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Portrait von Stephanie Töwe-Rimkeit, Expertin für nachhaltige Landwirtschaft bei Greenpeace Deutschland.
© Lucas Wahl / Greenpeace

Weiter Billigfleisch im Regal

Greenpeace fordert Handelsketten wie Edeka auf, künftig kein Billigfleisch mehr zu verkaufen. Was dahintersteckt, erzählt Stephanie Töwe-Rimkeit, Landwirtschaftsexpertin bei Greenpeace.

Vier Zahlen zeigen in vielen großen Supermarktketten, welche Tierhaltung hinter den Frischfleischprodukten steckt. Die Ziffer 1 der sogenannten Haltungsform steht für den gesetzlichen Mindeststandard, also für Stallhaltung. Das heißt: Viele Tiere fristen ihr kurzes Leben auf engem Raum, ohne frische Luft und ohne ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen zu können. Die Haltungsform 4 hingegen steht für eine annähernd artgerechte Tierhaltung. Dazu zählen etwa Fleisch aus der Neuland-Haltung oder ökologisch produziertes Fleisch. Im Jahr 2019 haben die größten Supermarktketten in Deutschland die vierstufige Kennzeichnung für Frischfleischprodukte ihrer Eigenmarken freiwillig eingeführt. Greenpeace stuft die Produktion von Fleisch der Haltungsform 1 und 2 als tierschutzwidrig ein und fordert daher vom gesamten Handel den Ausstieg aus dieser Art der Tierhaltung. Noch im Herbst 2020 stammten allerdings gut 90 Prozent des Frischfleischs der großen Einzelhandelsketten aus der qualvollen Haltung der zwei schlechtesten Stufen.

Am vergangenen Wochenende standen deshalb in etlichen Städten Ehrenamtliche von Greenpeace vor Edeka-Filialen. Und auch in sozialen Netzwerken fordert Greenpeace den Handelsriesen auf, Billigfleisch auszulisten – das neben Tierleid auch viele Umweltprobleme verursacht. Im Interview erklärt Stephanie Töwe, Greenpeace-Expertin für Landwirtschaft, was zu dieser Kampagne führte.

Greenpeace: Alle Supermarktketten verkaufen überwiegend Billigfleisch, wieso stehen Greenpeace-Aktive vor Edeka?

Stephanie Töwe: Wir fordern den Handel schon seit 2017 auf, aus der billigen Fleischproduktion auszusteigen. Andere Supermarktketten haben darauf reagiert und teilweise mit Zeitangaben angekündigt, künftig kein Frischfleisch mehr aus der schlechtesten Haltungsform 1 anbieten zu wollen. Edeka hat dies nicht getan, sondern will weiterhin nicht auf Fleisch aus der Haltungsform 1 verzichten. Das Unternehmen mit seiner Discounter-Tochter Netto setzt auf Fleisch aus industrieller Tierhaltung. Dabei werden nicht nur die Tiere tierschutzwidrig gehalten. Die massenhafte Produktion von Fleisch vernichtet über den Anbau von Tierfutter etwa in Brasilien wichtige Ökosysteme wie Regenwälder und verursacht enorme Treibhausgasemissionen, verschmutzt Gewässer und Grundwasser und trägt zu hoher Feinstaubbelastung bei.

Edeka gibt sich gerne als nachhaltiges Unternehmen aus. Wenn es aber darum geht, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, ist die größte Supermarktkette recht resistent. Auch gegen die Einführung der Haltungskennzeichnung sperrte sich Edeka lange: Als letzte Supermarktkette unter den größten deutschen Lebensmitteleinzelhändlern stimmte der Konzern erst 2019 zu. Dabei haben Kund:innen nur dann die Möglichkeit, bewusst einzukaufen, wenn sie sich informieren können.

Wenn Kund:innen einen Edeka-Markt betreten oder Werbespots sehen, bekommen sie aber einen ganz anderen Eindruck.

Edeka wirbt dreist mit seiner Liebe für Lebensmittel, beim Schutz der Lebensgrundlagen für künftige Generationen ist die Liebe aber schnell vorbei. Als größter Lebensmitteleinzelhändler muss Edeka aufhören, Billigfleisch auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt zu verramschen.

Zudem fehlt an den prestigeträchtigen Edeka-Bedientheken oft die für Kund:innen wichtige Transparenz: Eine bundesweite Greenpeace-Recherche zeigt große Lücken bei der Kennzeichnung, und das Verkaufspersonal kann die Kundschaft zu Tierhaltung und Kennzeichnung oft nicht ausreichend informieren. Dabei ist die Edeka-Gruppe mit einem Nettoumsatz von rund 61 Milliarden Euro im Jahr 2019 das umsatzstärkste Unternehmen im deutschen Lebensmittelhandel. Doch Edeka steckt scheinbar mehr Geld in Imagearbeit und Werbung für Billigfleisch als in die Schulung des Verkaufspersonals.

Die heutige Lebensmittel- und vor allem Fleischproduktion hat eine Schlüsselrolle beim Umwelt- und Klimaschutz. Unternehmen wie Edeka müssen ihre gesellschaftliche Verantwortung endlich ernst nehmen und aufhören, Billigfleisch zu bewerben und zu verkaufen.

Weshalb geht Greenpeace zu den einzelnen Filialen? Die Zentrale bestimmt doch, was verkauft wird, und könnte mehr Fleisch der besseren Haltungsformen bestellen. 

Greenpeace klärt vor den Edeka-Filialen über das bundesweite Frischfleischsortiment von Deutschlands größter Supermarktkette auf, weil hier der direkte Kontakt mit den Kund:innen stattfindet. Aber auch die Edeka-Zentrale in Hamburg haben wir schon besucht. Edeka ist genossenschaftlich organisiert: Es gibt 3600 eigenständige Kaufleute. Die einzelnen Kaufleute spielen also in dem Unternehmen eine wichtige Rolle. Wir hoffen, dass unser Besuch vor den Filialen auch bei den Kaufleuten ein Bewusstsein für die problematischen Folgen von Billigfleisch schafft und sie ihren Einfluss nutzen, sich im Hinblick auf Umwelt- und Tierschutz für eine bessere Einkaufspolitik in der Edeka-Zentrale einzusetzen.

Die Zentrale ist vor allen Dingen für die Entwicklung der Edeka-Eigenmarken verantwortlich. Neben ihr und den eigenständigen Kaufleuten gibt es sieben regionale Großhandelsbetriebe und eigenständige Fleischwerke, die für die Edeka-Eigenmarken wie z.B. „gut&günstig“ oder „Gutfleisch“ Fleisch zerlegen, verarbeiten und verpacken. Viele Eigenmarken werden überregional betrieben und die Kriterien von der Edeka-Zentrale festgelegt. Die Kaufleute können in ihren Filialen teilweise bestimmen, was sie ins Sortiment aufnehmen und was nicht, sie können beispielsweise besondere Produkte aus ihren Regionen zusätzlich aufnehmen und bestimmte Waren auch gar nicht anbieten, wenn sie es nicht wollen.

Warum ist es so wichtig für die Bauern und Bäuerinnen in Deutschland, dass Edeka ankündigt, aus der Haltungsform 1 auszusteigen?

Als umsatzstärkste Supermarktkette, die in ihrer Werbung auf besondere Qualität setzt, kommt Edeka auch bei der fairen Bezahlung von Landwirt:innen eine besondere Rolle zu. Viele Tierhalter:innen haben Angst, dass der Lebensmitteleinzelhandel weiterhin nur auf den Preis schaut und – sollte die Tierhaltung in Deutschland zu höheren Maßstäben in puncto Tier- und Umweltschutz verpflichtet werden – die Supermärkte billiges Fleisch aus dem Ausland zu importieren. Wenn große Händler wie Aldi, Lidl und auch Edeka garantierten, in Zukunft nur noch höhere Standards anzubieten und diese entsprechend zu fairen Preisen für Erzeuger:innen einzukaufen - und somit die HF1 und perspektivisch auch die HF2 aus dem Sortiment zu nehmen -, würden sie Landwirt:innen eine größere Sicherheit geben und Anreize schaffen, die Tierhaltung umzubauen.

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