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‘Taxonosaurus’ Dinosaur at EU Commission HQ in Brussels
© Johanna de Tessières / Greenpeace

EU-Taxonomie nach russischem Wunsch

Wie haben es nachweislich umweltschädliche Formen der Energieerzeugung wie Atom- und Gaskraftwerke nur in den Entwurf der EU-Nachhaltigkeitstaxonomie geschafft? Ein aktuelles Recherchepapier von Greenpeace wirft ein Licht auf die Arbeit russischer Konzerne, die in Brüssel – offenbar erfolgreich – Stimmung für eine denkbar schlechte Politik gemacht haben. 

Die Verfasser:innen kommen zum Schluss: Hauptsächlich profitiert Russland als Handelspartner davon, wenn Gas und Atomkraft als nachhaltig eingestuft werden. Entsprechend hartnäckig hat das Land vor und vor allem hinter den Kulissen dafür geworben. Während Deutschland und andere europäische Staaten sich bemühen, in Sachen Kohle und Öl unabhängig von Russland zu werden, werden damit an anderer Stelle Abhängigkeiten zementiert. Geschäfte mit Russland sind Zahlungen in Putins Kriegskasse - so simpel muss man das sagen. Hinsichtlich des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges in der Ukraine ist eine Taxonomie, die Russland derart begünstigt, ein Skandal.

Greenpeace verklagt EU-Kommission wegen Taxonomie

Greenpeace hat vor einem Jahr gegen die EU-Taxonomie, die Investitionen in Gas- und Atomenergie als „grün“ labelt, Klage eingereicht.

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Was ist die EU-Taxonomie?

Der Gedanke hinter der Formulierung einer Nachhaltigkeitstaxonomie ist an sich vernünftig. Erst vergangene Woche hat die Weltorganisation für Meteorologie ihre Prognose veröffentlicht, dass bereits im Jahr 2026 die Jahres-Durchschnittstemperatur der Welt zum ersten Mal mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen könnte. Eigentlich sollte die Klimakatastrophe Grund genug sein, dass der Umbau zu nachhaltigen, emissionsarmen Formen der Energieerzeugung möglichst schnell geht. Doch gesunder Menschenverstand reicht offenbar nicht – besser wirken finanzielle Anreize. 

Darum geht es bei der EU-Nachhaltigkeitstaxonomie. In ihr sammelt die EU-Kommission Energieerzeugungen, die ihrer Ansicht nach besonders umweltfreundlich und klimaschonend sind, und deshalb besondere Förderung verdienen. Unterm Strich: Sie werden dadurch für Investor:innen interessanter.

Allerdings konterkariert der Einbezug von Atom und Gas den an sich nachvollziehbaren Ansatz: Atomkraft als “nachhaltig” zu bezeichnen ist schon aufgrund der nicht gelösten Endlagerfrage für Atommüll ein Widerspruch in sich, außerdem ist die Technik weder kostengünstig noch CO2-neutral, wie es Befürworter:innen gerne kolportieren. Auch Gaskraftwerke sind bestenfalls eine Übergangstechnologie, um vorübergehende Versorgungslücken beim Ausbau der Erneuerbaren Energien aufzufangen. Sie mögen weniger Treibhausgase emittieren als Kohlekraftwerke, das macht sie allerdings nicht nachhaltig.

Warum ist die EU-Taxonomie so wichtig für Russland?

Russland ist Weltmeister im Export von Atomkraftwerken – das staatseigene Unternehmen Rosatom hat bislang 18 Nuklearreaktoren nach Europa verkauft; sie stehen in Finnland, Ungarn, Bulgarien, in der Slowakei und in Tschechien. Doch Russland liefert nicht nur Technik, sondern auch den Brennstoff. Für Putin ist Atomkraft ein Wachstumsmarkt: Russland besitzt 43 Prozent der weltweiten Kapazitäten zur Urananreicherung, und produziert rund ein Drittel des weltweiten Bestandes an Uranhexafluorid, einem Stoff, der zur Anreicherung benötigt wird. Diese Atomkraftwerke sind abhängig von russischen Lieferungen – und sollen es nach Putins Wunsch auch bleiben.

Rosatom ist mit etlichen europäischen Atomkraftdienstleistern verstrickt: Das in Deutschland ansässige Unternehmen NUKEM, das europaweit Atomkraftwerke stilllegt und Atommüll beseitigt, ist ein hundertprozentiges Rosatom-Tochterunternehmen. Die Firma Urenco in Gronau lieferte über 25 Jahre insgesamt 45.000 Tonnen abgereichertes Uran nach Russland – offiziell zur Wiederanreicherung, de facto aber zur Endlagerung. Die französische Atomindustrie, die bei weitem die größte aller EU-Länder ist, arbeitet auf allen Ebenen der Produktionskette eng mit Rosatom zusammen, von der Urangewinnung und der Abfallbehandlung bis hin zum Bau und Betrieb von Kraftwerken.

Report: Russia and the EU taxonomy

Report: Russia and the EU taxonomy

How russian companies lobbied for the EU taxonomy to include fossil gas & nuclear energy.

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Karte Rosatom

Ähnlich ist es beim Gas. 2021 exportierte Russland 155 Milliarden Kubikmeter Gas in die EU, das sind rund 45 Prozent aller Gasimporte in die Europäische Union. Der Wert dürfte sich auf über 40 Milliarden Euro belaufen. Auch hier ist es so, dass Russland nicht bloß das Gas liefert, sondern auch die Technologie in Form von Turbinen: Drei Viertel aller russischen Gasturbinenexporte gehen in Länder der EU.

Würde die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie Gas und Atomkraft berücksichtigen und - so ist es schließlich die bekundete Absicht - einen Boom bei den Energieträgern erzeugen, wäre Putin der große Gewinner. Durch einen solchen Ausbau der Gaskapazitäten könnte Russland jährlich 4 Milliarden Euro zusätzlich verdienen. Rosatom würde sich einen Anteil an den geschätzten 500 Milliarden potenzieller Investitionen in neue EU-Kernkraftkapazitäten sichern. 

Wie hat Russland die EU-Kommission beeinflusst?

Seit die Europäische Kommission im März 2018 ihren Aktionsplan für nachhaltige Finanzen veröffentlichte, haben russische Energieunternehmen EU-Kommissar:innen und hochrangige Beamt:innen entweder direkt oder über Tochtergesellschaften und Lobbygruppen mindestens 18 Mal getroffen, so der Bericht. Wer dort für wen lobbyierte, ist laut den Verfasser:innen des Berichtes nicht immer offenkundig gewesen. Die russischen Unternehmen Gazprom, Lukoil und Rosatom haben vor allem hinter den Kulissen ihren Einfluss geltend gemacht: Sie haben deutsche Subunternehmen vorgeschickt, die engen Arbeitsbeziehungen mit dem französischen Atomenergieunternehmen EDF instrumentalisiert und die Position im Lobbyismusverband BusinessEurope für Taxonomiegespräche im Sinne russischer Energiepolitik genutzt.

Selten sind die drei russischen Unternehmen unmittelbar und erkennbar in den Gesprächen aufgetreten, weswegen die Verfasser:innen des Berichts vom “Matrjoschka-Prinzip” sprechen – als Anspielung auf russische Puppen, die ineinander geschachtelt sind. Nichts davon ist verboten; doch der Vorgang zeigt auf, dass hinter der EU-Nachhaltigkeitstaxonomie Interessen stecken, die nichts mit dem Wunsch nach einer nachhaltigen Energiewirtschaft zu tun haben – sondern mit geopolitischen Interessen und sehr viel Geld.

So muss es nicht kommen: Voraussichtlich Anfang Juli stimmen die Abgeordneten im Plenum des EU-Parlaments darüber ab, ob Gas und Atomkraft in die Taxonomie aufgenommen werden; eine absolute Mehrheit kann den Entwurf der Kommission ablehnen. Wie dieser unsinnige Plan zustande gekommen ist, sollte den Parlamentarier:innen nicht egal sein.

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