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Globaler Aktionstag gegen TTIP: Greenpeace-Aktivisten protestieren in 51 deutschen Städten gegen das Freihandelsabkommen. Auf dem Marburger Marktplatz formen Umweltschützer den Schriftzug „No TTIP“.
© Andreas Varnhorn / Greenpeace

TTIP greift mit regulatorischer Kooperation in Gesetzgebungsprozesse ein

Gesetze oder Regulierungen – auch zum Schutz der Verbraucher und Umwelt – sollen künftig einen TTIP-TÜV durchlaufen, bevor sie verabschiedet werden. Ein Gremium bestehend aus Vertretern der EU und den USA prüft, ob Gesetzesvorhaben der beiden Wirtschaftsmächte den Handel beeinträchtigen könnten. Beraten wird es dabei von der Industrie. Ziel ist, dass nichts den Handel behindert: kein Gesetz, kein Standard, keine Verordnung.

Das könnte beispielsweise der Fall sein, wenn Europa beschließt, die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln durch einen größeren Hinweis auf der Verpackung zu verbessern. Die USA – das Eldorado für gentechnisch veränderte Produkte – könnten darauf pochen, dass die Kennzeichnung US-amerikanische Unternehmen auf dem europäischen Markt benachteiligen würde.

Wer macht Gesetze?

Wie weit die Befugnisse dieses Beirats für regulatorische Kooperation reichen, ist unklar: Sowohl ihre Aufgaben als auch die genaue Zusammensetzung bleiben nebulös. Die spärlichen Infos, die die Öffentlichkeit erreichen, ändern sich zudem ständig.

Bestand hat aber die Grundidee: Gewählte Parlamente  sollen Gesetzesinitiativen erst zu sehen bekommen, nachdem der von der Wirtschaft beratene TTIP-Beirat eine Beurteilung abgegeben hat. Die Staaten sind verpflichtet, die Empfehlung zu berücksichtigen. Die oben erwähnte neue Kennzeichnung kann dennoch beschlossen werden – mit dem Risiko einer anschließenden Klage. Denn TTIP erlaubt Investoren wie etwa der Gentechnikindustrie, einen Staat wegen Behinderung des Handels auf Schadensersatz zu verklagen. Die Frage ist, wie hartnäckig Staaten bei Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe ihre Vorhaben verteidigen werden.

„Es ist bekannt, dass die Industrie seit Jahren Gesetzestexte mitdiktiert“, sagt Christoph von Lieven, Experte für Handel bei Greenpeace. „Die Politik spricht darüber nicht gerne – es hat etwas Anrüchiges, wenn beispielsweise die Finanz- oder Autoindustrie ihre Lobbyisten in Ministerien oder nach Brüssel schickt, um weniger Kontrolle durchzusetzen oder niedrige CO2-Grenzwerte zu verhindern. Die Regulatorische Kooperation hingegen sieht eine Mitarbeit der Industrie ausdrücklich vor. Unglaublich, welchen Einfluss interessengeleitete Wirtschaftsbetriebe auf staatliche Maßnahmen nun offiziell zugesprochen bekommen sollen.“

Vorsorgeprinzip auf der Kippe

Damit kippt TTIP das, wofür Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace viele Jahre gekämpft haben: das Vorsorgeprinzip. Es ist Grundlage der Umwelt- und Verbraucherpolitik in Europa. Maßgabe ist, Gefahren im Vorwege zu erkennen und nicht erst dann, wenn Umwelt oder Menschen bereits zu Schaden gekommen sind. Unternehmen müssen also beweisen, dass ihr Produkt sicher ist – erst dann dürfen sie es verkaufen. Zweifelsohne sind die europäischen Kriterien für die Sicherheitsbewertung in vielen Fällen nicht ausreichend – aber immer noch besser als das, was in den USA praktiziert wird: Dort können Firmen erst einmal auf den Markt bringen, was sie wollen. Erst wenn zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass das Produkt schädlich ist, kann der Verkauf verboten werden. So sind in den USA beispielsweise elf Chemikalien für die Verwendung in Kosmetikprodukten verboten – in Europa sind es mehr als 1300!

Und der US-Landwirtschaftsminister hat gefordert, gentechnisch veränderte Lebensmittel sowie Rindfleisch aus den USA, welches sehr häufig mit Wachstumsbeschleunigern produziert wurde, zuzulassen. Beides mit dem Hinweis auf die angeblich wissenschaftlich nachgewiesene Unbedenklichkeit.

Das Damoklesschwert Handelsbeschränkung könnte dazu führen, dass Verbote erst dann erlassen werden, wenn die Schädlichkeit einwandfrei bewiesen ist. Doch wie lange dauert es, bis ein von allen Seiten akzeptiertes Gutachten zeigt, dass beispielsweise der Anbau von Gen-Pflanzen die Umwelt und die menschliche Gesundheit gefährdet?

Die Agrar- und Chemielobby in den USA hat bereits deutlich gemacht, was sie von dem Vorsorgeprinzip hält: In zahlreichen Statements geißelt sie es als Exportbarriere und fordert die Abschaffung

Abbau von Handelsbeschränkungen: Was wir brauchen ist da

Manche Regelungen allerdings scheinen tatsächlich überflüssig und drohen, unnötig die Geschäfte zu verderben. Ein Beispiel aus der Autoindustrie macht gerne die Runde, wenn es darum geht, die Notwendigkeit der Regulatorischen Kooperation zu untermauern: So seien die technischen Unterschiede in Europa und den USA etwa bei Airbags oder Rücklichtern überflüssig – sie würden einzig und allein den Ex- bzw. Import behindern.

Eine Angleichung könnte hier in der Tat sinnvoll sein. Da in diesem Gewerbe sowohl in Europa als auch in den USA die Sicherheitsstandards hoch sind, wären durch eine Vereinheitlichung keine negativen Folgen zu erwarten. Aber: Dafür brauchen wir keine regulatorische Körperschaft – es gibt längst andere Institutionen wie die Internationale Organisation für Normung (ISO) oder das Forum für die Angleichung von Standards in der Automobilbranche (UN-Wirtschaftsausschuss für Europa; UN/ECE 29). Diese sind völlig ausreichend, um bestehende Handelsbeschränkungen durch unterschiedliche Standards aufzuheben. Das ist auch in anderen Bereichen so – die Regelungen sind da.

(Stand: April 2016)

Zum Weiterlesen:

Auch der Ende Februar 2016 von der EU eingereichte neue Vorschlag für die Regulatorische Kooperation ist keine Verbesserung. Lesen Sie hier, wie Umwelt- und Verbraucherorganisationen – unter anderem Greenpeace – diesen Vorstoß bewerten: corporateeurope.org/print/2256

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