Mehr als Holz – Warum wir ein starkes Bundeswaldgesetz brauchen
- Ein Artikel von Miryam Nadkarni
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Erschreckendes Ergebnis: Wälder in Deutschland stoßen inzwischen mehr klimaschädliches CO2 aus als sie speichern. Helfen kann ein starkes Bundeswaldgesetz!
Wälder ziehen CO2 aus der Luft und speichern es als Kohlenstoff. Diese Annahme ist für uns essentiell, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen und auch ein wesentlicher Teil der Strategie der Bundesregierung, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Umso alarmierender ist die Erkenntnis der neuesten Bundeswaldinventur, die zeigt, dass Wälder in Deutschland keine CO2-Senke mehr, sondern im Gegenteil inzwischen sogar zur CO2-Quelle geworden sind. Die Bundeswaldinventur wird vom Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben, ist die vierte ihrer Art und untersucht alle zehn Jahre den Zustand des Waldes in Deutschland.
Bis 2017 hat sich der Baumbestand laut Inventur in deutschen Wäldern stets erhöht – und damit auch seine Senkenleistung. Doch dieser Trend hat sich aufgrund des massiven Nadelwaldsterbens der vergangenen Dürre-, Waldbrand- und Borkenkäferjahre nun umgekehrt – und die Wälder haben seit 2017 mehr CO2 abgegeben als gespeichert. Denn im Gegensatz zu Laubmischwäldern sind die von der Forstwirtschaft künstlich angelegten Fichten- und Kiefernwälder den zunehmenden Extremwettern und Schädlingsbefall nicht gewachsen. Das heißt: Auch in Zukunft werden diese Nadelwälder weiter sterben und verstärkt CO2 abgeben. Und dies ist nicht die einzige schlechte Nachricht aus dem Wald in Deutschland dieses Jahr: Die aktuelle Waldzustandserhebung besagt, dass nur noch jeder fünfte Baum gesund ist.
Die Lösung bringt Dorothee Epperlein, Waldexpertin bei Greenpeace, auf den Punkt: “Wir brauchen eine Revolution der Forstindustrie: Mehr alte, natürliche Wälder müssen vor der Forstindustrie geschützt werden, damit sie robuster gegenüber den Auswirkungen der Klimakrise werden und langfristig CO2 speichern können.” Denn alte Bäume nehmen mehr CO₂ auf als junge, weil sie größer und massiver sind und dadurch mehr Blattwerk und Holzmasse haben, um CO₂ zu binden. Auch baut sich in alten Wäldern eine fruchtbare Bodenschicht (Humus) auf, die Kohlenstoff speichert.
Doch wen macht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir allein für die schlechte Bilanz der Bundeswaldinventur verantwortlich? “Durch die enormen, klimabedingten Schäden gibt der Wald in Deutschland inzwischen mehr Kohlenstoff ab, als er aufnehmen kann”, sagte er bei der Vorstellung. Diese Sichtweise ist Epperlein zu einseitig: “Das Waldsterben liegt nicht nur an der Klimakrise, sondern vor allem an der intensiven Forstwirtschaft. Sie hat unsere natürlichen Laubmischwälder in den letzen Jahrhunderten zu Monokulturen umgebaut und damit dermaßen geschwächt, dass das Waldsterben ungebremst voranschreiten kann. Cem Özdemir muss Konsequenzen aus seiner eigenen Veröffentlichung ziehen und ein starkes Bundeswaldgesetz schaffen, das den Schutz des Waldes über seine wirtschaftliche Nutzung stellt.”
Özdemir enttäuscht mit schwachem Gesetzesentwurf
Das Landwirtschaftsministerium hat unter der Federführung von Minister Cem Özdemir beschlossen, das aus dem Jahr 1975 stammende Bundeswaldgesetz zu erneuern, wie auch im Koalitionsvertrag angekündigt. Doch der im August 2024 bekannt gewordene Entwurf des neuen Bundeswaldgesetzes ist für Umweltverbände, gelinde gesagt, eine Enttäuschung: Er schützt den Waldboden nicht ausreichend, er verbietet Kahlschläge nicht wirksam und er legt nicht genügend Wert auf den Erhalt alter Bäume und Totholz im Wald. Grundsätzlich stellt er den Waldschutz auf die gleiche Ebene wie die Forstwirtschaft. Dabei müsse der Schutz wegen des verheerenden Zustands der Wälder in Deutschland eigentlich wichtiger sein.
"Dieser Entwurf bleibt meilenweit hinter dem zurück, was zum Schutz der deutschen Wälder nötig ist. Fast 50 Jahre lang hatte die Forstindustrie einen Freifahrtschein, den Wald zu stark zu bewirtschaften und beispielsweise ohne Ende Fichtenmonokulturen zu pflanzen, um möglichst schnell viel Geld zu verdienen. Das Resultat ist, dass wir überall sterbende Wälder sehen“, sagt Greenpeace-Waldexpertin Dorothea Epperlein. „Der Entwurf des neuen Bundeswaldgesetzes würde diesen Freifahrtschein verlängern – auf Kosten aller Menschen, denn wir brauchen gesunde, natürliche Wälder, um CO2 zu speichern und die Klima- und Artenkrise in den Griff zu bekommen.“
Entwurf im Widerspruch zum Klimagesetz und Nature Restoration Law
Dabei hat sich Deutschland vertraglich dazu verpflichtet, mehr für den Waldschutz zu tun. Die europäischen Staaten haben vor vielen Jahren schon erkannt, dass Wohlstand, Freiheit und Sicherheit ihrer Bürger:innen davon abhängt, dass das Klima und unsere natürliche Umwelt stabil bleiben. Deswegen sieht das in Deutschland 2019 verabschiedete Klimagesetz vor, dass Wälder als CO2-Speicher stärker geschützt werden müssen. Das kürzlich verabschiedete EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur besagt, dass bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresgebiete der EU renaturiert werden müssen. Dazu gehört auch, dass Kiefern- und Fichtenmonokulturen wieder in Laubmischwälder umgebaut und die vorhandenen Laub- und Laubmischwälder stärker geschützt werden. Ohne ein starkes Waldgesetz, das den Schutz der Wälder priorisiert und konkrete Maßnahmen zum Schutz und für den natürlichen Klimaschutz garantiert, können diese Ziele, von denen unsere Zukunft abhängt, nicht umgesetzt werden.
Wie können wir das Bundeswaldgesetz verbessern?
Der Entwurf ist bisher nicht in Stein gemeißelt. Denn in der Regel beginnt mit der Veröffentlichung des Entwurfs die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Das bedeutet, dass Verbände wie Greenpeace ihre Kritik und Verbesserungsvorschläge einfließen lassen und Druck ausüben, um das Gesetz im Sinne des Naturschutzes zu stärken.
Ein starkes Bundeswaldgesetz - jetzt
Die Waldzerstörung ist ganz legal, denn das aktuelle Bundeswaldgesetz regelt vor allem die Forstwirtschaft und vernachlässigt den Schutz des Waldes. Dieses Jahr, nach fast 50 Jahren, will die Bundesregierung das Waldgesetz endlich auffrischen. Hier sind zehn Punkte, an denen wir ein Waldgesetz erkennen, das den Wald tatsächlich schützt: (Langfassung hier).
- Wald ist mehr als Holz: Das Gesetz muss mit klaren Zielen und Vorschriften sicherstellen, dass die Erhaltung und Förderung gesunder und lebendiger Waldökosysteme die Grundlage für die zukünftige forstwirtschaftliche Nutzung bildet.
- Der Wald ist eine wichtige Lebensgrundlage für uns alle: Angesichts der zunehmenden Klimakrise muss die ökologische Verantwortung von Besitz neu definiert werden. Das heißt, Waldbesitzende sollten den Wald nur so bewirtschaften dürfen, dass er seine Klimafunktionen (z.B. CO2 Speicherung) nicht verliert. Staatswälder sollten dabei ein Vorbild sein und besonders viel für den Schutz der Artenvielfalt, den Klimaschutz und eine bessere Anpassung an das Klima auf der Basis von natürlichen Ökosystemen tun.
- Das neue Gesetz muss mit bestehenden Gesetzen übereinstimmen. Um die Ziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen, muss das Wachstum naturnaher Wälder, besonders in schützenswerten Gebieten, gewährleistet werden. In Anpassung an das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur müssen Nadelbaumplantagen nach und nach wieder in Laubmischwälder umgewandelt werden.
- Wälder sind im “überragenden öffentlichen Interesse”: Wertvolle Laubwälder dürfen nicht weiter für Infrastrukturprojekte geopfert werden, auch nicht für Windenergie, Bahntrassen und vor allem nicht für weitere Autobahnen.
- Die Verbrennung der Wälder muss deutlich eingeschränkt werden: Der Druck auf die Wälder muss reduziert werden, auch indem die industrielle Holzverbrennung nicht weiter toleriert wird, da sonst die Klimaziele noch stärker verfehlt werden.
- Waldschutz jetzt: Mindestens 15 Prozent der Waldfläche müssen dauerhaft vor industriellen Eingriffen, beispielsweise durch die intensive Forstwirtschaft, geschützt und der natürlichen Entwicklung überlassen werden.
Waldschutz jetzt!
Greenpeace überreicht Petition an Özdemir
Martin Kaiser, Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace, überreicht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir am 26.4. eine Petition für mehr Waldschutz. Über 80.000 Menschen haben unterschrieben und große Hoffnung auf Veränderung, denn: Nachdem das Bundeswaldgesetz 50 Jahre lang vor allem den Interessen der intensiven, konventionellen Forstwirtschaft gedient hat, wird es in diesem Jahr erneuert. Cem Özdemir hat somit jetzt die Möglichkeit, aus dem bisherigen “Abholz-Gesetz” ein “Waldschutzgesetz” zu machen. Jetzt ist das Landwirtschaftsministerium am Zug!
Fragen zum Bundeswaldgesetz
Was ist das Bundeswaldgesetz?
Das aktuelle Bundeswaldgesetz (BWaldG) stammt aus dem Jahr 1975 und genauso veraltet ist seine Sicht auf den Wald. Theoretisch geht es um den Erhalt der Wälder und ihrer Funktionen. In der Praxis steht aber die Wirtschaftlichkeit im Mittelpunkt, das heißt der kurzfristige Profit mit Holz als Rohstoff. Durch das Gesetz konnte die konventionelle Forstwirtschaft Wälder ausbeuten und klima- und naturschädliche Fichten- und Kiefern-Monokulturen in großem Stil anpflanzen.
Was hat intensive Forstwirtschaft mit Waldsterben zu tun?
Die Forstwirtschaft hat inzwischen industriellen Züge angenommen: schwere Maschinen verdichten den Boden, Monokulturen stehen in schnurgeraden Reihen, es fehlt an Totholz und Habitatbäumen, Rückegassen zerschneiden die Fläche und das schützende Kronendach wird regelmäßig aufgerissen.
Die Auswirkung davon sind instabile, vertrocknete, schwächelnde Wälder. Das ist fatal, denn wir alle leben vom Wald und können nicht auf das lebendige Ökosystem mit seinen vielen Leistungen (Luftreinigung, Kühlung, CO2-Senke etc.) verzichten. Der Wald ist mehr als nur Holz.
Was haben Monokulturen mit Waldsterben zu tun?
Wie stellen Sie sich einen Märchenwald vor? Vermutlich hat er alte, knorrige Bäume, moosbewachsene Steine, Farne und Pilze. Er ist kühl, ruhig und grün. So sahen der Harz, die Sächsische Schweiz, der Schwarzwald vor Jahrhunderten aus. Laub- und Mischwälder sind die natürlichen Wälder Deutschlands, aber sie sind selten geworden. Die Forstindustrie hat sie nach und nach abgeholzt und in Kiefern- und Fichten-Plantagen umgewandelt. Diese Nadelbäume wachsen schneller als Laubbäume, können also schneller gefällt und wieder gepflanzt werden. Schneller Nachschub für unseren Holzhunger - aber zu welchem Preis?
Wie alle Monokulturen sind diese Plantagen anfällig für Krankheiten, Dürren, Insektenschäden und Brände. Auch die Laub- und Mischwälder leiden unter intensiver Forstwirtschaft. Laut des aktuellen Waldzustandsberichts haben nur 21 Prozent der Bäume in Deutschland noch gesunde Kronen. Das bedeutet also, dass vier von fünf Bäumen inzwischen geschädigt sind. Das liegt zum einen an der Klimakrise, aber viel mehr an der Tatsache, dass die Holzproduktion bei der Waldnutzung noch immer an erster Stelle steht.
Rechtsgutachten NRL BWaldG.pdf
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