“Kreislaufwirtschaft ist viel, viel mehr als Recycling”
- Ein Artikel von Anja Franzenburg
- mitwirkende Expert:innen Moritz Jäger-Roschko
- Im Gespräch
Kreislaufwirtschaft klingt nachhaltig, irgendwie nach: die verarbeiteten Ressourcen bleiben in einem Kreislauf. Doch was ist das genau? Das und wieso der kluge Gedanke der Kreislaufwirtschaft in Deutschland irreführend genutzt wird, erklärt Moritz Jäger-Roschko, Experte für Plastik und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace, im Interview.
Greenpeace: Bevor wir damit loslegen, was Kreislaufwirtschaft im großen Stil bedeutet, erstmal im Kleinen gefragt: Besitzt du ein Produkt, das diesen Produktionskriterien entspricht?
Moritz Jäger-Roschko: Ich besitze mehrere Produkte wie zum Beispiel meine Trinkflasche aus Metall. Die kann ich immer wieder auffüllen - statt mir ständig neue Einweg-Flaschen im Supermarkt zu kaufen. Ich trage Second-Hand-Kleidung und nutze gebraucht gekaufte IT-Geräte. Man muss sich nur zuhause umgucken und entdeckt viele Dinge wie die Brotdose, die dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft entsprechen.
Aber worin besteht der Kreislauf, wenn ich Mehrwegbehälter fürs Pausenbrot nutze?
Viele denken bei Kreislaufwirtschaft immer an Recycling und Materialkreisläufe. Es gibt aber noch ganz andere Kreisläufe, zum Beispiel die Wiederverwendung von Produkten. Die Kreisläufe vor dem Recycling, die dabei helfen, Produkte möglichst lange und intensiv zu nutzen, sind viel wichtiger als Recycling.
In Deutschland wird Kreislaufwirtschaft immer mit Abfallwirtschaft und Recycling gleichgesetzt. Dabei sollten das nur die letzten Schritte in einem langen Lebenszyklus eines Produkts sein. Es ist nämlich nicht nachhaltig, wenn ich nach dem Einkauf die Plastikschale, in der meine Tomaten waren, in die gelbe Tonne werfe. Denn für die Produktion dieser Plastikschale wurden u. a. Erdöl, Wasser, Energie und Chemie eingesetzt, also viele Ressourcen – nur damit sie nach kurzer Nutzungsdauer im Recycling landet. Zwar schließe ich mit Recycling den Materialkreislauf. Aber Recycling ist sehr energieintensiv und es geht dabei immer Material verloren. Unter Einsatz von viel Energie entsteht dann neues Plastik – allerdings keine neue Schale, sondern fast ausschließlich minderwertiges Plastik, welches sich als Lebensmittelverpackung nicht eignet. Besser wäre es, die Tomaten unverpackt zu kaufen – zum Beispiel in einem mitgebrachten, wiederverwertbaren Beutel.
In Deutschland wird der Begriff Kreislaufwirtschaft also irreführend genutzt. Was ist denn echte Kreislaufwirtschaft?
Der Grundgedanke ist, Materialströme zu verringern, zu verlangsamen und am Ende zu schließen.
Verringern bedeutet, weniger Produkte und Material einzusetzen, also zunächst darüber nachzudenken, ob das Produkt wirklich notwendig ist: Brauche ich zum Beispiel einen eigenen Rasenmäher, eine Kreissäge oder Bohrmaschine, die bei den meisten Menschen im besten Fall zehnmal im Jahr genutzt werden. Wenn ich solche Gegenstände mit anderen teile, verringere ich den Einsatz von Rohstoffen.
Materialströme verlangsamen heißt, Produkte so zu designen, dass sie möglichst lange genutzt werden können, sie wiederzuverwenden statt neue zu kaufen und kaputte Produkte zu reparieren statt wegzuwerfen.
Und am Ende, wenn sich wirklich nichts mehr nutzen oder reparieren lässt, wird der Kreislauf geschlossen – über das Recycling. Recycling sollte nur stattfinden, wenn das Produkt überhaupt nicht mehr anders genutzt werden kann. Der Drucker, der zum Beispiel nicht mehr meinen Ansprüchen beim Fotoprint genügt, gehört nicht auf den Recyclinghof, sondern in die Reparatur oder kann von einer Person genutzt werden, die keine qualitativ hochwertigen Farbausdrucke benötigt.
Wie geht das? Kannst du an einem Beispiel wie Gebäuden kurz erläutern, wie Kreislaufwirtschaft funktioniert?
Bevor ein neues Haus gebaut wird, wäre der erste Schritt, sich zu fragen, ob ein neues Gebäude notwendig ist oder ob das Bestehende genutzt und saniert werden kann, evtl. erweitert um einen Anbau oder eine Aufstockung. Wenn die Entscheidung gefallen ist, neuen Wohnraum zu schaffen, kann man gucken, was sich aus alten Häusern verwerten lässt, wie zum Beispiel Balken, Ziegelsteine oder Türen.
Bräuchten wir, um beim Beispiel Häuserbau zu bleiben, eine ganz andere Bauweise, um Komponenten trennen und wiederverwerten zu können - oder ginge das auch schon mit bestehenden Gebäuden?
Mit dem, was wir jetzt an Bausubstanz haben, geht vieles. Man müsste nur den Umgang mit alten Häusern ändern, denn heutzutage wird einfach abgerissen: Es kommt ein Bagger, der alles plattmacht – vielleicht werden noch bestimmte Sachen wie Küche, Bad oder Rohrleitungen vorher rausgeholt. Der Rest wird klein gemacht, kommt auf den Recyclinghof, dort werden noch Metalle mit einem Magneten rausgefischt. Bestenfalls wird der Beton zermahlen und minderwertig recycelt, um dann noch als Unterbau für den Straßenbau genutzt werden zu können.
Wenn man ein Haus im Sinne der Kreislaufwirtschaft renovieren wollen würde, würde man in das Haus reingehen und schauen, was lässt sich erhalten, was ist noch gut. Die Sachen, die man nicht behalten möchte, würde man zurückbauen – sie also im Ganzen rausholen wie zum Beispiel Ziegelsteine, Balken oder Türen, um sie in dem Haus oder einem anderen wieder einzubauen. Was sich gerade entwickelt und ganz spannend ist, sind Materialarchive. Die geben Auskunft darüber, welche Materialien im Bestand verbaut sind – das lässt sich dann auch in Datenbanken für größere Projekte anlegen. So ist schnell ein Überblick über vorhandenes Material zu bekommen.
Vieles lässt sich noch besser machen, wenn vor dem Bau der Rückbau mitgedacht wird.
Die Wiederverwendung von Balken ist nachvollziehbar, die holt man raus und nutzt sie weiter, aber wie ist es bei Ziegelsteinen?
Das geht auch bei Ziegelsteinen. Es gibt Firmen, die den Klinker zurückbauen, ihn saubermachen, so dass er wieder verbaut werden kann.
Warum wird lieber abgerissen oder weggeschmissen, als bestehende Gebäude zu renovieren oder Kaffeemaschinen reparieren zu lassen?
Ob Häuser, Kleidung oder Elektrogeräte – leider ist es oftmals günstiger, neu zu kaufen statt zu reparieren. Das liegt vor allem daran, dass die eingesetzten Ressourcen günstiger sind, als die Arbeitskraft, die hierzulande in die Reparatur gesteckt werden müsste.
Dabei sind die Ressourcen so günstig, weil Umweltkosten oder soziale Kosten zum Beispiel beim Abbau von Rohstoffen oder bei der Herstellung von Plastik nicht eingepreist sind. Verdreckte Flüsse oder Folgen menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen finden sich nicht im Preis der hier genutzten Materialien wieder – nur deshalb sind sie so günstig.
Ist für die Kreislaufwirtschaft ein grundlegender Umbau der Wirtschaft notwendig oder können bestehende Strukturen wie auch Fabriken weiterhin genutzt werden?
Wir müssten in erster Linie umdenken. Ich möchte das an einem Beispiel erklären: Nehmen wir einen Elektronikkonzern, der bislang mit dem Verkauf von Lampen und Glühbirnen sein Geld gemacht hat. Das Unternehmen verkauft nun im industriellen Bereich in vielen Fällen keine Lampen mehr, sondern Licht. Wenn jetzt Unternehmen anfangen, nur die Dienstleistung zu verkaufen - also die Erhellung eines Raumes statt Glühbirnen, haben sie einen viel größeren Anreiz, langlebige Produkte herzustellen. Sie verdienen dann nicht mehr das Geld damit, neue Produkte zu verkaufen, sondern mit Stunden der Lichtnutzung etwa über eine Miete. Und wenn ein Kunde die Glühbirne oder Lampe nicht mehr benötigt, kann das Produkt bei der nächsten Kundin eingebaut werden. So reduziert sich der Materialeinsatz und die Menge an Müll.
Anreize müssen verschoben werden. Derzeit haben Unternehmen den Anreiz, immer neue Produkte zu verkaufen, anstatt wenige langlebige und reparierbare. Wenn aber das Geld mit Dienstleistungen statt Produkten verdient wird, verschieben sich die Anreize im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Das ist übertragbar auf Autos, Smartphones, Waschmaschinen usw.
Denn häufig gibt es nicht das Interesse, ein bestimmtes Produkt zu besitzen – sondern das Bedürfnis nach einer Dienstleistung, zum Beispiel mobil zu sein, irgendwo hinzukommen. Natürlich gibt es auch Menschen, die ein Auto besitzen wollen, aber oft ist es nur das Interesse an der Dienstleistung, von A nach B zu kommen. Ein beliebtes Konzept, gerade bei Student:innen sind Leihfahrräder – die mit einer Gebühr gemietet werden können. Sobald du einen platten Reifen hast oder das Licht defekt ist, kommt jemand vorbei und repariert oder tauscht das Rad. Du zahlst also nur für die Möglichkeit, Fahrrad zu fahren – nicht das Fahrrad selbst.
Es gibt also durchaus schon Beispiele, in denen der Wandel gezeigt wird – wo gezeigt wird, wie es funktionieren könnte.
Welches sind die zentralen ökologischen Gründe für die Kreislaufwirtschaft?
Der Ressourcenabbau und dessen Verarbeitung zu Produkten sind verantwortlich für 55 Prozent der Treibhausgase und 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes. Das ist immens. Zurzeit leben wir mit der Denkweise, dass wir die Materialien aus der Erde nehmen, sie zu Produkten verarbeiten und im schlimmsten Fall wie bei der Lebensmittelverpackung einmal nutzen und dann wegschmeißen. Die Rohstoffe sind dann in der Regel langfristig verloren. Weltweit werden nur wenige Prozent dem Recycling zugeführt. Und von diesem linearen Prozess müssen wir wegkommen. Denn wir verbrauchen weitaus mehr, als uns dieser Planet nachhaltig zur Verfügung stellen kann. Würden alle Menschen so viele Ressourcen verbrauchen wie wir in Deutschland, bräuchten wir drei Erden.
Neben Verpackungen sind auch Textilien zur Wegwerfmode verkommen. Wie sähe da die Kreislaufwirtschaft aus?
Auch hier müssen wir die Menge reduzieren, also wegkommen von Fast Fashion hin zu langlebiger Mode - die die Menschen gerne und lange tragen. Kleidung muss wieder reparierbar sein. Dafür müsste auch erstmal viel der notwendigen Infrastruktur wiederhergestellt werden – es gibt zum Beispiel nur noch wenige Schneidereien, die einspringen, wenn das Flicken oder der Reißverschluss die eigenen Kompetenzen übersteigt. Lernen kann man diesen Beruf auch nur noch an sehr wenigen Standorten in Deutschland.
Und wenn man die Kleidung nicht mehr haben möchte, weil sie nicht mehr passt, kann sie weitergereicht oder verkauft werden. Im allerletzten Schritt, wenn die Textilien wirklich verschlissen sind, hilft es, wenn sie so designt sind, dass sie recycelt werden können, um daraus neue Kleidung herzustellen.
Du hast schon mehrfach gesagt, dass Produkte entsprechend designt sein müssen, damit Recycling am Ende funktioniert. Was ist damit gemeint?
Bei Textilien bedeutet das, dass sie nicht aus Mischgewebe bestehen, sondern nur aus einer Art von Faser, zum Beispiel Baumwolle. Und dass möglichst keine Chemikalien in der Produktion eingesetzt werden. Diese Voraussetzungen sind notwendig, um am Ende überhaupt einen Prozess für Textil-Recycling aufsetzen zu können. Dass also wirklich neue Kleidung daraus entsteht und nicht Putzlappen oder Dämmwolle, was ein Downcycling wäre.
Attraktiv für die Wirtschaft müsste doch sein, dass sie sich unabhängiger macht von der Rohstoffgewinnung.
Auf jeden Fall. Ein großer Vorteil von Kreislaufwirtschaft ist, weniger neue Ressourcen zu brauchen und dadurch weniger abhängig von Importen und anfälligen Lieferketten zu sein. Wenn wir weniger Autos bauen, weil wir Autos teilen oder den ÖPNV nutzen, geht dadurch der Materialeinsatz zurück und nochmals, wenn Materialien recycelt werden – etwa indem aus alten Batterien fürs E-Auto neue entstehen.
Gibt es diesen Gedanken auch in anderen Ländern?
Klar. Deutschland hat zwar eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, aber die Niederlande zum Beispiel sind schon weiter. Das Land hat bereits ein Ziel zum nationalen Ressourcenverbrauch – bis 2030 soll die Nutzung von abiotischen Primärrohstoffen, also nicht erneuerbaren Materialien, die primär aus der Natur gewonnen werden wie fossile Brennstoffe, Erze und Mineralien, um 50 Prozent gesenkt werden.
Aber eigentlich ist der Gedanke recht alt. Früher wurden Sachen viel intensiver und länger genutzt, es gab kaum Müll und heute haben wir alle große Mülltonnen vor der Tür. Die Müllmengen sind unvorstellbar, die wir produzieren.
Apropos Müllmengen. Welches Produkt findest du am überflüssigsten?
Einwegverpackungen.
Was kann ich als Verbraucher:in tun, um den Gedanken der Kreislaufwirtschaft zu unterstützen?
Jede:r kann sich fragen: Welche Produkte brauche ich und müssen sie neu gekauft werden? Oder kann ich sie auch leihen, tauschen oder second hand kaufen? Wenn dann noch die Sachen, die man besitzt, lange genutzt und repariert werden, ist schon viel getan im privaten Bereich.