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Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser
Gordon Welters/Greenpeace

Greenpeace und die Zukunftskommission Landwirtschaft

Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser über die Chancen, in der Zukunftskommission wichtige Weichen für die Landwirtschaft zu stellen - und die Lehren aus dem Kampf um den Kohleausstieg.

Das Bundeskabinett hat heute die Berufung einer Zukunftskommission Landwirtschaft beschlossen. In der Kommission sollen Vertreterinnen und Vertreter der Landwirtschaft, von Umwelt- und Naturschutzverbänden und anderen gesellschaftlichen Gruppen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Empfehlungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft erarbeiten. Auch Greenpeace ist in die Kommission berufen.

Werdet ihr der Einladung der Bundesregierung folgen und in die Zukunftskommission gehen?

Diesem Angebot der Bundeskanzlerin wollen wir uns nicht verweigern. Die Zukunftskommission eröffnet nach unserer Einschätzung eine Chance, Lösungen für die drängenden Probleme der Landwirtschaft zu entwickeln, die von der Mehrheit der Zivilgesellschaft getragen werden. Dass es zu diesem Dialog kommt und Landwirtschaftspolitik in Deutschland nicht länger in Hinterzimmern mit den Vertreter*innen der Agrarlobby ausgekungelt wird, ist schon ein echter Fortschritt. Der war nur möglich, weil es inzwischen eine breite politische und gesellschaftliche Debatte und wachsende Kritik an den Versäumnissen der Agrarpolitik gibt. Dazu haben wir mit unserer Kampagnen gegen Billigfleisch und für eine artgerechte Tierhaltung - übrigens auch eine der entscheidenden Stellschrauben für den Klimaschutz - maßgeblich beigetragen.

Was spricht für eine Beteiligung von Greenpeace an der Zukunftskommission?

Die Bilanz von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist so katastrophal, dass endlich etwas passieren muss. Ihr ist es nicht gelungen, den gesellschaftlichen Konflikt zwischen industrieller Landwirtschaft und Umwelt- und Klimaschützern zu befrieden. Sie hat verhindert, dass mit einer verbindlichen Haltungskennzeichnung echte Transparenz für Verbraucher*innen am Markt geschaffen wird. Sie verweigert die grundgesetzkonforme Umsetzung des Tierschutzes bei Verordnungen und Kontrollen. Und sie hat viel zu spät erkannt, dass mit einer zweckgebundenen Tierwohlabgabe der Umbau der Tierhaltung gezielt gefördert und vorangetrieben werden kann. Im Verlauf der Legislaturperiode hat Klöckner keine wirksame Maßnahmen ergriffen, um den Beitrag der Landwirtschaft zum Erreichen der Klimaziele zu sichern und den bereits immensen Schaden für die Biodiversität zu begrenzen. Die Beteiligung an der Kommission ist für Greenpeace eine Gelegenheit, den politischen Versäumnissen der vergangenen Jahre zukunftsweisende Konzepte für eine nachhaltige Landwirtschaft entgegenzusetzen.

Wie sollten diese Konzepte aussehen - und wofür steht Greenpeace in der Kommission?

Wir wollen den Systemwechsel in der Landwirtschaft - weg von der Orientierung der Produktion auf billige Massenware für den Weltmarkt, ohne Rücksicht auf Klima- und Umweltschutz. Wir wollen eine echte Agrarwende - hin zu einer nachhaltigen Erzeugung gesunder und qualitativ hochwertiger Produkte für den Binnenmarkt, mit sicheren Einkommen für die bäuerlichen Betriebe. Im Mittelpunkt steht dabei ein Umbau der Tierhaltung, der eine artgerechten Haltung mit deutlich weniger Tieren in den Ställen und auf den Weiden zum Ziel hat. Den Rahmen muss eine zielgerichtete EU-Agrarförderung bilden, bei der öffentliche Gelder nur an landwirtschaftliche Betriebe fließen, die Leistungen für das Gemeinwohl erbringen - etwa, indem sie zum Schutz von Klima, Wasser und Arten beitragen.

Erst vor einigen Monaten hat die Borchert-Kommission Vorschläge zum Umbau der Tierhaltung vorgelegt. Warum braucht es jetzt eine weitere Kommission?

Die Borchert-Kommission hat bereits ein umfassendes Konzept erarbeitet, das die  zuständigen Ministerin Klöckner unverzüglich umsetzen sollte. Und auch zum Erhalt der Artenvielfalt und zum Klimaschutz gibt es klare europäische wie nationale Zielvorgaben. Darüber hinaus müssen aber dringend ökonomisch tragfähige Lösungswege gemeinsam mit der Landwirtschaft entwickelt werden. Dabei ist etwa zu klären, wie der notwendige Umbau der Betriebe für eine bessere Tierhaltung finanziert wird. Um diese Entwicklung endlich in Gang zu bringen, ist Greenpeace zu einer konstruktiven und zielführenden Zusammenarbeit in der Kommission bereit.

Was kann die Zukunftskommission beitragen, um den überfälligen Umbau der Landwirtschaft endlich voranzubringen?

In den kommenden Monaten werden in Deutschland und Europa wichtige Weichen für die Zukunft der Landwirtschaft gestellt. Deshalb kommt es darauf an, dass diese Kommission nicht - wie so viele vor ihr - nur folgenlose Papiere produziert, sondern konkrete Vorschläge erarbeitet, die von der Politik auch gehört und umgesetzt werden. Wir können es uns nach den gravierenden Versäumnissen der Agrarpoltik der vergangenen Jahre nicht leisten, weitere Zeit zu verlieren. Deshalb muss sich die Zukunftskommission insbesondere mit den wichtigen Fragen der EU-Agrarpolitik befassen und in ihrem Zwischenbericht im Herbst rechtzeitig Empfehlungen für die anstehende Reform abgeben. Denn darüber wird in den kommenden Monaten unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel verhandelt. Das Ergebnis ist für die Zukunft der Landwirtschaft in Europa und damit auch in Deutschland entscheidend.

Wie bewertest du die in der Kohlekommission gesammelten Erfahrungen: Sind Verhandlungen in diesem Rahmen und eine Zusammenarbeit mit der Regierung Merkel wirklich sinnvoll, um die Forderungen von Greenpeace durchzusetzen?

Wir werden die Erfahrungen aus unserer Beteiligung an der Kohlekommission für die Arbeit in diesem Gremium nutzen können. Wir kennen die Risiken und die Kritik, die eine derartige Einbindung in politische Gestaltungsprozesse mit sich bringt. Wir wissen, dass wir dabei Kompromisse eingehen und damit rechnen müssen, dass nicht all unsere Forderungen erfüllt werden. Die Bundesregierung hat die Empfehlungen der Kohlekommission insbesondere zum Klimaschutz nicht eins zu eins umgesetzt: Sie lässt mit Datteln 4 zu Beginn des Ausstiegs ein neues Kraftwerk ans Netz, will noch 18 Jahre Kohle verbrennen statt 2030 Schluss zu machen und entschädigt die Konzerne mit Milliarden Euro für fast nichts. Dieses Versäumnisse sind eklatant und verheerend für den Klimaschutz. Wir werden also weiter kämpfen müssen - das gilt nach der Kohlekommission, und das wird ganz sicher auch gelten, wenn unsere Arbeit in der Zukunftskommission in der Landwirtschaft beendet ist. Aber wir sehen auch die Chance, hier gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen erneut ein wichtiges zivilgesellschaftliches Zeichen zu setzen. Wir wollen das Momentum nutzen, unsere Forderungen in der Kommission zu vertreten, um den politischen Diskurs der kommenden Monate an entscheidender Stelle maßgeblich mitzubestimmen.

Was wäre für Greenpeace ein Anlass zum Ausstieg aus der Kommission?

Für uns ist entscheidend, dass konkrete Ergebnisse der Zukunftskommission in dieser und der kommenden Legislaturperiode in praktische Politik umgesetzt werden. Sollte sich zeigen, dass die Kommission nur dazu dient, überfällige Reformen auf nationaler Ebene weiter hinauszuschieben oder ein Nicht-Handeln auf EU-Ebene zu legitimieren, werden wir neu bewerten, ob eine Beteiligung von Greenpeace sinnvoll und zielführend ist.

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