
Tief verletzt – ein Blobfisch im Interview
Sie lachen über ihr Gesicht – und übersehen dabei, was wirklich zählt: Die Tiefsee. Frau Blob erzählt im Interview, wie sich Mobbing anfühlt – und was noch viel schlimmer ist.
- Ein Artikel von Andi Nolte
- Im Gespräch
Er ist der traurige Star unzähliger Memes, wurde 2013 zum „hässlichsten Tier der Welt“ gewählt und sieht aus wie ein schlecht gelaunter Pudding: Der Blobfisch. Doch wie empfinden Blobfische das? Wir haben mit Frau Blob einen Blobfisch zu Wort kommen lassen. Sie lebt in rund 1.000 Metern Tiefe im Südwestpazifik in kalter, dunkler Stille, doch exklusiv mit uns spricht sie, stellvertretend für ihre Art, über Vorurteile, verletzte Gefühle und eine viel größere Bedrohung als Spott und Lacher.
Frau Blob, danke, dass Sie sich Zeit nehmen. Fangen wir direkt an: Wie fühlt es sich an, das wohl berühmteste Tiefseegesicht des Internets zu sein?
Berühmt? (zögert) Wenn Sie darauf anspielen, dass ich dieses Jahr in Neuseeland zum Tier des Jahres gewählt wurde, dann ja, ich bin berühmt.
… Mit Verlaub, Frau Blob … nach unseren Recherchen zählt Ihre Art seit Jahren zu den hässlichsten Tieren der Welt
Oh, ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich habe in der Vergangenheit sicherlich ein paar ‘Auszeichnungen’ bekommen, die nicht gerade meine Schönheit widerspiegeln. Als ‘hässlichstes Tier der Welt’ wurde ich fast schon eine Internet-Ikone. Wenn ich an der Oberfläche bin, sehe ich halt aus, wie ich aussehe.
Sie wirken etwas … zerknautscht. Könnte man also sagen, dass Sie sich als Opfer der Umgebungsbedingungen sehen?
Ja, ganz genau. Es ist nicht so, dass ich absichtlich herumschwimme mit einem Gesicht, das aussieht wie ein schlecht gelungenes Soufflé. In der Tiefsee habe ich eine Form, die mir hilft, in dieser extremen Umgebung zu überleben. Aber an der Oberfläche? Da wird mein Körper nur zu einer Art „Gag“ für die Medien. So ist das Leben als Blobfisch – immer unter dem Scheinwerfer der Öffentlichkeit.
Also ist es für Sie mehr als nur ein bisschen Spott über Ihr Aussehen? Sie fühlen sich entwertet?
Natürlich. Ich habe keine starken Knochen, aber starke Gefühle! Ihr zieht mich durch eure Klatschblätter, weil ihr mich in einem unnatürlichen Zustand seht – an der Oberfläche, ohne den Druck der Tiefsee, der meinen Körper eigentlich in Form hält. Wenn ich bloß eine Witzfigur bin, nehmt ihr mich genauso wenig ernst wie meine Heimat, die Tiefsee. Damit werden wir aber zu etwas gemacht, was nicht so wertvoll ist wie die Oberflächenwelt. Die Leute denken nicht an unser Ökosystem, weil wir so tief unten auf der Erde leben. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist das genauso Mobbing wie die gemeinen Witze.
Sie meinen, es ist nicht nur Ihr Gesicht, das verspottet wird, sondern das ganze Ökosystem?
Ja. Das ist das eigentliche Problem. Die Menschen lachen über mich, das kann ich verkraften. Was ich nicht verkrafte: Dass ihr meine Heimat aufreißen wollt wie einen alten Teppich auf der Suche nach Kupfer und Kobalt. Tiefseebergbau nennt ihr das. Ich nenne es: Raubbau an dem letzten unberührten Lebensraum der Erde, meinem Zuhause.
Was genau befürchten Sie?
Stellen Sie sich vor, jemand fährt mit einem gigantischen Staubsauger durch Ihr Wohnzimmer, saugt Ihre Möbel, Nachbar:innen und den letzten Rest Gemütlichkeit weg – und nennt das dann Fortschritt. Genau so fühlt sich Tiefseebergbau für uns an. Wir haben keine Schutzgebiete mit Zäunen drumherum, keine Lobby mit Hochglanzbroschüren. Die Tiefsee bietet noch Millionen unentdeckte Geheimnisse. Ich kann Ihnen sagen, wenn Sie einige meiner Kolleg:innen kennen würden, würdet Ihr Menschen über so einen Quatsch wie Tiefseebergbau nicht nachdenken!
Sie sagen also, die Tiefsee wird gemobbt – genau wie Sie?
Exakt. Und dabei geht es ums Überleben. Ich als Blobfisch bin vielleicht ein Meme, aber die Tiefsee ist kein schlechter Witz. Wir Tiefseetiere sind keine Karikatur. Wir gehören zu einem faszinierenden, empfindlichen Lebensraum. Und wir verdienen Schutz!
Aber die Industrie sagt, sie brauchen die Rohstoffe für die Energiewende …
Klar, die Welt braucht die Energiewende – ich bin kein Technikfeind. Aber müssen diese Unternehmen dafür wirklich unsere Lebensräume zerstören, die älter sind als jedes Menschenreich? Könnt Ihr nicht erst einmal recyceln oder effizienter wirtschaften oder einfach mal weniger Zeug verbrauchen? Sogar bei uns fliegt inzwischen Euer Müll herum, eine Freundin fand eine Bierflasche im Marianengraben. Dabei ist der so tief! Das geht doch bestimmt besser!
Gibt es auch etwas, was Sie hoffnungsvoll stimmt?
Ich weiß, es gibt ein paar Menschen da oben, die uns sehen. Forschende und Umweltorganisationen, ich höre auch von einigen Politiker:innen mit Rückgrat. Außerdem hoffe ich auf die Menschen, die dieses Interview lesen werden. Wir in der Tiefsee wissen: Aus kleinen Bewegungen können große Wellen werden. Und diese Wellen wachsen – mit jeder Stimme, die sich für den Schutz unserer Heimat erhebt.
Letzte Frage: Wenn Sie den Menschen eine Nachricht mitgeben könnten – was wäre das?
Lacht ruhig weiter über mein Gesicht. Wenn Ihr aufhört, meine Heimat zu zerstören, kann ich mitlachen. Ein bisschen zerknautscht sehe ich ja wirklich aus … aber die Tiefsee ist ein unberührtes Paradies voller Wunder, sie ist unsere Heimat und wir brauchen sie. Wir bitten Euch Menschen, sie zu bewahren.