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Arbeit im Zwischenlager Gorleben, Dezember 1994
Michael Meyborg / Signum / Greenpeace

Warum der Salzstock Gorleben nicht als Endlager geeignet ist (Kurzfassung)

Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Greenpeace fordert, dass Sigmar Gabriel (SPD) in seiner Funktion als Umweltminister eine alternative Endlagersuche organisiert, die Endlagerpläne für Gorleben endlich aufgibt und dafür sorgt, dass die Atomkraftwerke so schnell wie technisch möglich abgeschaltet werden, damit nicht noch mehr Atommüll produziert wird.

Das Gutachten

Das Gutachten Das Mehrbarrierensystem bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Salzstock wurde von Detlef Appel von PanGeo und Jürgen Kreusch von der Gruppe Ökologie im Auftrag von Greenpeace erstellt. Es untersucht Salzstöcke hinsichtlich ihrer Eignung als Endlager für radioaktive Abfälle. Dabei beleuchtet es die Kriterien der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, hier vor allem das geforderte Mehrbarrierensystem, und überträgt die Untersuchungen dann auf den Salzstock Gorleben in Niedersachsen.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass Gorleben gemessen an den von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe formulierten Anforderungen an die Barriere Deckgebirge ungünstig abschneidet. Dies gilt sowohl absolut, wegen der konkreten Eigenschaften des Deckgebirges in Gorleben, als auch relativ, weil es in Deutschland Salzstöcke mit besserem Deckgebirge gibt.

Im Ausblick fordern die Autoren der Studie deshalb, den Salzstock als Endlager aufzugeben.

Die Studie

Das Gutachten beleuchtet den Begriff Mehrbarrierensystem im Zusammenhang mit radioaktiver Endlagerung, untersucht dann Salzstöcke im Hinblick auf ihre Mehrbarriereneigenschaften und bewertet daraufhin den Salzstock in Gorleben.

Das Mehrbarrierensystem

Ein Mehrbarrierensystem besteht aus den geologischen, den technischen sowie den geotechnischen Barrieren eines Endlagers, die in ihrem Zusammenwirken die Isolation der Abfälle für den Isolationszeitraum sicherstellen sollen. Ein solches Mehrbarrierensystem besteht aus verschiedenen Systemkomponenten, die jeweils ihren spezifischen Anteil an der Isolation der Abfälle haben. Die Isolation der Abfälle dient der Ver- bzw. Behinderung der Ausbreitung der Radionuklide mit dem Grundwasser in die Biosphäre.

Die geologischen Barrieren sind die Gesteine der Erdkruste, die den einschlusswirksamen Gebirgsbereich bilden (das heißt die Gesteine, die wegen ihrer geringen Wasserdurchlässigkeit und anderer Eigenschaften ein natürliches Isolationsvermögen besitzen). Wichtige geotechnische Barrieren sind die Verschlüsse von Schächten oder Strecken des Endlagerbergwerks. Technische Barrieren sind beispielsweise die Behälter, in denen abgebrannte Brennelemente aus den Atomkraftwerken endgelagert werden sollen.

Kein Element des Mehrbarrierensystems ist absolut und für immer dicht. Es kommt also darauf an, die Barrieren so zusammenzustellen, dass insgesamt ein Isolationsvermögen für möglichst lange Zeit vorliegt. Für hochradioaktiven Atommüll müssen die Barrieren nach heutigen Erfordernissen in der Lage sein, einen Isolationszeitraum in der Größenordnung von einer Million Jahren zu gewährleisten. Aber auch nach dieser Zeit ist ein Teil der radioaktiven Abfälle immer noch gefährlich.

Die Barrieren bei Salzstöcken

Bei Endlagern in Salzstöcken stützt sich das Mehrbarrierensystem vorrangig auf die natürlichen Barrieren. Es sind dies der Salzstock und sein Deckgebirge, welches die über dem Salzstock liegenden Sedimente bis zur Erdoberfläche umfasst. Technische Barrieren wie die Abfallbehälter spielen keine wesentliche Rolle, da sie wegen des aggressiven Angriffs von Salzlaugen oder ähnlichem nicht in der Lage sind, die Radionuklide längerfristig zu isolieren.

Die Barriere Salzstock hat einerseits günstige Barriereeigenschaften. Dazu gehören vor allem die sehr geringe Durchlässigkeit (reines Salz ist praktisch undurchlässig) und gutes gebirgsmechanisches Verhalten (Konvergenz von Hohlräumen im Salz durch das langsame Zusammenfließen). Im Idealfall werden die Abfälle innerhalb von Jahrzehnten bis einigen Hundert Jahren vollständig von Salz umschlossen, bekannt als vollständiger Einschluss.

Diese Eigenschaft bringt jedoch gleichzeitig auch ein Problem mit sich, da durch die langsame Verfüllung der Hohlräume um den Atommüll herum eine Überwachung und Rückholbarkeit des Atommülls nicht gewährleistet ist. Dies kann sich als besonders prekär erweisen, wenn unvorhersehbare Probleme innerhalb der geologischen Struktur auftreten, die eine Umlagerung notwendig machen würden.

Darüber hinaus besitzt Salz eine weitere für die Endlagerung sehr ungünstige Eigenschaft: Es ist stark wasserlöslich. Sobald Wasser in den Salzstock eindringen kann, löst es mehr und mehr Salz und verbreitert seinen Zuflussweg. So strömt immer mehr Wasser nach. Das Eindringen von Wasser in einen Salzstock muss also unbedingt vermieden werden.

Hinzukommt, dass ein Salzstock keine homogene Salzmasse ist, sondern sich im Salzstock andere Salzarten bzw. Gesteine befinden, die ein anderes gebirgsmechanisches Verhalten und eine potenziell höhere Durchlässigkeit aufweisen. Zu diesen gehören Salzton und vor allem Anhydrit. Durch das Einbringen von stark wärmeentwickelnden Abfällen wie Atommüll heizt sich im Laufe der Zeit der gesamte Salzstock auf und dehnt sich aus. Nachdem die Wärmeentwicklung abklingt, zieht der Salzstock sich wieder zusammen. Diese Bewegungen des Salzstocks können selbst Anhydritbänder, die normalerweise keine Gefahr darstellen, in ihrem Wasserleitvermögen reaktivieren und zu den - aus dem Salzbergbau bekannten - Wasserbringern führen.

Zusätzlich besteht noch das Problem der Gasentwicklung, speziell aus den leicht- und mittelaktiven Abfällen. Dadurch kann ein sehr starker Druck entstehen, der Auswirkungen auf das Isolationsvermögen von Salz haben kann.

Die Barriere Salzstock kann also alleine die Abfälle nicht ausreichend isolieren. Vielmehr bedarf der Salzstock des Schutzes durch die Barriere Deckgebirge. Das Deckgebirge schützt den Salzstock in humiden Klimabereichen vor der Auflösung durch das Grundwasser. Das Ausmaß der Salzauflösung ist wesentlich vom hydrogeologischen Aufbau des Deckgebirges abhängig. Wenn man ein - im Sinne der Endlagerung - gutes Deckgebirge hat, dann schützt dieses den Salzstock durch fehlenden oder sehr geringen Grundwasserdurchsatz im Grenzbereich Deckgebirge/Salzstock. Ein solches Deckgebirge besitzt üblicherweise eine durchgängige Tonschicht, verschiedene voneinander getrennte Grundwasserstockwerke oder einen sehr geringen hydraulischen Gradienten.

Aber das Deckgebirge schützt nicht nur den Salzstock, sondern liefert auch einen Beitrag zur Radionuklidisolation. Sollten aus dem Salzstock - aus welchen Gründen auch immer - Radionuklide freigesetzt werden, dann kann nur das Deckgebirge noch als wirksame Barriere dienen. Dazu muss es aber bestimmte Eigenschaften aufweisen. Insbesondere durchgängige Tonschichten können die Ausbreitung von Radionukliden wirksam behindern bzw. verhindern. Auch die hydraulische Trennung von Grundwasserstockwerken im Deckgebirge ist sehr wirksam.

Die geologische Situation des Salzstockes in Gorleben

Die Bewertung des Deckgebirges des Salzstock Gorlebens ist eindeutig und nicht umstritten: Sein Deckgebirge weist keine Eigenschaften auf, die den geforderten besonderen Merkmalen zur Endlagerung von hochradioaktivem Müll gerecht werden. Er weist unter anderem keine durchgängige Tonschicht und keine vollständige Trennung der Grundwasserstockwerke auf. Darüber hinaus gibt es die sogenannte Gorlebener Rinne, bei der Kies und Sand bis auf den Salzstock hinabreichen und bei der heute noch durch Wasserzutritt der Salzstock abgelaugt wird.

Das Deckgebirge von Gorleben genügt also nicht den Anforderungen, die an einen Endlagersalzstock gestellt werden. Es kann weder den Schutz des Salzstocks gewährleisten noch kann es einen ausreichenden Beitrag zur Radionuklidisolation liefern. Das Drängen der Industrie, auf ein solches Deckgebirge als Barriere praktisch zu verzichten und alleine auf den Salzstock Gorleben als Barriere zu setzen, könnte fatale Folgen haben. Die Beschaffenheit des Deckgebirges über dem Salzstock in Gorleben muss zur Aufgabe des Standortes führen. Ein funktionierendes Mehrbarrierensystem im eigentlichen Sinn ist an dem Standort nicht mehr gewährleistet.

Fazit der Studie

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass ein Salzstock zwingend ein gutes Deckgebirge haben muss, damit er für die Endlagerung geeignet ist. Genau das ist jedoch in Gorleben nicht gegeben. Das Deckgebirge ist auf einer Fläche von 7,5 Quadratkilometern nicht vorhanden.

Die logische und einzige Schlussfolgerung, die der Staat und die Betreiber im Sinne des Schutzes der Bevölkerung hieraus ziehen müssen, ist eine Aufgabe des Standortes Gorleben als potenzielles Endlager.

Hintergründe zum Standort

  • Was ist Gorleben?

    Die Gemeinde Gorleben liegt im Wendland in Niedersachsen an der Elbe. Bis 1989 lag die Region direkt an der Grenze zur ehemaligen DDR. In der Nähe der Gemeinde Gorleben liegt der Gorlebener Salzstock. Er ist 14 Kilometer lang und an der breitesten Stelle bis zu vier Kilometer breit. Er reicht aus dreieinhalb Kilometer Tiefe bis etwa 260 Meter unter die Erdoberfläche.

    Die Bundesregierung hat im Salzstock ein Erkundungsbergwerk einrichten lassen und auf einem weiteren Gelände, dem Erkundungsbergwerk gegenüber, ein oberirdisches Zwischenlager für Atommüll und eine Anlage zur Umverpackung von Atommüll aus Transportbehältern in Lagerbehälter bauen lassen. Der Atommüll, der jedes Jahr aus der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague, Frankreich, nach Gorleben transportiert wird, landet im oberirdischen Zwischenlager. Der weitere Ausbau des Endlagers im Erkundungsbergwerk wurde im Juni 2000 durch ein Moratorium der rot-grünen Bundesregierung gestoppt. Das Moratorium besteht für maximal zehn Jahre.

  • Wie kam es zur Standortentscheidung für Gorleben?

    Im Juli 1975 schlug eine Findungskommission unter Karl Friedrich von Weizsäcker dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht drei Salzstöcke zur näheren Untersuchung vor: Lutterloh bei Celle, Lichtenhorst bei Nienburg und Wahn im Emsland. Nach Aussagen des an der Auswahl der Salzstöcke beteiligten Erlanger Geologen Gerd Lüttig gehörte der Standort Gorleben nicht in die günstigste Kategorie. [1]

    Im August 1976 wurden die parallel laufenden Untersuchungen an den drei Standorten von der Landesregierung Niedersachsen gestoppt. Im Februar 1977 wurde überraschend Gorleben als einziger Endlagerstandort benannt.

  • Warum scheuen Politiker die alternative Endlagersuche?

    Jeder Politiker weiß um die Konflikte, die in einer Region auftreten, sobald dort nach einem Endlager gesucht würde. Niemand möchte sich ein Endlager und die damit verbundenen Risiken und Konflikte in seinen Wahlkreis bzw. sein Bundesland holen. Noch ein weiterer Grund kommt hinzu: In Gorleben wurden bis heute bereits 1,4 Milliarden Euro investiert. Das Geld wurde sowohl in die Erkundung des Salzstocks als auch in die Umverpackungsanlage gesteckt und schafft heute angebliche Sachzwänge.

[1] Lüttig, G., in: Niedersächsisches Umweltministerium (Hrsg.), Internationales Endlager-Hearing 21. - 23. September 1993 in Braunschweig

(Autor und V.i.S.d.P.: Thomas Breuer)

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