Bedrohte Schweinswale
Der Schweinswal ist der einzige heimische Wal an Deutschlands Küsten – und massiv bedroht. In der Ostsee kämpft er ums Überleben, die Schutzverpflichtungen werden nicht erfüllt.
- Hintergrund
Der Schweinswal ist der einzige heimische Wal an Deutschlands Küsten – und massiv bedroht. In der Ostsee kämpft er ums Überleben, die Schutzverpflichtungen werden nicht erfüllt.
Mit bis zu 1,90 Metern Länge und etwa 80 bis 90 Kilogramm Gewicht gehört der Schweinswal dennoch zu den kleinsten Walen. Er ist mit Delfinen eng verwandt. Bekannt ist er auch unter dem Namen “Kleiner Tümmler”. Je nach Verbreitungsgebiet können Schweinswale bis über 200 Meter tief tauchen. Zahnuntersuchungen zeigen, dass sie bis zu 25 Jahre alt werden können. Das älteste bekannte Tier ist derzeit 30 Jahre alt und lebt in einer Forschungsstation. In freier Wildbahn ist die Lebenserwartung der Schweinswale in Nord- und Ostsee aufgrund von negativen Umwelteinflüssen durch uns Menschen auf ihren Lebensraum stark gesunken.
Häufig schwimmen Schweinswale (engl. Harbour porpoise, lat. Phocoena phocoena) in kleinen Gruppen (zwei bis fünf Tiere), nur gelegentlich sind sie auch allein unterwegs. Sie sind eher scheu, machen selten Luftsprünge und reiten auch nicht auf den Bugwellen von Schiffen. Sie tauchen eher überraschend auf, lassen ein kurzes, prustendes Ausatmen vernehmen – und weg sind sie wieder. Im Frühjahr sind Schweinswale mit Jungtieren häufig vor Borkum (Riffgrund) anzutreffen, auch vor Wilhelmshaven tauchen die Tiere auf. Daher finden dort seit Jahren die "Wilhelmshavener Schweinswaltage" statt. Auf der Nordseeinsel Sylt lassen sich Schweinswale im Sommer vom Strand aus beobachten, mit Glück mischen sie sich sogar unter die Badenden.
Lebensraum und Anzahl
Schweinswale leben in den Küstengewässern des Nordatlantiks und Nordpazifiks sowie im Schwarzen Meer. Im Mittelmeer gibt es wahrscheinlich keinen eigenen Bestand, Sichtungen sind hier selten. Nach Schätzung liegen die Bestandszahlen in der deutschen und dänischen Nordsee etwa zwischen 23.000 und 51.000 Tieren (letzte Zählung 2022/SCANS VI). In der südwestlichen Ostsee nahe der deutschen Küste liegen die Schätzungen in drei Zählgebieten je nach Gebiet bei 1.100 bis zu 5.000 Schweinswalen. Für die zentrale Ostsee liegt der genetisch eigene Bestand nur noch etwa bei 500 Individuen. Von diesen sind nur rund 200 Tiere geschlechtsreif und können sich vermehren. Bei einem geschätzten Fischerei-Beifang von nur 7 Schweinswalen pro Jahr ist dieser genetisch eigene Bestand massiv gefährdet. Die Weltnaturschutzunion IUCN stuft deshalb diese Ostsee-Population des Schweinswals als "vom Aussterben bedroht" ein.
Zum Schutz der kleinen Tümmler
Greenpeace fordert:
- ein Netzwerk von wirksamen Meeresschutzgebieten, ohne Nutzungen wie Fischerei, Öl-/Gas- sowie Sand- und Kies-Förderung oder Windparks
- Einsatz selektiver Fischereimethoden und eine Umstellung von Stellnetzen auf weniger gefährliche Fischereitechniken
- Maßnahmen gegen die fortschreitende Verschmutzung der Meere
- Tempolimits für den Schiffsverkehr und lärmverminderte Bautechniken beim Bau von Windkraft- und weiteren Industrieanlagen im Meer.
Beifang in der Fischerei
Gefahrenquelle Nr. 1 für Schweinswale sind Stellnetze. Sie werden am Meeresboden verankert und an der oberen Netzkante durch Bojen aufgespannt. Die Wale erkennen die dünnen reißfesten Nylonfasern nicht, verfangen sich in den Maschen und ertrinken. In der Ostsee stammt wahrscheinlich mehr als die Hälfte aller Totfunde aus Beifängen der Fischerei. Obwohl die Fischerei die größte Gefährdung für Schweinswale ist, gibt es bis heute immer noch keine gesicherten Daten aus der deutschen Stellnetzfischerei. Alleine in der schwedischen und dänischen Stellnetzfischerei sterben in der Beltsee pro Jahr etwa 900 Schweinswale - maximal dürften es aber nur 24 Tiere pro Jahr sein. Die geschätzte Zahl der Schweinswale dort schrumpfte von etwa 40.000 Tieren im Jahr 2016 auf nur noch 14.000 Tiere im Jahr 2022.
Deshalb braucht es zumindest in Schutzgebieten ein vollständiges Verbot der Stellnetzfischerei. Nur saisonale Verbote während bestimmter Monate sind unzureichend. Um den Einsatz von Stellnetzen nachhaltiger für Schweinswale zu gestalten, wird seit Jahren an verschiedenen möglichen Lösungen gearbeitet.
Ein Ansatz ist die akustische Warnung und Vertreibung durch sogenannte Pinger oder PAL-Systeme.
Pinger (ADDs, Acoustic Deterrent Devices) werden in Netzen angebracht und erzeugen laute Störgeräusche, welche die Schweinswale weiträumig von den Netzen vertreiben. Als “Nebeneffekt” führen Pinger aber auch zur Reduzierung oder sogar Einstellung der Echo-Orientierungslaute der Tiere - und verringern so ihre Orientierungs- und Jagdfähigkeit.
Eine neuere Technik sind die sogenannten PAL-Systeme (Porpoise ALert): Diese akustischen Warngeräte senden schweinswalähnliche Klicklaute aus. Sie sollen die Tiere auf eine mögliche Gefahr aufmerksam machen und so ihre Echo-Ortungssignale sowie die Aufmerksamkeit der Schweinswale verstärken. Dennoch können die Tiere bis an die Netze geraten und sich an die Signale gewöhnen. Ob der Einsatz von PAL-Systemen tatsächlich zu einer verlässlichen Verringerung von Beifang führt, ist bisher wissenschaftlich nicht eindeutig belegt. Weitere Forschung ist nötig. In Schutzgebieten sollten diese Techniken aufgrund ihrer vergrämenden Wirkung nicht eingesetzt werden – genauso wenig, wie Fischerei an sich.
Eine weiterer Lösungsversuch sind präparierte Netze: Stellnetze werden ergänzt mit Acrylperlen, welche die akustische Sichtbarkeit für Schweinswale erhöhen sollen. Wie wirksam die modifizierten Netze sind und wie die Möglichkeiten einer industriellen Fertigung sind, soll weiter untersucht werden.
Gift und Lärm im Meer
Meeressäugetiere sind hohen Schadstoffbelastungen ausgesetzt, die vor allem aus Landwirtschaft und Industrie stammen. Die Gifte gelangen in die Meere, reichern sich in der Nahrungskette an und führen zu besorgniserregend hohen Konzentrationen im Fettgewebe und der Muttermilch bei den Tieren. Schwermetalle und Giftstoffe wie Quecksilberverbindungen, halogenierte Kohlenwasserstoffe (PCB) oder die "Ewigkeits-Chemikalien" PFAS können die Gesundheit der Schweinswale beeinträchtigen.
Auch Plastikteile können für die Meeressäuger eine Gefahr darstellen, wenn sie in den Verdauungstrakt gelangen. Die langfristigen Auswirkungen von Mikro- und Nanoplastik sind dabei noch nicht absehbar, weil dies bisher zu wenig oder nicht erforscht wurde.
Schweinswale sind zum Überleben auf ihren hochentwickelten Gehörsinn angewiesen. Häufiger Lärm von Schiffsmotoren, Bohrinseln, Unterwassersprengungen, Schiffs- und Erkundungssonaren und der Bau von Industrieanlagen belasten oder schädigen das empfindliche Gehör der Schweinswale und können zu Orientierungs- und Hörverlust führen. Eine Explosion auf einer Gasbohrplattform im Asowschen Meer im August 1982 führte beispielsweise zum Tod von über 2.000 Schweinswalen. Unter Wasser sind einige Lärmquellen für die Tiere noch über weite Strecken zu hören. Dauerhafte Lärmstörungen können die Überlebensfähigkeit der Schweinswale beeinträchtigen. Lärm ist die Umweltbelastung, welche durch sofortige Maßnahmen schnell reduziert werden könnte.
Forschung und Monitoring mit "Ohren im Meer"
Um Schweinswale wirksam zu schützen, müssen wir wissen, wo sie sich aufhalten, wann sie aktiv sind und welchen Gefahren sie ausgesetzt sind. Da die Tiere meist unter Wasser bleiben und schwer zu beobachten sind, spielen Unterwasser-Mikrofone (Hydrophone) eine zentrale Rolle. Sie erfassen die typischen Klicklaute der Schweinswale, mit denen sich die Tiere orientieren und kommunizieren. So können Forscher ihre Präsenz auch bei Nacht oder schlechtem Wetter zuverlässig nachweisen. Dieses akustische Monitoring liefert entscheidende Daten für Schutzmaßnahmen – etwa zur Ausweisung von Ruhezonen, zur Regulierung von Fischerei oder zur Reduktion von Unterwasserlärm. Ohne diese „Ohren im Meer“ bleibt der Schweinswal oft unsichtbar – und nicht ausreichend geschützt.
Schutzgebiete sind ein Anfang
Die Ausweisung von Schutzgebieten speziell für Meeressäuger sind für EU-Mitgliedsstaaten im Rahmen des "Natura 2000"-Schutzgebietsnetzwerkes verpflichtend. Im Jahr 1999 hatte das Land Schleswig-Holstein in der Nordsee westlich vor Sylt und Amrum bis zur 12-Seemeilen-Grenze ein Kleinwal-Schutzgebiet eingerichtet. Dieses über 1.500 km² große Areal ist ein wichtiges Aufzuchtgebiet der Schweinswale. Für die Ostsee gilt seit 2022 durch eine EU-Verordnung ein saisonales Verbot für Stellnetzfischerei in den deutschen Ostsee-Schutzgebieten (vom 1.November bis 31.Januar). Schweinswale halten sich vermehrt in diesen Regionen auf. Es gibt dort flache Küstengewässer mit Sandbänken und Riffen, welche die Jagd auf Beutefische erleichtern. Zur Hauptnahrung der Schweinswale gehören Fischarten wie Hering, Sandaal und Grundeln. Es wird auch vermutet, dass Schweinswale diese Regionen zur Geburt und Aufzucht ihrer Jungen nutzen. Im Vergleich zu stärker frequentierten Seegebieten sind Teile der Pommerschen Bucht und der Greifswalder Bodden weniger durch Lärm und menschliche Aktivitäten belastet, was die Attraktivität für Schweinswale erhöht. Statt nur saisonal sollte die Stellnetzfischerei in Schutzgebieten ganzjährig verboten werden, um wirklich effektiv zu sein. Ein nur 3-Monatiges Verbot ist nicht ausreichend.
Es fehlt an der Umsetzung: Schutz nur auf dem Papier
Der Schweinswal steht in allen europäischen Staaten unter Naturschutz und ist in der FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat) der EU unter den Arten aufgeführt, "für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen". Zudem verpflichtet das Kleinwalschutzabkommen ASCOBANS (Abkommen zur Erhaltung von Kleinwalen in Ost- und Nordsee) von 1994 die unterzeichnenden Staaten, Maßnahmen gegen den Fischerei-Beifang von Schweinswalen zu ergreifen und Schutzgebiete einzurichten.
Doch die Wirklichkeit hinkt dem umfassenden Schutz auf Papier hinterher. An der deutschen Ostseeküste wurden z.B. im Jahr 2008 etwa 140 Schweinswal-Kadaver geborgen. Die Narben auf ihren Körpern verraten, dass zwischen 47 und 86 Prozent von ihnen Opfer der Fischerei sind. Im Kattegat und der Beltsee (Teil der westlichen Ostsee) wurden 2014 zwischen 165 und 263 Schweinswale durch Beifang in der Fischerei getötet.
Die bisherigen Schutzmaßnahmen erscheinen vor diesem Hintergrund geradezu wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwar existiert seit 2002 im Rahmen von ASCOBANS ein 2009 überarbeiteter besonderer Plan für Schutzmaßnahmen ("Recovery Plan") für den Ostsee-Schweinswal (Jastarnia Plan), der z.B. in besonderen Gebieten die Umstellung von Treib- und Stellnetzen auf Langleinen, angepassten Fischfallen und Reusen fordert. Eine Umsetzung steht jedoch noch weitgehend aus.
Spannende Fakten über den Schweinswal
1. Einziger heimischer Wal Deutschlands
Der Schweinswal ist die einzige regelmäßig in deutschen Gewässern vorkommende Walart, die sich dort auch fortpflanzt und Jungtiere aufzieht.
2. Kleinster Wal Europas
Der Schweinswal ist mit einer Körperlänge von meistens 1,6 Meter (bis zu etwa 1,9 Meter) einer der kleinsten Zahnwale weltweit – und der kleinste Wal in europäischen Gewässern.
3. Genetisch unterschiedliche Populationen an Deutschlands Küsten
In deutschen Gewässern gibt es genetisch unterschiedliche Populationen: eine in der Nordsee, eine in der westlichen Ostsee und eine in der zentralen Ostsee. Besonders die Population in der zentralen Ostsee ist stark gefährdet (nur etwa 500 Tiere).
4. Beifang in Stellnetzen
Schweinswale sind häufige Beifang-Opfer in Stellnetzen. Sie verfangen sich darin und ertrinken, da sie zum Atmen regelmäßig auftauchen müssen.
5. Einzelgänger mit wenig Sozialkontakten
Anders als viele Delfinarten leben Schweinswale eher in kleinen Gruppen oder auch mal alleine. Ihre sozialen Interaktionen sind eher kurz.
6. Anzeigeart für die Meeresgesundheit
Als empfindliche Art gegenüber Umweltveränderungen können Schweinswale an unseren Küsten als Anzeiger („Bioindikatoren“) für die ökologische Gesundheit des Meereslebensraumes gesehen werden.