
Vertreibung durch Klimawandel: Interview mit Greenpeace-Experte Fawad Durrani
- Ein Artikel von 0rtrun Sadik
- Im Gespräch
Besonders in den V20, den 20 verwundbarsten Staaten der Welt, treibt der Klimawandel immer mehr Menschen in die Flucht. Ein Interview mit Greenpeace-Experte Fawad Durrani.
Klimawandel und Umweltzerstörung sind bereits heute ein viel stärkerer Antrieb für Vertreibung, Abwanderung und Flucht, als vielen von uns bewusst sein mag. Das fasst eine aktuelle Greenpeace-Studie zusammen. Besonders schlimm ist die Situation in den Ländern, in denen verheerende Folgen des Klimawandels wie Dürre oder Überschwemmungen auf Armut und kriegerische Konflikte treffen. Diese Länder bezeichnet man als besonders verwundbar. Eines dieser V20-Länder ist Afghanistan. Aus ihm kommt auch Fawad Durrani, Greenpeace-Experte für den Zusammenhang von Klimawandel, Vertreibung und gewalttätige Konflikte.
Greenpeace: Was sind Klimaflüchtlinge oder Klimavertriebene?
Fawad Durrani: Beide Begriffe, sowohl Klimaflüchtlinge als auch Klimavertriebene, sind eigentlich falsch, doch sie wollen bewusst provozieren. Sie beschreiben das Phänomen, dass Menschen wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen. Zum Beispiel, weil wegen Dürren und Trockenheit keine Landwirtschaft mehr möglich ist, oder weil Stürme, Fluten oder Überschwemmungen ihren Lebensraum wieder und wieder zerstören. Falsch im wissenschaftlichen Sinne sind die Begriffe deshalb, weil nie nur ein einziger Faktor die Menschen aus ihrer Heimat vertreibt und in die Flucht schlägt. Der Klimawandel ist also nicht die einzige Ursache für das Abwandern von Bevölkerungsteilen. Aber er wirkt als Multiplikator in Regionen, in denen das Leben etwa wegen Krieg, Terror und Armut ohnehin schon schwierig geworden ist.
Kann man beziffern, wie viele Klimavertriebene es gibt?
Das ist schwer zu sagen. Es gibt keinerlei Zahlen über schleichende Abwanderungen. Erfasst werden derzeit nur die sogenannten Katastrophenvertriebenen, also Menschen, die zum Beispiel wegen Flut oder Erdrutsch urplötzlich ihr Zuhause verlieren. Schon das betrifft jährlich mehr als 20 Millionen Menschen, also fast doppelt so viele, wie jedes Jahr neu durch Krieg und Gewalt vertrieben werden.
Was genau bedeutet: Der Klimawandel wirkt als Multiplikator?
Nehmen wir mal als Beispiel Afghanistan, mein Heimatland. Afghanistan leidet seit Jahrzehnten unter Krieg und Gewalt. Gleichzeitig ist das Land besonders stark vom Klimawandel und damit verbundenen Naturkatastrophen betroffen. Jährlich suchen Überschwemmungen, Erdrutsche und Dürren das eh schon geplagte Land heim. So vertrieben im Jahr 2015 zum Beispiel Gewalt und Terror mehr als 300.000 Menschen, Naturkatastrophen im gleichen Jahr noch einmal mehr als 70.000. Und das sind nur die Zahlen aus einem Jahr – aber die Situation ist schon seit Jahrzehnten die Gleiche. Das Problem ist riesig. In meinem Heimatland sind drei von vier Menschen schon mindestens einmal vertrieben worden!
Wie greifen Gewalt und Klimawandel ineinander und verschlimmern sich?
Ein Aspekt: Viele Konflikte in ländlichen Regionen und Gemeinden drehen sich um Ressourcen wie Ackerland und Wasser. Die sind in den vergangenen Jahren auch wegen des Klimawandels immer knapper geworden – die Konflikte verstärken sich. Seit 1980 sind in Afghanistan – auch klimatisch bedingt – 60 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche verloren gegangen. In einem Land, das zu 80 Prozent von der Landwirtschaft lebt, ist das eine Katastrophe!
Der Klimawandel bewirkt auch, dass Wasser immer knapper wird. Zwar gibt es heftigere Regenfälle als früher und damit schlimmere Fluten und Überschwemmungen. Aber wegen gestiegener Durchschnittstemperaturen schwinden die Gletscher in Afghanistan. Die sind notwendig für eine verlässliche Wasserversorgung das ganze Jahr über.
Die Wasserknappheit heizt nicht nur Verteilungskonflikte an. Sie zwingt auch Bauern, Pflanzen anzubauen, die weniger Wasser benötigen. Und eine davon ist – Opium. Der Anbau und der Handel mit dem Rauschgift sind aber die Haupteinnahmequelle für die Taliban. Nun will ich nicht sagen, dass allein der Klimawandel den Opiumanbau in die Höhe treibt. Aber die Effekte verstärken sich.
Ein anderer Aspekt: Nicht nur die Landwirtschaft Afghanistans ist von den Gletschern und Flüssen des Landes abhängig. Auch die Nachbarländer Pakistan und Iran hängen an diesen Wasseradern. Dass diese Länder nun die Taliban und andere aufständische Gruppen unterstützen, hat auch damit zu tun, dass bei all dem Terror in Afghanistan niemand dazu kommt, die Felder ordentlich zu bewässern. So kommt mehr Wasser im Iran und in Pakistan an.
Spricht man von Klimaflüchtlingen oder Klimavertriebenen, wird einem ja gerne Panikmache vorgeworfen. Ist das gerechtfertigt?
Nein. Richtig ist zwar, dass die Begriffe aus fachlicher Sicht problematisch sind und die Welt eben nicht so monokausal funktioniert. Aber wir müssen aufhören, darüber zu diskutieren, wie stark der Einfluss des Klimawandels ist, und ob man das jetzt als Hauptgrund, Nebengrund oder nur als Verstärker einstufen soll. Auch wenn wissenschaftlich nicht exakt beziffert werden kann, wie sehr welcher einzelne Faktor am Ende zu einer Verschlimmerung der Lebenssituation in einem Land wie Afghanistan beiträgt, aber auch in Syrien, im Irak oder in Teilen Afrikas: Wir müssen die Verschlimmerung durch den Klimawandel wahrnehmen und damit umgehen. Wegschauen hilft nicht. Deswegen reden wir über Klimavertriebene, auch wenn der Begriff wissenschaftlich nicht sauber ist. Denn klar ist doch, dass sich in dem Maße, in dem der Klimawandel schlimmer wird, diese Probleme, das dadurch verursachte menschliche Leid und eben auch die Flüchtlingsströme vergrößern werden.
Was muss passieren?
Das Problem der Vertreibung durch Klimawandel muss endlich ernst genommen werden. Außerdem müssen so Vertriebene einen Status erhalten, der ihnen international Rechte gibt und ihnen Schutz gewährt. Dann müssen die gefährdetsten und verwundbarsten Länder von der Weltgemeinschaft finanziell bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt werden. Und natürlich muss die Menschheit und die Staatengemeinschaft alles in ihrer Macht stehendende dafür tun, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen!
