“Unser aller Überleben hängt vom Amazonas ab”
- Ein Artikel von Miryam Nadkarni
- Im Gespräch
Die Zerstörung durch Agrarunternehmen ist rasant. Otacir Terena spricht anlässlich der COP30 über verlorene Seen, sterbende Fische und was der Schlüssel zur Rettung des globalen Klimas ist.
Zum Start der entscheidenden Verhandlungswoche der Weltklimakonferenz COP30 in Belém, Brasilien, ziehen tausende indigene Demonstrierende auf die Straße. Ihr zentrales Anliegen: mehr Schutz der Wälder und eine Durchsetzung ihrer Landrechte. Wir haben vorab mit Otacir Terena gesprochen – einem der indigenen Anführer, der in den Monaten vor der COP30 durch die Welt reiste, um Gerechtigkeit zu fordern.
Greenpeace: Sie sind sehr weit von Ihrer Heimat entfernt und haben die Welt und Europa bereist. Was ist Ihre Mission?
Otacir Terena: In den vergangenen zehn Jahren haben wir Indigene zusehen müssen, wie unsere Heimat zerstört wird. Der Amazonas-Regenwald erleidet immense Verluste. Und es betrifft nicht nur den Amazonas. Tausende von Bäumen, Pflanzen und Tieren sind in den verheerenden Feuern zugrunde gegangen, die meine Heimatregion, das Pantanal – das größte tropische Feuchtgebiet der Welt – verwüstet haben. Meine Mission ist es, dieser Zerstörung eine Stimme zu geben und mich für das Leben unserer Territorien einzusetzen.
Haben Sie persönlich miterlebt, wie sich der Ort, aus dem Sie stammen, verändert?
In der Nähe des Ortes, wo ich aufwuchs, gab es einen See. Dort bin ich als Junge schwimmen gegangen und habe geangelt, um meine Familie zu ernähren. Dieses Jahr haben sie die umliegenden Bäume gefällt, das gesamte Wasser herausgepumpt und ihn trockengelegt, um eine Straße zu bauen. Es ging unglaublich schnell. Die Maschine hat den Boden geöffnet, das Wasser ist abgelaufen, und der See war innerhalb von Stunden ausgetrocknet. Ich sah Fische zappeln, die im austrocknenden Schlamm starben. Die Menschen eilten herbei, um die Fische einzusammeln – um sie zu retten, um sie zu essen.
Das hat mich tief erschüttert. Es fühlte sich an, als würde meine Geschichte zerstört. Über Generationen hinweg war meine Familie nachts dorthin gegangen, um zu fischen, zu tanzen und zu schwimmen. Der See war nicht nur eine Nahrungsquelle, sondern ein wesentlicher Teil unserer Kultur und unseres täglichen Lebens.
Klima-Demonstration der indigenen Gemeinschaften während der COP30
Was erwarten Sie von der brasilianischen Regierung und auch der COP30?
Zwei Dinge sind entscheidend. Erstens: Wir brauchen finanzielle Unterstützung, um unser Land zu schützen und dabei zu helfen, den Wald dort wieder aufzuforsten, wo er zerstört wurde. Zweitens, und das ist vielleicht das Wichtigste: Wir brauchen die Demarkierung unserer Territorien, also die juristische Anerkennung, dass diese Gebiete uns gehören. Ohne eine offizielle Anerkennung werden die Unternehmen weiterhin die Natur zerstören, um Straßen und riesige Viehzuchtbetriebe zu errichten. Es wird für sie viel schwieriger, das zu tun, sobald das Land offiziell uns Indigenen gehört. Und wenn dann trotzdem jemand die Natur zerstört, können wir zumindest rechtlich dagegen vorgehen. Die Demarkierung und finanzielle Unterstützung wird nicht nur uns helfen, unser traditionelles Leben fortzusetzen; es ist ein globales Gebot. Achtzig Prozent der biologischen Vielfalt des Amazonas-Regenwaldes befindet sich in unseren Gebieten, und diese Biodiversität sorgt dafür, dass die Wälder gesund sind und CO2 speichern können – was letztlich das globale Klima schützt.
Warum gibt es gerade in indigenen Regionen so viel biologische Vielfalt?
Das liegt daran, dass wir nur das nehmen, was wir brauchen; wir betreiben keine Massenproduktion. Wenn wir der Natur etwas entnehmen, erhält das Ökosystem die Chance, sich vollständig zu erneuern. Diese Praxis sorgt dafür, dass das Ökosystem intakt und gesund bleibt. Wenn jedoch beispielsweise Agrarunternehmen in den Regenwald eindringen, brennen sie ihn bis auf den Grund nieder. Diese Zerstörung könnte drastisch zunehmen, wenn das EU-Mercosur-Abkommen umgesetzt wird. Dieses geplante Freihandelsabkommen sieht vor, Zölle auf Produkte wie Rindfleisch zu senken – den Haupttreiber der Zerstörung im Amazonasgebiet.
Einige Politiker und Politikerinnen haben uns gesagt: „Es tut mir leid, dass Ihr Land zerstört wird, aber wir müssen auf uns selbst achten und sicherstellen, dass die Menschen in unseren Ländern genug Nahrung und eine starke Wirtschaft haben.“ Ich habe ihnen die Wahrheit gesagt: Wenn sie sich um die Tropenwälder kümmern, kümmern sie sich auch um sich selbst in Europa. Alles ist miteinander verbunden. Wer den Amazonas-Regenwald weiter zerstört, destabilisiert das globale Klima, was Ernten, die Wirtschaft und das Überleben aller auf der ganzen Welt gefährdet – auch in Europa.
Was gibt Ihnen Hoffnung?
Wir sind mit Greenpeace um die Welt gereist, um mit Menschen aus Politik, Medien und anderen Organisationen zu sprechen. Kurz vor Beginn der COP30 haben wir mit deutschen Politikern und Politikerinnen über unsere Sorgen, unseren Schmerz, aber auch über die guten Dinge gesprochen, die geschehen. So viele Menschen zu treffen, die bereit sind zuzuhören und unsere Sache zu unterstützen, war eine unglaublich kraftvolle und hoffnungsvolle Erfahrung.
Zur Person
Otacir Terena
Otacir Terena ist ein indigener Führer des Volkes der Terena aus dem Pantanal. Er ist ein Schlüsselvertreter des Terena-Volksrates – einer von sieben regionalen indigenen Organisationen, die die APIB (Articulação dos Povos Indígenas do Brasil) bilden. Die APIB ist die nationale indigene Organisation, die die Rechte der indigenen Völker in Brasilien vertritt, verteidigt und sich für den Umweltschutz einsetzt. Otacir stammt aus Sidrolândia/MS und bekleidet dort in der dritten aufeinanderfolgenden Amtszeit einen Sitz im Kommunalparlament.