
SLAPP-Klagen: Greenpeace-Gutachten zeigt rechtliche Wege
- Ein Artikel von Luisa Lamm
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Weltweit setzen große Ölkonzerne und andere Umweltverschmutzer zunehmend auf SLAPP-Klagen, um Kritiker:innen zum Schweigen zu bringen. Diese „Strategic Lawsuits Against Public Participation“ (Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung) sollen engagierte Menschen und Organisationen einschüchtern, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken und ihr Engagement unterdrücken.
So wurden Greenpeace USA und Greenpeace International in einer von Energy Transfer angestrengten SLAPP-Klage in den USA von einer Jury in erster Instanz vorerst zu 660 Millionen US-Dollar Schadenersatz verurteilt. Die Klage von ET gegen Greenpeace stand in Zusammenhang mit den im Jahr 2016 von Indigenen geführten Protesten gegen die geplante Pipeline in Standing Rock. Das Urteil muss richterlich noch bestätigt werden.
Anti-SLAPP-Richtlinie: EU wehrt sich
Um Journalist:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und ihre Organisationen künftig besser vor missbräuchlichen Klagen zu schützen, hat die Europäische Union im April 2024 die Anti-SLAPP-Richtlinie beschlossen. So soll verhindert werden, dass Unternehmen Gerichte dazu missbrauchen, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die sich kritisch äußern. Somit gibt die Richtlinie den in der EU ansässigen Opfern von SLAPP-Klagen die Möglichkeit, sich zu wehren. Eine starke Koalition der Zivilgesellschaft hat die EU dahingehend zum Handeln bewegt.

Rechtsgutachten zur EU-Anti-SLAPP-Richtlinie
Anzahl Seiten: 23
Dateigröße: 2.41 MB
HerunterladenBeklagte können aufgrund der EU-Richtlinie eine frühestmögliche Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen und weitere Maßnahmen beantragen. Ein Bericht der Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE) dokumentierte 820 SLAPP-Klagen in Europa (Stand: August 2023), wobei 161 Klagen im Jahr 2022 eingereicht wurden, ein deutlicher Anstieg gegenüber den 135 Fällen, die 2021 eingereicht wurden.
Nur wenige Monate nach ihrer Verabschiedung ist die neue EU-Anti-SLAPP-Richtlinie bereits in die Verteidigung von Greenpeace International (GPI) gegen Energy Transfer eingeflossen: GPI, das seinen Sitz in den Niederlanden hat, informierte Energy Transfer in einer Haftungs-Mitteilung am 23. Juli 2024 über seine Absicht, das Unternehmen vor einem niederländischen Gericht zu verklagen. Ziel ist, den gesamten Schaden und die durch die SLAPP-Klage entstandenen Kosten ersetzt zu bekommen. Es ist das erste Mal, dass die neue EU-Anti-SLAPP-Richtlinie in einem laufenden Rechtsstreit geltend gemacht wird.
Obwohl die Frist für die Niederlande zur Umsetzung der Richtlinie erst 2026 abläuft, kann sie bei der Auslegung des bestehenden niederländischen Rechts eine Rolle spielen. Denn insbesondere Kapitel V der Richtlinie schützt Organisationen mit Sitz in der EU vor SLAPP-Klagen von außerhalb der EU und gibt ihnen das Recht auf Entschädigung. Das bedeutet, dass Energy Transfer in den Niederlanden auf Schadenersatz verklagt werden kann, wenn es seine Ansprüche gegen GPI in North Dakota nicht aufgibt.
Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie in nationales Recht
Die EU hat mit ihrer Anti-SLAPP-Richtlinie 2024 einen wichtigen Schritt zum Schutz zivilgesellschaftlichen Engagements getan. Fälle wie der Prozess von Energy Transfer gegen Greenpeace USA und Greenpeace International zeigen, wie wichtig es nun ist, die Anti-SLAPP-Richtlinie der EU konsequent in nationale Gesetze umzusetzen. Die Mitgliedstaaten wie Deutschland sind dazu innerhalb der nächsten zwei Jahre verpflichtet.
Greenpeace fordert deshalb die Bundesregierung auf, die Zivilgesellschaft mit der wirksamen und zügigen Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie besser zu schützen:

Die EU hat die demokratiezersetzende Gefahr, die von SLAPPs ausgeht, erkannt. Deutschland steht jetzt in der Pflicht, der Richtlinie Taten folgen zu lassen: Das Recht auf freie Meinungsäußerung muss geschützt werden. Damit sich engagierte, zivilgesellschaftliche Akteur:innen wieder auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können: das Aufdecken von Umweltmissständen und die Information der Öffentlichkeit.
SLAPP-Verfahren gegen Greenpeace und andere NGOs ebenso wie gegen Journalist:innen zeigen eindrücklich, wie dringend notwendig Schutzmechanismen gegen missbräuchliche Verfahren sind. Daher sollte die rechtliche Umsetzung über die Mindestvorgaben der Anti-SLAPP-Richtlinie hinausgehen. Im deutschen Zivilprozessrecht braucht es vor allem effektive Mechanismen zur Früherkennung und Abwehr solcher SLAPP-Klagen.
Ein Rechtsgutachten der Kanzlei LST Schuhmacher & Partner hat im Auftrag von Greenpeace Deutschland untersucht, wie die Anti-SLAPP-Richtlinie der EU in deutsches Recht umgesetzt werden kann und welche rechtlichen Instrumente und Ansätze dafür am wirksamsten geeignet sind:
- Frühzeitige Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen: Gerichte müssen entsprechende Anträge zügig prüfen und entscheiden.
- Beweislast beim Kläger: In potenziellen SLAPP-Verfahren liegt es bei der klagenden Partei, darzulegen, dass ihre Klage berechtigt und nicht missbräuchlich ist.
- Rechtsbehelfe und Sanktionen: Gerichte sollen Sanktionen verhängen können, wenn sich ein Verfahren als missbräuchlich erweist – inklusive Kostenübernahme und ggf. Schadensersatz.
Weitere SLAPP-Klagen gegen Greenpeace in Europa
Weitere SLAPP-Klagen gegen Greenpeace-Organisationen in Europa zeigen, wie notwendig die schnelle Umsetzung der Anti-SLAPP-Richtlinie der EU nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten ist.
2025: Romgaz vs. Greenpeace CEE Romania
Am 16. Mai 2025 wurde öffentlich, dass Greenpeace Rumänien vom staatlich kontrollierten Energieunternehmen Romgaz verklagt wird – mit dem Ziel, die Organisation aufzulösen. Genau geht es um das geplante Gasfeld „Neptun Deep” im Schwarzen Meer, gegen welches Greenpeace Rumänien juristische Schritte eingeleitet hatte. Entgegen der Behauptungen von Romgaz liegen keine gerichtlichen Zahlungsforderungen vor, ebenso weist Greenpeace Rumänien auf seine transparente Finanzierung hin. Dieser Fall stellt eine strategische Einschüchterung dar und ist damit eine ernsthafte Bedrohung für öffentliche Teilhabe und Meinungsäußerung der Zivilgesellschaft in Rumänien.
Am 11. Juni, dem Tag der ersten Anhörung in Rumänien, hat Romgaz die Klage überraschend zurückgezogen. Das Gericht hat den Rückzug akzeptiert und Romgaz dazu verpflichtet, die Verfahrenskosten in Höhe von 10.950 Lei (ca. 2.178 €) zu tragen. Greenpeace Rumänien hatte sich dafür ausgesprochen, das Verfahren fortzusetzen, um die unbegründeten Vorwürfe auch rechtlich eindeutig zurückzuweisen – das wurde vom Gericht allerdings abgelehnt. Der Rückzug von Romgaz ist ein deutliches Zeichen: Die Klage war eine klassische SLAPP-Klage und ein eindeutiger Versuch, Greenpeace Rumänien einzuschüchtern und ihre Arbeit zu diskreditieren.
2024: ENI vs. Greenpeace Italia & ReCommon
Am 7. Oktober 2024 reichte der Ölkonzern ENI eine SLAPP-Klage gegen Greenpeace Italien und die Organisation ReCommon ein. Damit will er die öffentliche Kritik an seiner Rolle in der eskalierenden Klimakrise unterbinden. Die Klage steht im Zusammenhang mit einer früheren, noch laufenden Klage von Greenpeace und ReCommon gegen ENI (“Just Cause”), die das Unternehmen für seine Klimaauswirkungen zur Verantwortung ziehen will. Eine Studie von Greenpeace Niederlande zeigt klar, dass ENIs Emissionen bis zum Ende des Jahrhunderts tausende zusätzliche Todesfälle verursachen könnten.
2023: TotalEnergies vs. Greenpeace France
Im April 2023 hatte TotalEnergies Greenpeace Frankreich wegen eines Berichts verklagt, der die tatsächlichen Emissionen des Konzerns deutlich höher einschätzte, als dieser offiziell angegeben hatte. Ein Pariser Gericht wies die Klage im Mai 2024 allerdings ab, da die vorgebrachten Vorwürfe und Argumente unklar und zu vage waren. Dieses Urteil stellt einen wichtigen Sieg für die Meinungsfreiheit in Frankreich dar, mit Signalwirkung auch für andere Fälle.
2023: Shell vs. Greenpeace UK und Greenpeace International
Im Februar 2023 reichte Shell Klage gegen Greenpeace UK und Greenpeace International ein, nachdem Aktivist:innen eine Ölplattform in der Nordsee besetzt hatten. Shell forderte über 11 Millionen US-Dollar Schadensersatz und ein weltweites Protestverbot für die beiden Greenpeace-Organisationen. Im Dezember 2024 wurde die Klage außergerichtlich beigelegt: Greenpeace zahlt keine Entschädigung, übernimmt keine Schuld und spendet freiwillig 300.000 Pfund an die britische Seenotrettung RNLI. Proteste an vier Shell-Standorten in der Nordsee wurden für einen begrenzten Zeitraum ausgeschlossen. Der Fall mobilisierte große öffentliche Unterstützung und wurde auch international als klassisches Beispiel für eine SLAPP-Klage wahrgenommen.