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Online-Redaktion: Wie hast du die Situation auf Sylt erlebt? Was habt du gesehen?
Jörg Feddern: Der Sturm hat sich geradezu klassisch aufgebaut: heftiger Wind, schwere Regenfälle und dann eine vorübergehende Flaute. Danach ging es erst richtig los. Wir konnten sehen, wie sich die Wand aufbaute. Aus Hamburg haben die Kollegen uns die ganze Zeit gemeldet, wo sich das Zentrum des Sturms gerade befand. Ursprünglich sollte Kyrill genau über Sylt hinwegfegen. Das ist entgegen den Voraussagen nicht eingetroffen, der Sturm ist vorher abgedreht. Wir hatten in Spitzen Windstärke 11, sonst etwa 9 bis 10. Das Wasser stieg nicht mehr. Gegen 21 Uhr war das Schlimmste vorbei.
Man kann sagen, Sylt ist mit einem blauen Auge davongekommen. Am Morgen haben wir uns die Küste an dieser Stelle noch einmal angesehen. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Insel durch die Orkane der letzten Wochen an Substanz verloren hat - es geht nicht um ein bisschen Sandstrand, es geht schon an den Kern.
Es ist klar, dass im Frühling wieder Sand vorgespült werden muss. Aber es ist auch klar, dass das nur Symptombekämpfung ist. Dabei darf es nicht bleiben. Durch den Klimawandel nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass extreme Wetterereignisse wie dieser Orkan häufiger auftreten werden.
Online-Redaktion: Welche Faktoren an der Entstehung von Kyrill waren auf die Wetterlage und welche auf die Klimaveränderung zurückzuführen?
Jörg Feddern: Die Orkane im Nordatlantik entstehen durch das Aufeinanderprallen von Warm- und Polarluftfronten. Über Europa haben wir zu dieser Jahreszeit normalerweise ein stabiles Kältehoch. Das ist in diesem Jahr ausgefallen. Durch das extrem milde Wetter in diesem Herbst und Winter sind Atmosphäre und Ozeane wärmer als normal. Die Verdunstung ist höher und die Atmosphäre transportiert mehr Wasser, mehr Energie.
Ein einzelner Orkan ist natürlich noch kein Hinweis auf den Klimawandel. Erst in der Summe wird aus Einzelereignissen eine grundlegende Veränderung.
Online-Redaktion: Inzwischen sind die Experten sich einig, dass der Klimawandel im Gange ist. Wenn es mit der Erwärmung so weitergeht, was erwartet uns dann? Und was müssen wir tun?
Jörg Feddern: Der Meeresspiegel steigt. Das steht fest. Einmal durch thermische Einflüsse - durch die Erwärmung dehnt sich das Wasser aus. Zum anderen durch das Abschmelzen des Inlandeises an den Polen. Um wie viel der Meeresspiegel ansteigt, darüber sind die Experten uneins. Einig sind sie darin, dass es schneller geht und schlimmer ist als erwartet.
Wenn der Meeresspiegel steigt, wenn Stürme heftiger und häufiger werden, steigt natürlich auch die Belastung der Küsten. Mehr Investitionen in den Küstenschutz sind also unumgänglich. Aber gleichzeitig müssen wir die Ursache für die gegenwärtige Entwicklung bekämpfen. Das heißt: Wir müssen die Erderwärmung stoppen. Auf keinen Fall darf die Temperatur um mehr als zwei Grad Celsius steigen. Was darüber hinausgeht, kann zu Folgen führen, die nicht mehr beherrschbar sind.
Deshalb fordert Greenpeace von Frau Merkel, den Klimaschutz zur Chefsache zu machen. Deutschland muss den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens 40 Prozent verringern - ganz egal, ob andere Staaten sofort mitziehen oder nicht. Solange jeder immer nur nach dem anderen schielt, läuft überhaupt nichts.
Deutschland muss außerdem die EU-Ratspräsidentschaft massiv für das Klima nutzen: Bis 2020 muss die EU mindestens 30 Prozent CO2 einsparen. Und schließlich muss Frau Merkel als Gastgeberin den G8-Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm nutzen und den Klimaschutz dort zur Hauptsache machen. Immerhin repräsentieren diese acht Staaten fast die Hälfte aller CO2-Emissionen weltweit. Da trifft sich der harte Kern der Klimazerstörer.
Online-Redaktion: Jörg, vielen Dank für das Gespräch.
