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Jörg Feddern am havarierten Frachter Winona im Juni 2010
Daniel Müller / Greenpeace

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Greenpeace-Online: Shell hat sich bereits zu seinen Tiefseeplänen geäußert. Gibt es Anzeichen, dass auch andere Konzerne trotz der Ölkatastrophe im Golf nachziehen werden?

Jörg Feddern: Keiner der großen Ölkonzerne zieht die Konsequenzen aus dem Desaster im Golf von Mexiko. Anfang Juni kündigte der internationale Chef von Shell sogar an, das Geschäft auszubauen. Der staatliche Ölkonzern Petrobras plant eine gigantische Kapitalerhöhung, um damit seine Pläne in der Tiefsee zu realisieren. Auch BP verfolgt seine Pläne zum Beispiel vor der norwegischen Küste unbeirrt weiter.

Noch deckt das Öl aus der Tiefsee deutlich unter zehn Prozent des aktuellen Bedarfs. Doch der Anteil wird in den nächsten Jahren rasant steigen. Ob Shell, BP, Petrobas, Total, Exxon oder ENI - alle sind im Tiefseegeschäft aktiv. Die Branche weiß sehr genau, dass sie in das Öl aus der Tiefsee investieren muss, wenn sie zukünftig noch Öl verkaufen will. Doch das ist falsch. Es ist höchste Zeit, von den fossilen Energien Abschied zu nehmen. Je mehr Projekte in der Tiefsee realisiert werden, desto größer ist das Unfall-Risiko. Die Folgen für die Natur und für die dort lebenden Menschen sind schon jetzt unabsehbar. Deshalb gilt: Die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien.

Greenpeace-Online: Wo liegen derzeit die größten Ölfelder? Wo sind Förderbooms zu erwarten?

Jörg Feddern: Weil die Offshore-Felder in den flachen Bereichen weniger werden, der Ölbedarf aber steigt, zieht es die Ölindustrie in die Tiefsee. Das sind vor allem die Bereiche vor der brasilianischen Küste, der westafrikanischen Küste, im nördlichen Teil der Nordsee, vor der Westküste Australiens, im chinesischen Meer und natürlich der Golf von Mexiko.

Greenpeace-Online: Wieso sind Bohrungen in der Tiefsee so gefährlich? Auf welche Bedingungen treffen die Ölkonzerne bei ihrem Vorstoßen in die Tiefsee?

Jörg Feddern: Wir haben es in der Tiefsee mit extrem hohem Druck zu tun, mit absoluter Dunkelheit, mit eiskaltem Wasser und einer Lebenswelt, die uns größtenteils völlig fremd ist. Diese Bedingungen stellen sehr hohe Anforderungen an die Technik. Alle Operationen laufen über ferngesteuerte Roboter ab, der Einsatz von Menschen in diesen Tiefen ist ausgeschlossen. Die tiefsten Bohrungen sind mittlerweile bei 3000 Metern angelangt, also knapp doppelt so tief wie im Fall der Deepwater Horizon. Menschliches Versagen, technische Fehler und technisches Risiko sind auch bei Tiefseebohrungen nie ganz ausgeschlossen. Die Ölindustrie muss erkennen, dass sie die erforderliche Technik und Sicherheitsstandards nicht besitzt.

Kein Ölkonzern kann eine ähnliche Katastrophe, wie sie BP im Golf von Mexiko heraufbeschworen hat, für sich ausschließen. Deshalb haben wir in diesen Tiefen nichts verloren. Das Risiko eines Unfalls wird in Kauf genommen, um den Hunger nach Öl zu stillen.

Mangelnde Kontrolle

Greenpeace-Online: Im Fall der havarierten Deepwater Horizon kam es zu einem Blow-Out. Über welche Sicherheitsstandards verfügt die Ölindustrie in einem solchen Fall?

Jörg Feddern: Die Sicherheitsstandards werden von Land zu Land geregelt. Greenpeace leitet daraus die Forderung ab, dass die Sicherheitsstandards internationalisiert und vereinheitlicht werden müssen. Ein Beispiel, wie es gehen könnte, zeigen uns die Regelungen im internationalen Schiffsverkehr. Dort regelt die Internationale Marine Organisation (IMO) die regelmäßige Überprüfung der Schiffe.

Eine ähnliche Überwachung muss auch für Plattformen eingeführt werden. Die Kontrolle muss von unabhängiger Seite gewährleistet sein und darf nicht in den Händen der Ölbetreiber liegen. Wichtig ist, dass ein solches Gremium sich nach den höchsten technischen Standards richtet, und nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Greenpeace-Online: Welche Aussichten haben die aktuellen Entlastungsbohrungen?

Jörg Feddern: Die Entlastungsbohrungen haben Anfang Mai begonnen. BP rechnet damit, dass sie frühestens Anfang August das Ziel erreichen. Ob sie zum Erfolg führen, was ich wirklich hoffe, bleibt abzuwarten.

Alle bisherigen Versuche, den Ölstrom zu stoppen, sind gescheitert. Man kann lediglich einen Teil des ausströmenden Öls auffangen - aber auch nur dann, wenn die Wetterbedingungen mitspielen. Verschlechtern sich diese, müssen alle Maßnahmen eingestellt werden, auch die Entlastungsbohrungen. Sollten auch diese Bohrungen fehlschlagen, gibt es keinerlei Ideen, wie es weitergehen könnte. Im schlimmsten Fall würde noch jahrelang Öl aus dem Bohrloch strömen.

Greenpeace-Online: Hat der angekündigte A-Whale-Tanker zum Erfolg geführt?

Jörg Feddern: Seit dem Blow-Out vor 81 Tagen strömen ungehindert Millionen Liter Öl in den Golf. Um das Öl von der Meeresoberfläche aufzufangen, setzt man zahlreiche Schiffe ein. Mit dem A-Whale-Tanker wollte man mit einem Schlag annährend soviel Öl pro Tag auffangen, wie alle Schiffe zusammen über den gesamten Zeitraum. Doch die Tests haben die Hoffnungen nicht bestätigt. Das ist sehr bedauerlich, zeigt aber auch, wie wenig man auf solch eine Katastrophe vorbereitet war. Das eigentliche Problem, die sprudelnde Ölquelle zu schließen, wäre auch mit solch einem Superschiff nicht behoben.

Jeder kann etwas tun!

Greenpeace-Online: Was können die Verbraucher tun, um den Ölboom der Branche zu stoppen?

Jörg Feddern: Ich finde es wichtig, dass Verbraucher den Tankstellenbetreibern und Ölkonzernen mitteilen, dass sie besorgt sind. Sie können die Ölkonzerne auffordern, angesichts der risikobehafteten Technik ihre Tiefseebohrungen einzustellen. Ich bin davon überzeugt, dass die Stimmen der Verbraucher Einfluss auf die Pläne der Konzerne haben werden.

Außerdem, es klingt immer profan, aber wir müssen unseren Ölkonsum reduzieren. Vor jeder Autofahrt müssen wir überlegen, ob sie notwendig ist. Das gilt nicht nur für das Nutzerverhalten, sondern auch für unsere Kaufentscheidungen. Ein neues Auto muss nicht vor allem bequem und schnell sein, sondern vor allem wenig Sprit verbrauchen. Wir müssen uns von der Abhängigkeit von Öl lösen.

  • Löschboote der US-Küstenwache bei der Deepwater Horizon im April 2010

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Auf Spurensuche: Ein Jahr nach Deepwater Horizon - 2011 04

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