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Gesundheitszentrum Tangtse in Ladakh / Nordindien, 2010.  Dr. Shamim Ahmed mit solargekühlten Impfstoffen
Harikrishna Katragadda / Greenpeace

SolarChill - eine Chance für die Armen

Greenpeace entwickelt Solar-Kühlschrank für Impfstoffe

Es ist eine Sternstunde für Umweltschutz und Gesundheitsversorgung: Auf einem eher langweiligen Meeting des sogenannten "Montreal- Protokolls", des internationalen Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht, spricht Anfang 2000 Greenpeace-Kampaigner Janos Mate mit dem Vertreter des UN-Umweltprogramms UNEP. Daraus geht die Idee des SolarChill hervor.

Das Gespräch dreht sich um einen humanitären Skandal: Immer noch haben Millionen von Menschen in Entwicklungsländern keinen Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten, weil es in ihrem Umfeld kein funktionierendes Stromnetz und deshalb auch keine zuverlässige Kühlung gibt. Jahr für Jahr verderben mangels Kühlung dringend benötigte Impfstoffe im Wert mehrerer Millionen Euro.

Deshalb werden heute noch die meisten Medikamente in Gegenden ohne zuverlässiges Stromnetz mit Geräten gekühlt, die zur Kälteerzeugung Kerosin verbrennen. Das ist nicht nur klimaschädlich, es kostet vor allem eine Menge Geld: Pro Tag und Gerät wird ein Liter Treibstoff benötigt.

Gleichzeitig wird bekannt, dass die Weltgesundheitsorganisation für die zukünftige Zertifizierung von Medikamentenkühlern wiederum FCKW und FKW festschreiben will - ein Unding, wo doch gerade das Ende der Verwendung genau dieser Substanzen international verhandelt wird.

SolarChill - ein anspruchsvolles Ziel …

Greenpeace beschließt, einen Versuch zu wagen: einen Medikamentenkühler zu entwickeln, der Kälte ohne FCKW und FKW erzeugt, kein Kerosin verbrennt, aber trotzdem unabhängig vom Stromnetz funktioniert. Gleichzeitig sollen die neuen Impfstoffkühler unabhängig sein von teuren und anfälligen Speicherbatterien - eine weitere Neuerung, denn bis dato sind auch mit Solarstrom betriebene Geräte abhängig von Bleibatterien, um die notwendige "Hold-over-time" von mehreren Tagen zu gewährleisten, falls die Sonne längere Zeit nicht scheint oder Strom aus anderen Gründen nicht zur Verfügung steht.

Es ist ein anspruchsvolles Ziel: eine klima-und umweltfreundliche Technik ohne die anfälligen, lästigen und teuren Speicherbatterien - und darüber hinaus "open source". Die neue Technik soll nicht in die Hände eines einzelnen Herstellers geraten, sondern möglichst viele Hersteller sollen die Technik aufgreifen und entsprechende Geräte vermarkten.

Aber es ist nicht das erste ehrgeizige Projekt dieser Art: Greenpeace hat auf den Sitzungen des UN-Ozonschutzabkommens schon lange einen besonderen Nimbus. Denn die Organisation hat bereits Anfang der 1990er-Jahre auf exakt diesem Gebiet eine epochale Neuerung selbst initiiert und auch auf den Markt gebracht: den Greenfreeze, den ersten Haushaltskühlschrank weltweit, der vollständig ohne FCKW und FKW auskommt. Greenfreeze war ein Erfolgsmodell, das sich in aller Welt gut verkaufte und dessen Technik ohne FCKW und FKW auch von fast allen Herstellern weltweit, von Südamerika bis China, übernommen worden war.

Um die neue Aufgabe "SolarChill" zu bewältigen, suchen Greenpeace und UNEP sich weitere Partnerorganisationen, die an dem Projekt interessiert sind. So kommt Anfang 2000 die "SolarChill-Group" aus Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Kinderhilfswerk UNICEF, der Entwicklungshilfeorganisation PATH sowie UNEP und Greenpeace als Initiatoren, zusammen. Dazu kommen eine technische Institution für unabhängige technische Qualitätskriterien und Tests, das Dänische Technologie Institut (DTI), sowie als möglicher späterer Hersteller die dänische Firma Vestfrost. Und schließlich die deutsche GTZ (heute GIZ), die später die unverzichtbaren Feldtests organisiert und finanziert.

… und eine große technische Herausforderung

Es dauert noch sechs Jahre, bis das Produkt, der "SolarChill", das Licht der Welt erblickt. Denn als Medikamentenkühler muss das Gerät nicht nur zuverlässig Kälte produzieren wie ein Haushaltskühlschrank, es muss zusätzlich auch temperaturstabil in sehr engen Grenzen sein. Medikamente müssen gekühlt werden, dürfen aber nicht gefrieren.

Genau das erweist sich als hohe Hürde: Die solare Energie muss unmittelbar in Eis umgewandelt werden anstatt über den Zwischenspeicher Batterie. Der mit solarem Strom angetriebene Kompressor arbeitet wie in einem konventionellen Kühlschrank und hält den Kältekreislauf in Gang: das Kältemittel, ein natürlicher fluor- und chlorfreier Kohlenwasserstoff, wird komprimiert und wieder entspannt, dadurch entsteht die Kälte.

Die so erzeugten Ice-Packs geben dann auch in Zeiten ohne Strom oder Sonne sukzessive und dosiert die Kälte an den Innenraum ab. Das hört sich einfach und plausibel an, hat aber seine Tücken. Denn wenn die Kälte aus den Eisblocks nicht genau dosiert wird, unterschreitet die Temperatur leicht den Gefrierpunkt, die Impfstoffe gefrieren und sind damit zerstört. Die besondere Herausforderung eines Impfstoffkühlers, insbesondere eines solaren, besteht also weniger in der Einhaltung der Temperaturobergrenze (seitens der WHO sind dafür acht Grad Celsius festgesetzt), sondern in der unteren Grenze von plus zwei Grad. 

SolarChill erhält den Cooling Industry Award

Nach sechsjähriger Entwicklungsarbeit und ausgedehnten Feldtests der ersten Prototypen in Afrika, Asien und Südamerika erhält der SolarChill 2006 den prestigeträchtigen "Cooling Industry Award", so etwas wie der Oscar der Kältetechnischen Industrie, für eine herausragende Pionierleistung und technische Innovation. Ende 2006 kann ein erster getesteter – aber von der WHO noch nicht zertifizierter - SolarChill dem damaligen indischen Präsidenten Abdul Kalam zum Geschenk gemacht werden, der ihn im Gesundheitsszentrum des indischen Präsidentenpalastes in Delhi aufstellen lässt.

Ende 2010 dann der endgültige Durchbruch: der SolarChill erhält die ersehnte Zertifizierung der WHO, und darf damit von anderen UN-Organisationen, etwa der UNICEF, oder generell mit öffentlichen Geldern erworben und eingesetzt werden.

Greenpeace selbst hat mehrere SolarChills der "ersten Generation" aufgestellt, so unter anderem in einer Schule und einem Gesundheitszentrum in Ghana und im Gesundheitszentrum einer Weiterbildungseinrichtung für Mädchen (WISER) in Kenia. Zahlreiche weitere Geräte wurden durch die UN in anderen Ländern aufgestellt. Der SolarChill wird seit einigen Jahren von der ursprünglich am Projekt beteiligten Firma Vestfrost in einer weiter verbesserten Form serienmäßig hergestellt und weltweit vermarktet. Neben Vestfrost haben auch andere Firmen die Technik übernommen und produzieren und vermarkten SolarChills oder auf der SolarChill-Technik basierende Geräte.

Damit ist auch das dritte der ursprünglichen Projektziele erreicht: dass sich diese umweltfreundliche und entwicklungspolitisch bedeutsame Technik weltweit kommerziell verbreitet. Und ganz nebenbei wurde an einem bedeutsamen Beispiel auch die oft zu hörende Behauptung widerlegt, dass sich humanitäre und entwicklungspolitische Ziele und Umweltschutz gegenseitig ausschließen - sie ergänzen sich in idealer Weise.

SolarChill in Kenia

SolarChill in Kenia

Den Rest besorgt der Markt

Greenpeace hat sich aus der weiteren Entwicklung und Vermarktung des SolarChill ebenso zurückgezogen wie seinerzeit beim Greenfreeze-Kühlschrank, denn die Organisation ist kein Hersteller und auch kein Handelsunternehmen. Und bei einem innovativen und erfolgreichen Projekt wie Greenfreeze oder SolarChill besorgt das ohnehin der Markt.

Vom Greenfreeze wurden inzwischen weltweit etwa 700 Millionen Geräte hergestellt und verkauft, der Marktanteil liegt inzwischen weltweit bei über 50 Prozent, Tendenz weiter steigend. Diese Zahlen hat der SolarChill noch nicht erreicht, und er wird es auch nicht: denn natürlich ist der Markt für Medikamentenkühlung vergleichsweise klein mit weltweit insgesamt einigen zehntausend georderten Geräten. Doch der Marktanteil des SolarChill gegenüber den veralteten Techniken auf der Basis von Kerosinverbrennung oder aber abhängig von teuren Bleibatterien steigt langsam, aber beständig.

Online-Mitmachaktion

https://act.greenpeace.de/offener-brief-merz

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