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Greenpeace-Protest mit Feuerbannern an EU-Regierungsgebäude
Philip Reynaers / Greenpeace

EU-Klimaziel

Die Klimakrise ist längst da. Doch noch können wir das Schlimmste verhindern und die Erwärmung bei 1,5 Grad stoppen. Dazu muss die EU ihre Klimagase bis 2030 um 65 Prozent senken.

Es ist fast schon tragisch: Derzeit schlagen Politiker*innen Klimaziele vor, von denen Umweltschützer*innen vor zehn Jahren kaum zu träumen gewagt haben – und doch reichen sie nicht. Die Klimagase werden trotzdem immer mehr und was getan werden muss, wird immer drastischer. So sind ein Kohleausstieg in Deutschland bis 2038 oder ein CO2-Minderungsziel für die EU von 55 Prozent bis 2030 zwar realpolitisch Erfolge. Doch die Klimakrise werden sie nicht aufhalten, da sie weit hinter dem zurückbleiben, was wissenschaftlich notwendig wäre.

Das Klima verhandelt nicht 

Denn leider reagiert das Klima auf die Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre – und nicht auf diplomatische Verhandlungserfolge. Und die muss radikal begrenzt werden. Dass der Klimawandel in vollem Gange ist, ist gar nicht mehr zu übersehen. Weltweit brennen die Wälder, apokalyptisch schimmerte die Golden-Gate-Bridge durch den vom Rauch orangeroten Himmel über San Francisco. Stürme, Überflutungen, Unwetter, Dürrezeiten, Hitzesommer – weltweit nehmen Extremwetter an Häufigkeit und Heftigkeit zu. 

Soll noch viel Schlimmeres verhindert werden, sollen vor allem gewisse Kipppunkte des Weltklimasystems nicht überschritten werden (wie zum Beispiel das Abschmelzen der Polkappen, das vollständige Auftauen der Permafrostböden oder eine Abschwächung des Golfstroms),  muss die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden. Darauf haben sich alle Länder dieser Welt im Pariser Klimaabkommen verpflichtet.

Doch dem Ziel von Paris wird derzeit kaum ein Land gerecht – weder in dem, was bisher passiert ist, noch in den Zielen für die nächsten – die entscheidenden – zehn, zwanzig Jahre. Sollen die 1,5 Grad Wirklichkeit werden, ist noch viel zu tun.

Beispiel EU: Wissenschaftlich vom Paris-Ziel abgeleitet muss die EU ihren Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent senken. Und zwar real, ohne Rechentricks und Hintertürchen. Das wäre nicht nur wichtig für die Erreichung des 1,5 Grad-Zieles. Es wäre auch ein politisches Signal in die Welt: Europa macht Ernst beim Klimaschutz. Es wird seiner Verantwortung gerecht.

EU muss Treibhausgase um 65 Prozent senken

Die hat Europa nämlich in doppelter Hinsicht: Zum einen verursachen die EU-Mitgliedsländer zusammen die drittgrößte Menge an Treibhausgasen nach China und den USA. Und zum anderen tragen Industrienationen historisch betrachtet den größten Teil der Schuld an dem ganzen Klima-Schlamassel. Andere Länder wie Indien werden erst dann ihren Teil zum Klimaschutz beitragen, wenn Europa vorangeht. 

Also: Wissenschaftlich geboten wären 65 Prozent Minderung der Treibhausgase in der EU bis 2030. Doch wie das realpolitische 2030-Klimaziel der EU aussieht, wird sich bis Ende des Jahres entscheiden. Am Ende einigen sich darauf die Länderchefs im Europäischen Rat. Doch vorher gibt es Verhandlungen zwischen EU-Parlament, der EU-Kommission und den Staats- und Regierungsoberhäuptern der europäischen Mitgliedstaaten, und das wird spannend.

Denn im Vorfeld ist schon viel passiert: Anfang September schlug der Umweltausschuss des EU-Parlaments vor, das EU-Klimaziel solle für 2030 minus 60 Prozent betragen. Dem folgte das EU-Parlament am 7. Oktober. Mitte September unterbreitete die Kommission allerdings einen weit schwächeren Vorschlag: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen brachte in ihrer Rede zur Lage der Union die Formulierung „mindestens 55 Prozent Minderung“ ins Spiel.

Rechentrick: Wälder als Senke

Mehr sei wegen des Widerstandes der osteuropäischen Länder - allen voran dem Kohlestromland Polen - in der EU real nicht durchsetzbar, hieß es aus Politiker-Kreisen. Und immerhin sei da ja dieses „mindestens“, was Luft nach oben ließe. Allerdings hatte die EU-Kommission in ihrem Impact Assessment die wirtschaftlichen Auswirkungen des eigentlich gebotenen 65 Prozent-Ziels gar nicht erst untersuchen lassen.

Außerdem hat der Vorschlag von der Leyens einen zweiten Pferdefuß: Erstmals soll die Senken-Leistung aus Land- und Forstwirtschaft mit einberechnet werden. Ein Rechentrick, der die reale Minderung des Treibhausgasausstoßes um etliche hundert Millionen Tonnen CO2 kleiner ausfallen ließe.

Dass Wälder und Moore Kohlenstoff speichern, ist richtig und wichtig. Tatsächlich steckt im Schutz der Urwälder, in Aufforstung, Moorschutz und naturnaher Waldbewirtschaftung ein riesiges Potential für den Klimaschutz, und zwar auf der ganzen Welt. Aber zwischen jetzt und gleich die Berechnungsgrundlage für die EU-Länder zu ändern, ist einfach nur Augenwischerei. Wissenschaftler*innen schätzen, dass man durch diesen Trick das EU-Klimaziel um zwei bis fünf Prozentpunkte schöner rechnen würde – plus Hintertürchen für die Zukunft.

Gerade solche "Kleinigkeiten" werden nachher darüber entscheiden, ob das neue EU-Klimaziel Top oder Flop wird. Ebenso wie die Frage, welche Maßnahmen konkret im europäischen Klimaschutzgesetz vorgeschrieben werden und wie viel man der Marktwirkung des Emissionshandels überlässt. Wie Verkehr und Gebäude genau in den Emissionshandel eingebunden werden. Und ob das reicht, damit das Ende des Verbrennungsmotors schnell genug kommt. Hier steckt der Teufel im Detail. 

Green Deal: Wirtschaftswachstum dank Klimaschutz

Gut wäre zum Beispiel auch, den prozentualen Minderungszielen für EU-Länder und Sektoren auch klare Restmengen an Treibhausgasen zuzuordnen, die verbraucht werden dürfen. Dadurch würde das Ende des fossilen Zeitalters begreifbarer und endgültiger werden.

Das Schöne ist: Der Klimaschutz könnte auch die Wirtschaft ankurbeln. Zu ihrem Klimaziel-Aufschlag hatte die EU-Kommission nämlich vorgerechnet, dass bei einem Minus von 55 Prozent jährlich 350 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden müssten, um Erneuerbare Energien, besser gedämmte Gebäude und Ähnliches zu fördern. Das könnte, so die Kommission, zu einem zusätzlichen Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens bis 2030 führen.

Noch mal zum EU-Klimaziel als Solchem: Nun könnte man natürlich einwerfen, dass selbst die von der EU-Kommission vorgeschlagenen 55 Prozent Reduktion ja wohl ein Fortschritt wären gegenüber dem letzten EU-Klimaziel von vor neun Jahren. Das sah immerhin nur eine Senkung der Treibhausgase um 40 Prozent bis 2030 vor. Das ist schon richtig, (auch wenn die 40 Prozent schon damals viel zu wenig waren). Aber dem Klima ist das – leider – egal. Das braucht reale Treibhausgas-Senkungen, und zwar vollumfänglich, und sonst nichts.

Die nächsten zehn Jahre werden zeigen: Schaffen wir es, das Ruder noch herumzureißen, oder nicht? Gehen wir als die Generation in die Geschichte ein, die zwar einiges versucht hat, um die Klimakrise aufzuhalten, aber am Ende doch leider nicht genug? Oder haben wir es dann geschafft, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen? Jedes Zehntel Grad zählt. Lasst uns alles geben.

Petition

https://act.greenpeace.de/vw-klage

Kein Recht auf Verbrenner!

Greenpeace klagt gemeinsam mit mit dem Bio-Landwirt Ulf Allhoff-Cramer und Fridays for Future-Klimaaktivistin Clara Mayer mehr Klimaschutz bei Volkswagen ein. Unterstützen Sie die Kläger:innen mit Ihrer Unterschrift

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