Die Industrialisierung des Regenwalds
- Ein Artikel von Helge Holler
- Hintergrund
Im Nordosten Brasiliens, an der Grenze der Bundesstaaten Maranhão und Pará liegen unter einer dünnen Schicht Erde größten Eisenerzvorkommen der Welt: 18 Milliarden Tonnen. Dazu Kupfer, Mangan, Nickel und Zinn. Ein Rohstoffreichtum, zu verlockend, um ihn in der Erde zu lassen. Mit Hilfe ausländischer Geldgeber wie der Bundesregierung, der EU oder der Weltbank hat Brasilien die Region seit den Siebzigerjahren erschlossen. Die Erzmine Ferro Carajás ist das Herzstück des "Entwicklungsplans" für die Region.
Dort werden heute 110 Millionen Tonnen Eisenerz pro Jahr gefördert, wie die Betreibergesellschaft Vale stolz verkündet – über 300.000 Tonnen pro Tag. Das meiste davon wird direkt exportiert, hauptsächlich nach China. Dennoch wird auch etwas Eisenerz direkt im Land verarbeitet.
Um die Mine herum haben sich Eisenhütten mit über 40 Hochöfen angesiedelt, die daraus Roheisen herstellen – wiederum hauptsächlich für den Export, in diesem Fall in die USA. Was diese Eisenhütten von anderen unterscheidet ist jedoch die Tatsache, dass hier nicht Kokskohle zur Verhüttung verwendet wird wie heutzutage fast überall sonst auf der Welt. Es ist Holzkohle.
Sklavenarbeit in illegalen Köhlercamps
Dutzende Köhlercamps gibt es in der Region, in denen Urwaldholz zu Holzkohle umgewandelt wird. Wie große, qualmende Bienenstöcke stehen dort dicht an dicht die halbrunden Meiler, in denen das Holz vor sich hinkokelt. Meist in wenigen Tagen illegal an unzugänglichen Orten errichtet, haben die brasilianischen Behörden es schwer, diese Art Raubbau zu verhindern. Nicht selten dringen die Köhler auch in Naturschutzgebiete oder Indianerreservate vor. Die Arbeiter selbst trifft dabei die geringste Schuld: Sie werden oft weit entfernt angeheuert, über hunderte Kilometer in die abgelegene Region gebracht – wo ihnen eröffnet wird, sie schuldeten nun für den Transport exorbitante Summen, die sie erstmal abarbeiten müssten. Mehr als 2.700 Menschen hat die brasilianische Regierung zwischen 2003 und 2011 aus solchen sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen in Köhlereien befreit. Kirchliche Organisationen schätzen jedoch, dass noch zehnmal so viele Menschen in ähnlichen Verhältnissen arbeiten.
Holzkohle aus Raubbau
Bei der Verhüttung von Eisen machen die Kosten für den Brennstoff bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten aus. Daher beziehen die Eisenhütten wo immer möglich den billigsten Brennstoff – und das ist Holzkohle aus Raubbau, hergestellt von Tagelöhnern und Sklaven. Zwar gibt es inzwischen Programme zur Wiederaufforstung speziell zur Belieferung der Kohlemanufakturen. Die Fichten- und Eukalyptusplantagen, die hierfür angelegt werden, können es jedoch in keiner Beziehung mit dem artenreichen Urwald aufnehmen, der immer noch die Hauptquelle für Holz in der Region ist. Erst recht nicht mit den Kosten: das Plantagenholz ist mehr als zehnmal so teuer wie das gestohlene aus dem Regenwald.
Mit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 stornierten vor allem US-amerikanische Abnehmer des Roheisens ihre Verträge mit den Hüttenwerken. Es folgte ein Preisverfall für Roheisen von 40 Prozent und etliche Werke mussten monatelang kurzarbeiten oder ganz schließen. Der Überlebenskampf der Hüttenbetriebe bedeutete eine Atempause für den Urwald. Eine kurze allerdings. Inzwischen ziehen die Preise wieder an, es wird wieder mehr verhüttet und geköhlert.
Genaue Zahlen, wie viel Urwald auf diese Weise schon in Rauch aufgegangen ist, kann niemand liefern, denn nach Abholzung und Produktion der Holzkohle wird das Land meist als Rinderweide oder Sojafeld weitergenutzt. Klar ist aber, dass für einen Kubikmeter Roheisen rund 16,7 Kubikmeter Holzkohle gebraucht werden. Und dafür wiederum gut 33 Kubikmeter Holz. Für einen einzelnen mittelgroßen Eisenhersteller im Großraum Carajás errechnete die brasilianische Umweltbehörde IBAMA daher innerhalb von vier Jahren eine illegale Abholzung von 37.000 Hektar.
Nach Greenpeace-Protest: Neues Überwachungssystem für Holzkohle
Nachdem Greenpeace im Frühjahr 2012 zuerst eine Studie über die Verbindungen der Eisenindustrie zu Abholzung und Sklavenarbeit veröffentlich und dann mehrere Tage lang gegen das Verladen von Roheisen im Hafen von São Luis protestiert hatte, erklärten sich die Roheisenhersteller sowie die Provinzregierung von Maranhão bereit, über die Probleme zu reden.
Im August 2012 verpflichteten sich die Eisenhersteller im Bundesstaat Maranhão, ein Überwachungssystem für die Holzkohle auszuarbeiten und umzusetzen. Urwaldzerstörung und Sklavenarbeit im Produktionsprozess sollen endlich eliminiert werden. Jetzt wird es darauf ankommen sicherzustellen, dass auch die Hersteller im benachbarten Pará sich auf ein solches System einlassen, damit nicht illegale Holzkohle einfach über die Provinzgrenze verschoben wird. Und selbstverständlich darauf, dass die Hersteller die eingegangene Verpflichtung auch einhalten.
(Autor: Helge Holler)