
Tierleid zum Sonderpreis – was Fleischwerbung verschweigt
- Ein Artikel von Dr. Eva Boller
- mitwirkende Expert:innen Matthias Lambrecht
- Nachricht
Trotz Klimaversprechen bewerben Supermärkte mehr Billigfleisch denn je – auf Kosten von Tierwohl, Umwelt und Glaubwürdigkeit. Greenpeace fordert jetzt ein Ende der irreführenden Werbung.
Jede Woche flattern sie in Millionen Haushalte: bunte Prospekte mit prall gefüllten Einkaufswagen, lachenden Familien – und Fleisch zu Tiefstpreisen. Das halbe Hähnchen für 2,99 Euro, das Kilo Schweinenacken für unter fünf Euro. Auf viele Konsument:innen wirken diese Angebote wie ganz normale Alltagswerbung. Doch hinter dem augenscheinlichen Sparpreis steckt ein System, das unsere Zukunft gefährdet – und die Tierschutz- und Klima-Versprechen großer Handelsketten ad absurdum führt.
Denn obwohl Supermarkt-Giganten wie Edeka, Rewe, Aldi oder Lidl öffentlichkeitswirksam mehr Tierwohl und Klimaschutz versprechen, sieht die Realität anders aus. Die Konzerne haben sich dazu bekannt, ab 2030 kein Fleisch aus den schlechtesten Haltungsformen mehr anzubieten. Zudem haben sie sich zur Klimaneutralität in ihren Unternehmen verpflichtet – das kann aber nur mit deutlich weniger Fleisch- und Milchprodukten in den Sortimenten der Märkte gelingen. Denn bei der Erzeugung tierischer Lebensmittel fällt der Großteil der Treibhausgasemissionen an, die die Lebensmitteleinzelhändler vermeiden müssen.
Eine aktuelle Analyse von Greenpeace zeigt jedoch: Anstatt den Konsum klimafreundlicher, pflanzlicher Lebensmittel zu fördern und tierische Produkte nur in kleineren Mengen und aus besserer Haltung zu bewerben, haben die Unternehmen ihre Werbung für Billigfleisch aus tierquälerischer Massentierhaltung in den vergangenen Jahren sogar noch ausgeweitet. Die von Greenpeace beauftragte Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) zählte allein im vergangenen Jahr 8.066 Werbeaktionen für Frischfleisch in deutschen Supermärkten – rund 22 Prozent mehr als noch 2019.

Werbereport_Fleisch.pdf
Anzahl Seiten: 14
Dateigröße: 2.07 MB
HerunterladenBesonders brisant: 97,4 Prozent dieser Angebote bezogen sich auf konventionell produziertes Fleisch, also Produkte aus den niedrigsten Haltungsformen (1, 2 und 3) oder gänzlich ohne Kennzeichnung. Besonders in den Haltungsformen 1 und 2 leiden die Tiere: unter Enge in den Ställen, Bewegungs- und Beschäftigungsmangel. Der Anteil der Werbung für Bio-Fleisch sank auf gerade einmal 2,6 Prozent – ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Auch pflanzliche Alternativen verloren 2024 an Sichtbarkeit: Nur noch 294 Aktionen bewarben Fleisch- und Wurstalternativen auf pflanzlicher Basis – ein Rückgang von fast einem Drittel im Vergleich zum Vorjahr.

“Die Supermärkte müssen ihren Kund:innen bessere Angebote machen, damit sie sich mit erschwinglichen gesunden Lebensmitteln ernähren können, die klima- und umweltverträglich erzeugt werden. Erst vergangene Woche hat eine von Greenpeace veröffentlichte Studie verdeutlicht, zu welch massiven Gesundheits- und Umweltkosten eine Ernährungsweise mit übermäßigem Konsum von Fleisch führt."
Supermärkte halten Nachhaltigkeitsziele nicht ein
Die Werbepraxis der führenden Lebensmittelketten trägt nicht nur dazu bei, dass diese versteckten Kosten des Ernährungssystems weiter steigen, die von der Allgemeinheit getragen werden. Sie stehen auch in scharfem Widerspruch zu den selbst gesteckten Zielen der Unternehmen: Spätestens ab 2030 sollen keine Produkte aus den niedrigsten Haltungsformen mehr verkauft werden, ab 2045 wird sogar Klimaneutralität angestrebt - verlautbaren Aldi, Lidl, Kaufland, Edeka, Netto und Rewe.
Doch während diese Zielvorgaben auf den Internetseiten und in Nachhaltigkeitsberichten zu finden sind, sendet die Werbung ein völlig anderes Signal: Die Konzerne heizen die Nachfrage nach billigem Fleisch weiter an – und verspielen damit ihre Glaubwürdigkeit bei Klima-, Umwelt und Tierschutz. Allein im Jahr 2024 veröffentlichten die untersuchten Supermärkte zusammen im Schnitt 155 Fleisch-Werbeaktionen pro Woche. Besonders aktiv war Lidl mit 22,7 Aktionen pro Woche. Aldi Süd war mit 11,6 Aktionen zurückhaltender – doch von einer Werbestrategie im Einklang mit den öffentlich gemachten Versprechen kann auch dort keine Rede sein.
Rechtliche Grauzonen und die Macht der Bilder in der Fleischwerbung
Greenpeace weist seit Jahren auf die problematische Vermarktungspraxis der Supermärkte hin – insbesondere im Hinblick auf Tierwohl. Die Produkte stammen meist aus Haltungen, die mit Tierschutzgesetzen kaum vereinbar sind: Enge, dunkle Ställe, amputierte Schwänze, keine Beschäftigungsmöglichkeiten – die Liste des Tierleids ist lang. Eine transparente Kennzeichnung fehlt häufig, Konsument:innen bleiben im Dunkeln über die tatsächlichen Bedingungen.
Ein einfaches gesetzliches Verbot von Preiswerbung für Fleisch klingt verlockend, könnte aber neue Probleme schaffen. Ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten warnte bereits 2021: Ohne Preisangaben könnten Supermärkte auf andere, oft noch manipulierendere Werbestrategien ausweichen – etwa durch idyllische Bauernhofbilder oder Begriffe wie „regional“ oder „bäuerlich“, die mit der Realität industrieller Tierhaltung wenig zu tun haben. Die Gefahr: Die Täuschung der Verbraucher:innen würde sich weiter verschärfen – diesmal subtiler, aber nicht minder wirkungsvoll. Deshalb sind die Lebensmitteleinzelhandelsketten hier besonders in der Pflicht: Sie müssen Transparenz über Haltungsbedingungen und die ökologische Folgen der Fleisch- und Milcherzeugung schaffen und so ihre Kund:innen aufklären, statt sie mit Lockangeboten weiter in die Irre zu führen.
Gesellschaft zahlt hohen Preis für Billigfleisch
Die Konsequenzen der industriellen Fleisch- und Milchproduktion sind dramatisch: Tiere leiden, die Umwelt wird belastet, resistente Keime entstehen – und das Klima leidet massiv. Die Forschung ist eindeutig: Rund 14,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entstehen durch tierische Produkte. Der Weltklimarat IPCC warnt: Wenn sich daran nichts ändert, könnten bis zum Jahr 2050 bis zu 40 Prozent aller Emissionen aus der Lebensmittelproduktion stammen. Die jährlichen Kosten für Umwelt- und Klimaschäden belaufen sich jetzt schon auf 21 Milliarden Euro jährlich, die bei der Erzeugung von Fleisch entstehen - zeigt die jüngst veröffentlichte Greenpeace-Studie "Die versteckten Kosten der Ernährung".

"Greenpeace fordert nicht nur ein Ende der Billigfleisch-Werbung, sondern auch eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für alle tierischen Produkte. Wer Klimaziele und Tierwohl wirklich ernst nimmt, muss auch bereit sein, auf kurzfristige Profite aus falschen Versprechen zu verzichten. Es ist Zeit, dass Supermärkte Verantwortung übernehmen – und das nicht nur auf dem Papier."
Supermärkte beeinflussen Ernährung
Der Lebensmitteleinzelhandel hat eine enorme Steuerungskraft. Mit jeder Werbung beeinflusst er, was auf unseren Tellern landet – und was in den Ställen passiert. Noch dominiert das Prinzip des schnellen Profits. Doch ein grundlegender Wandel ist möglich: weniger Billigangebote, mehr Aufklärung, klare Kennzeichnung, Förderung pflanzlicher Alternativen.
Ein solcher Kurswechsel wäre nicht nur ein Signal an die Industrie, sondern auch ein echter Beitrag zur Einhaltung von Klima- und Tierschutzverpflichtungen. “Eine zukunftsfähige Ernährung braucht weniger Fleisch – und mehr Ehrlichkeit in der Werbung”, so Lambrecht.