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Die Chemiefabrik bei Seveso

Seveso - eingebrannt in die Erinnerung

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Es war die bislang größte Chemiekatastrophe Europas: Am 10. Juli 1976 explodierte nahe Mailand ein Chemiereaktor und setzte eine Dioxinwolke frei. Der Wind trieb das Gift über die Ortschaft Seveso. Tage später erschütterten Fotos von entstellten Kindergesichtern die europäische Öffentlichkeit. Der Name Seveso wurde zum Synonym für einen der schlimmsten Stoffe aus der menschlichen Giftküche, den fahrlässigen Umgang damit und die Folgen.

Dioxin ist ein Nebenprodukt der Chlorchemie. Es entsteht durch Überhitzung bei der Herstellung von Trichlorphenol, das in Unkrautvernichtungsmitteln enthalten sein kann. Das berüchtigste Beispiel eines solchen Herbizids ist Agent Orange. Die USA setzten es während des Vietnamkriegs großflächig als Entlaubungsmittel ein.

Ein ganz gewöhnlicher heißer Sommertag

Der 10. Juli 1976 ist ein Samstag. In der Chemiefabrik wird für das Wochenende der Reaktor heruntergefahren. Dabei unterläuft den wenigen Werksangehörigen, die noch vor Ort sind, ein schwerwiegender Fehler: Sie stellen versehentlich auch den Teil der Anlage ab, der eine Überhitzung verhindert. Durch Überdruck birst ein Sicherheitsventil und entlässt eine beißende, stinkende Giftwolke in die Umwelt. Sie sei harmlos, wird den Bürgermeistern der benachbarten Orte Seveso und Meda mitgeteilt.

Kinder aus Seveso kommen mit Hautverätzungen und Ausschlag zum Arzt. Auf den Feldern verdorren die Pflanzen. Tausende Tiere sterben: Vögel, Katzen, Kaninchen und schließlich auch Schafe. Die Firma ICMESA, ein Abkömmling der Schweizer Kosmetikfirma Givaudan, ihrerseits eine Tochter von Hoffmann-La Roche, schweigt.

800 Menschen verlieren ihr Zuhause

{image}Das Werk bleibt noch eine ganze Woche lang in Betrieb. Erst zwei Wochen später wird offiziell bekannt gegeben, dass das angeblich harmlose Gas Dioxin war. Die ersten Evakuierungen finden statt. Die Menschen dürfen nichts mitnehmen, all ihre Habe bleibt verseucht zurück. Jahre vergehen, bis das Gelände dekontaminiert wird.

Die gesamte Fabrik und zig Einfamilienhäuser mussten damals abgerissen, der Boden 40 Zentimeter tief abgetragen werden. Der giftige Inhalt des explodierten Reaktors ging 1982 in Fässer verpackt auf Reisen. Er sollte in die Schweiz transportiert werden, wo er allerdings nicht ankam. Fast ein Jahr später tauchten die Giftmüllfässer in Frankreich wieder auf.

Fürs Leben gezeichnet

Von dem Unglück waren rund 37.000 Menschen betroffen. Fast 200 mussten wegen schwerer Chlorakne behandelt werden. Viele von ihnen sind für ihr Leben entstellt und dauerhaft in ärztlicher Behandung. Auch dafür ist Seveso heute ein Synonym: Fälle von Chlorakne gab es in der Chlorchemie auch früher schon, durch Seveso wurde die Krankheit über Fachkreise hinaus bekannt.

Niemand ist direkt an den Folgen des Unglücks gestorben. Doch Umweltmedizinern zufolge stieg die Zahl der Leukämiefälle in den zehn Jahren danach auf das Doppelte. Die Zahl der Gehirntumore soll sich verdreifacht haben. Wie viele Opfer die Katastrophe tatsächlich gefordert hat, weiß bis heute niemand.

In der Fabrik bei Seveso war an der Sicherheit gespart worden. In anderen Chemiewerken sah es damals nicht besser aus. Doch innerhalb Europas hat die Katastrophe zu einigen neuen Richtlinien geführt. Sie schreiben den Unternehmen Sicherheitsstandards vor und verpflichten die Kommunen zu Kontrollen.

Vogel über Müllberg

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