufruf für mehr gesellschaftlichen und politischen Mut. Die diesjährige internationale Greenpeace-Kampagne auf den Marshallinseln macht deutlich: Verantwortung ist keine historische Fußnote. Die Betroffenen rund um das Bikini-Atoll fordern bis heute Gerechtigkeit, umfängliche medizinische Versorgung und politische Anerkennung.
Im Rahmen einer internationalen Schiffstour bringt die Rainbow Warrior III 40 Jahre nach der Evakuierung von Rongelap Betroffene und Wissenschaft zusammen: Ein Team aus unabhängigen Strahlenexpert:innen und Greenpeace-Wissenschaftler:innen führt vor Ort Strahlenmessungen auf mehreren Atollen durch. Die Daten fließen direkt in Verfahren der National Nuclear Commission gegen die US-Regierung ein. In einer Zeit, in der die globale Aufrüstung und hegemoniale Interessen wieder zunehmen, ist diese Arbeit ein wichtiges Instrument für Gerechtigkeit. Dass diese Verfahren überhaupt angestoßen werden, ist dem unermüdlichen Einsatz von Aktivist:innen, Wissenschaft und betroffener Bevölkerung zu verdanken. Doch genau diese Form des Engagements ist gegenwärtig verstärkten Angriffen ausgesetzt – wenn auch mit anderen Mitteln.
40 Jahre später: Zivilgesellschaft unter Druck – mit anderen Mitteln
Vier Jahrzehnte nach dem Anschlag auf die Rainbow Warrior nehmen Einschüchterungsversuche neue Formen an – subtiler, aber nicht weniger bedrohlich. Mit Klagen und öffentlichen Delegitimierungen: Wer Missstände benennt, gerät in die Defensive, wird als zu radikal oder extrem hingestellt. Doch genau hier liegt der Irrtum: Zivilgesellschaft ist keine Randerscheinung. Sie ist kein Störgeräusch, sondern eine tragende Säule demokratischer Ordnung. Protest ist nicht das Gegenteil von Frieden, sondern seine Voraussetzung. Ohne zivilgesellschaftliche Organisationen gäbe es keine Bewegung gegen Atomwaffen, keine Klimaschutzgesetzgebung, keine Friedensbewegung, die diesen Namen verdient.
Ziviles Engagement und politische Haltung sind kein “Add-on”, sondern eine demokratische Notwendigkeit. Protest gegen Missstände ist demokratische Infrastruktur. Es ist Widerstand gegen Zynismus, Mut zur Moral, gelebte Verantwortung. Wer sich für Frieden einsetzt, sollte nicht zuerst nach Ordnung, sondern nach Gerechtigkeit fragen – und jene schützen, die sie einfordern.
Dafür braucht es einen verlässlichen gesetzlichen Schutzraum für zivilgesellschaftliche Organisationen im eigenen Land. Die Bundesregierung sollte die Gemeinnützigkeit politisch aktiver NGOs gesetzlich absichern – und damit klarstellen, dass Protest, Aufklärung und Kritik kein Missbrauch, sondern ein Ausdruck demokratischer Verantwortung sind. Wer sich im Sinne des Gemeinwohls engagiert, verdient Schutz – nicht Misstrauen. Die Bundesregierung sollte neben dem Schutz der Gemeinnützigkeit auch die EU-Anti-SLAPP-Richtlinie zügig und ambitioniert in nationales Recht überführen – als klares Signal gegen Einschüchterungsklagen und für eine wehrhafte Demokratie. Hierfür hat Greenpeace im Juni 2025 ein Rechtsgutachten vorgelegt, das rechtliche Wege zur Umsetzung der EU-Richtlinie aufzeigt.
Die Geschichte der Rainbow Warrior verdeutlicht, warum genau das nötig ist. Der Anschlag auf das Schiff sollte mit Gewalt den friedlichen Protest beenden. Der Einschüchterungsversuch misslang. Tatsächlich wurde die Rainbow Warrior zum Symbol – für Mut, für Menschlichkeit, für zivilgesellschaftliche Entschlossenheit. Mutige Stimmen lassen sich nicht zum Schweigen bringen. Nicht vor 40 Jahren. Nicht heute. Und auch nicht morgen – you can’t sink a rainbow.