
Klimaschutz ist Gerechtigkeit: Baro Vicenta Ra Gabbert im Interview
- Ein Artikel von Andi Nolte & Baro Vicenta Ra Gabbert & Matthias Lambrecht
- Im Gespräch
Baro Vicenta Ra Gabbert ist Juristin und unabhängige Sachverständige der Bundesregierung – und seit Juni 2024 gestaltet sie als Vorstandssprecherin bei Greenpeace den sozial-ökologischen Wandel mit. Im Interview spricht die 26-Jährige über die drängenden Ungerechtigkeiten der Klimakrise, ihre Vision einer gerechten Zukunft und warum junge Menschen die treibende Kraft für Veränderung sind.
Greenpeace: Baro, seit Anfang Juni 2024 bist du Sprecherin des Greenpeace-Vorstands für sozial-ökologische Gerechtigkeit. Warum sind sozialer Ausgleich und Gerechtigkeit so entscheidend für den Schutz des Planeten? Und was liegt dir dabei besonders am Herzen?
Baro Vincenta Ra Gabbert: Die Klimakrise ist eine riesige Ungerechtigkeitskrise. Sie trifft oft genau die Menschen am härtesten, die am wenigsten dazu beigetragen haben – Menschen im globalen Süden und mit wenig Einkommen. Und jene, die am meisten dafür verantwortlich sind, also reiche Menschen aus dem globalen Norden, kommen oft besser damit klar, weil sie sich Schutz leisten können. Gleichzeitig behalten sie einen Großteil ihrer klimaschädlichen Profite, während wir alle die Kosten tragen – für Umwelt, Klima, Gesundheit und Gesellschaft.
Um wirksamen Klimaschutz zu erreichen, brauchen wir Maßnahmen, die sozial gerecht sind. Nur so können wir die Mehrheit der Menschen mitnehmen.
Du hast dich vor deinem Wechsel zu Greenpeace für Klimaschutz und Gerechtigkeit eingesetzt, vor allem für junge Menschen. Welche Erfahrungen aus dieser Zeit sind besonders wichtig für deine jetzige Arbeit?
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass junge Menschen wirklich viel auf die Beine stellen und bewegen können – von Protesten mit Millionen auf der Straße bis hin zu Gesetzen, die niemand für möglich gehalten hätte. Selbst die Bundesregierung haben sie erfolgreich verklagt. Das war ein unglaublicher Erfolg! Er ist der Verdienst von jungen Menschen, die beharrlich geblieben sind und es weiter bleiben.
Aber ich habe auch gesehen, woran junge Leute scheitern. Oft werden sie nicht ernst genommen, weil sie sich nicht in den Kreisen der Entscheidungsträger:innen bewegen. Statt wirklicher Unterstützung heißt es dann oft nur: „Toll, dass ihr euch engagiert.“ Das frustriert, führt zu Resignation oder sogar zu Radikalisierung. Und das bereitet mir Sorgen, denn junge Menschen sind schon mehr als genug mit den aktuellen Krisen konfrontiert.
Was ist deine Aufgabe bei Greenpeace und was möchtest du hier als Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit erreichen?
Mein Ziel ist es, dass wir soziale Aspekte in unserer Arbeit immer mitdenken, wenn es um Klima- und Naturschutz geht. Es geht um Gerechtigkeit zwischen dem globalen Norden und Süden, zwischen Menschen mit wenig und viel Vermögen, zwischen Stadt und Land oder auch zwischen Jung und Alt. Themen wie Antidiskriminierung und Inklusion gehören ebenfalls dazu. Das bringe ich in die Kampagnen von Greenpeace ein, aber auch in Gesprächen mit Menschen aus der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und den Medien.
Außerdem mache ich mich mit Greenpeace auf den Weg, um Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu finden: Wie können wir so leben und wirtschaften, dass die Bedürfnisse der Menschen erfüllt werden, ohne dass natürliche Ressourcen ausgebeutet und unsere Lebensgrundlagen zerstört werden? Was muss sich dafür ändern – kulturell, politisch, wirtschaftlich, technisch? Und: Was haben eigentlich Menschen außerhalb unserer “Blase” für Vorstellungen von einem guten Leben?
Was ist deine Vision von einer guten Zukunft – in einem Satz?
Eine Welt, in der wir unsere planetaren Grenzen respektieren und gleichzeitig allen Menschen ein freies und würdevolles Leben ermöglichen.
Welche Schritte könnten wir konkret gehen, um dieser Vision näher zu kommen?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Ein Klimageld wäre zum Beispiel eine tolle Motivation und Anerkennung für klimafreundliches Verhalten und würde zudem einen gerechten Ausgleich für die Kosten des Wandels bieten. Außerdem müssten fossile Subventionen abgebaut und Menschen, die übermäßig zur Klimakrise beigetragen haben, angemessen besteuert werden - etwa durch eine Milliardärssteuer. Das würde finanzielle Spielräume für Investitionen in den sozial-ökologischen Wandel schaffen, die wir dringend brauchen.
Gleichzeitig müssen wir aber auch über die großen systemischen Fragen nachdenken, damit die einzelnen Maßnahmen nicht nur Flickwerk bleiben, sondern am Ende auch ein stimmiges großes Ganzes ergeben.

Sind wir alle stärker gefordert? Müssen wir unsere individuellen Konsumgewohnheiten anpassen? Oder sind wir als Einzelne eigentlich machtlos, solange sich das System nicht ändert?
Ganz ehrlich, das ist eine schwierige Frage. Klar ist: Mit der Änderung des individuellen Konsums alleine werden wir das Problem nicht lösen. Auch bringt es nichts, mit dem Finger auf Leute zu zeigen, die sich einzelne nachhaltige Alternativen wie beispielsweise eine teure Heizungsumrüstung nicht leisten können. Trotzdem kann jede:r Einzelne etwas bewirken. Mit unseren Konsumentscheidungen können wir Zeichen setzen, damit politisch Verantwortliche handeln und Unternehmen ihr Angebot ändern. Und wir können in der Familie oder im Bekanntenkreis Debatten über ein nachhaltiges und klimagerechtes Leben anstoßen. Wenn man zum Beispiel vegane Gerichte zum Grillen mitbringt und andere probieren lässt, zeigt man neue Möglichkeiten auf.
Am Ende kommt es darauf an, dass sich die großen Linien ändern. Und dafür braucht es das Engagement und den Druck von Menschen, die sich zusammenschließen. Jede:r kann sich engagieren, je nach Fähigkeiten, Interessen und Möglichkeiten – ob in Initiativen, der Kommune oder in politischen Parteien. Gemeinsam können wir viel erreichen!
Viele Menschen sind verunsichert von Kriegen und Krisen, haben Angst vor der Zukunft. Davon profitieren populistische Politiker:innen, die einfache, aber meist falsche Lösungen versprechen. Wie kann es gelingen, den Menschen wieder Zuversicht zu geben und positive Veränderungen durchzusetzen?
Viele Menschen haben weiterhin große Sorge vor den Folgen der Klimakrise. Viele wissen auch, dass mehr getan werden muss, fordern aber sozial gerechte und durchdachte Lösungen. Wir sehen, dass Menschen für Klimaschutz sind, wenn die Maßnahmen dazu für sie persönlich im Alltag bewältigbar bleiben, diese ihnen vielleicht sogar Vorteile bringen und sie fair gestaltet sind. Man denke etwa an das Deutschlandticket oder lokale Genossenschaften für erneuerbare Energien in Gemeinden. Solche Lösungen braucht es im großen Stil, damit die Menschen mitmachen wollen und offen sind für Veränderung.
Woher nimmst du die Kraft, dich trotz Widerständen für eine gerechte Zukunft einzusetzen? Und was gibt dir Hoffnung?
Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber ich mag Menschen, Tiere und die Natur einfach sehr und möchte, dass es ihnen gut geht. Außerdem gibt es mir immer wieder Kraft, wenn ich erlebe, mit wie vielen engagierten und beeindruckenden Menschen ich gemeinsam arbeite. Aus diesem Austausch mit meinen Mitstreiter:innen schöpfe ich viel Hoffnung für die Zukunft, denn es sind viele – manche sitzen im Hamburger Greenpeace-Büro, andere im ecuadorianischen Regenwald. Ihre Arbeit ist unglaublich inspirierend!