
Vertrag mit Lücken
- Ein Artikel von Gregor Kessler
- Hintergrund
Der Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung verspricht Verantwortung und bietet Leerstellen. Gerade beim Klimaschutz klaffen riesige Lücken.
Eine Szene mit Symbolkraft: Da spricht Friedrich Merz am Mittwochnachmittag von einem „starken Plan“, den Union und SPD mit ihrem Koalitionsvertrag ausgearbeitet hätten, und zeigt sich höchst zufrieden mit dem Vereinbarten. Gerade für die jüngere Generation sei das gut. Die frage zu Recht, welche Zukunft sie in diesem Land habe. Während also Deutschlands künftiger Bundeskanzler sich und seinen zukünftigen Koalitionär:innen verbal auf die Schultern klopft, stehen vor der Scheibe der großen Halle des Paul-Löbe-Hauses und in Sichtweite der laufenden Pressekonferenz ein paar Greenpeace-Leute mit fünf mannshohen gelben Buchstaben: K, L, I, M und A. Wenn es um die Pläne der kommenden Regierung geht, muss das Thema Klima leider draußen bleiben.
Als stattlicher 150-Seiter unter dem zeitlosen Titel „Verantwortung für Deutschland“ ist der Koalitionsvertrag dann auch erschreckend dünn, was Antworten auf die Zukunftsfrage Klimaschutz anbelangt. Hingegen lehrt die Lektüre, dass ein künftig CSU-geführtes Raumfahrtministerium dafür sorgen will, dass eine deutsche Astronautin oder ein deutscher Astronaut auf den Mond fliegt. Derweil fällt der Rhein-Pegel schon jetzt so tief, dass Frachtschiffe nicht mehr voll beladen durchkommen; und der Klimawandeldienst Copernicus teilt mit, dass seit 1881 in Europa kein wärmerer und in Deutschland kaum ein trockenerer März gemessen wurde als der vergangene. Es ist keine Raketenwissenschaft zu erkennen, dass die nächste Bundesregierung Antworten auf die Folgen der Klimakrise braucht.

Klimakrise: Verdrängen statt lösen
Die Voraussetzungen dafür hat sie. Nie startete eine Bundesregierung unter besseren finanziellen Bedingungen in die Legislatur. 100 Milliarden Euro sieht das Sondervermögen für Klimaschutz vor. Nur haben sich Union und SPD nicht auf dazu passende Maßnahmen einigen können.
Dass sich die Koalition zu den deutschen und europäischen Klimaschutzzielen bekennt, ist keine Errungenschaft, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und eine Erinnerung, sich mehr anzustrengen. Schließlich bestätigt der Expert:innenrat für Klimafragen der Bundesregierung erst im Februar, dass die Klimaziele nur mit mehr Anstrengungen zu erreichen sind. Doch statt den CO2-Ausstoß in Deutschland mit dem nötigen Tempo zu senken, soll künftig verstärkt auf negative Emissionen gesetzt und sollen über so genannte Offsets Emissionsminderungen in andere Länder verschoben werden. Die neue Koalition will Herausforderungen im Klimaschutz offenbar lieber verdrängen als lösen.
Im Energiesektor geht es rückwärts
In der Energiepolitik birgt der Koalitionsvertrag herbe Rückschritte. Er nimmt die von der Ampel angeschobene Wärmewende auseinander und verunsichert so die Bevölkerung sowie eine ganze Branche. Die hatte sich gerade daran gemacht, voranzukommen beim Einbau sparsamer und klimafreundlicher Wärmepumpen, wie sie in vielen europäischen Ländern längst den Wärmemarkt dominieren.
Die Verpressung von CO2, also das umstrittene CCS, soll künftig sogar für Gaskraftwerke möglich sein. Von denen planen Union und SPD ohnehin viel mehr, als bei einem gezielten Ausbau der Erneuerbaren nötig wäre. Das manövriert Deutschland in neue fossile Abhängigkeiten von Donald Trumps Flüssiggas, bevor wir uns von Wladimir Putin als gefährlichem Öl-Dealer gelöst haben. Wenn gleichzeitig noch das Flächenziel für den Ausbau der Windenergie an Land in Frage gestellt wird, dann zementiert dieser Vertrag teure und umweltschädliche Öl- und Gasimporte.
Verkehr steht im Stau
Im Verkehr, dem größten Problemfeld beim Klimaschutz, ist von einer Mobilitätswende kaum etwas zu sehen. Zarte Fortschritte bei Bus und Bahn, etwa ein verlängertes Deutschlandticket und mehr Mittel für den Nahverkehr und die Schiene werden überschattet durch Zugeständnisse an den Autoverkehr. Am bestehenden Bundesverkehrswegeplan etwa, mit seinem Wust an zusätzlich geplanten Bundesstraßen und Autobahnen, hält der Vertrag gegen alle wirtschaftliche und ökologische Kritik fest.
Besonders kritisch zudem: Die europäischen CO2-Flottengrenzwerte, ein wirksames Instrument, um klimaschädliche Verbrenner durch bezahlbare E-Autos zu ersetzen, will die kommende Regierung aufweichen. Zurücknehmen will sie zudem die Regelung, dass die Lkw-Maut den nötigen Ausbau der Schiene mitfinanziert. Die Beimischquoten für alternative strombasierte Kraftstoffe, mit denen sich der Verbrauch klimaschädlichen Kerosins senken lässt, will die künftige Regierung runterschrauben.
Und das von der SPD geforderte und einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützte Tempolimit auf Autobahnen hat die Union aus dem Vertrag rausgedrängt. Dabei würde es Autobahnen sicherer machen und den Klimaschutz voranbringen.
Lückenhafter Artenschutz
Die neben der Erderhitzung zweite und nicht minder existenzielle ökologische Krise, das Artensterben, wird im Koalitionsvertrag nicht ausreichend bedacht. Dabei ist es hoch gefährlich für Natur und Menschheit. Immerhin einigten sich die Verhandelnden auf ein Naturflächenbedarfsgesetz, was – bei sorgfältiger Umsetzung – der Natur neue und vernetzte Flächen verschaffen kann. Auch die Verstetigung des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz ist ebenso positiv wie die Ankündigung, dass Deutschland beim Tiefseebergbau weiterhin für eine vorsorgliche Pause und den Schutz der Tiefsee eintreten wird.
Bittere Leerstellen hingegen sind das Bekenntnis internationale Verpflichtungen umzusetzen, etwa das Ziel, bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen, oder das Hochseeschutzabkommen (BBNJ). Das drängt die Frage auf, welche Rolle diese Koalition bei der Verteidigung multilateraler Abkommen spielen will.
Kniefall in der Landwirtschaft
In der Landwirtschaft geht die künftige Koalition die wichtigen Herausforderungen wie die Gefahr durch Pestizide oder die hohen Tierbestände überhaupt nicht an. Das Papier liest sich hier eher wie ein Kniefall vor dem Bauernverband.
Gerechtigkeit? Ein andern Mal!
Für die Hoffnung vieler Menschen auf ein gerechteres Steuersystem ist der Koalitionsvertrag eine herbe Enttäuschung. Union und SPD haben die Chance vertan, die Besteuerung sozial ausgewogen zu reformieren, etwa in dem Superreiche einen fairen Beitrag zu den Kosten der ökologischen Modernisierung leisten. Dabei wird dieses Geld dringend gebraucht, um zu investieren und Klimaschutz dabei auch sozial gerechter zu gestalten. Doch statt extrem hohe Vermögen stärker in die ökologische Verantwortung zu nehmen, verteilt die neue Regierung Steuergeschenke an ihre Wählerklientels: Landwirt:innen, Hoteliers und Pendler:innen. Dass das versprochene Klimageld kassiert wurde und stattdessen die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung für eine Strompreissenkung verwendet werden sollen, ist nicht nur unsozial, sondern schadet auch dem Klimaschutz.
Die Regierung Merz setzt ihren einseitigen Schwerpunkt auf die Förderung der Wirtschaft und ignoriert dabei die wachsende soziale Ungerechtigkeit im Land und die inzwischen unübersehbaren Folgen der Klimakrise. Dabei ist beides – soziale Gerechtigkeit und ökologische Modernisierung – ein zentraler Teil der Verantwortung für Deutschland, die der Koalitionsvertrag verspricht.