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Ökologischer Milchviehbetrieb in Deutschland
© Fred Dott / Greenpeace

Der Preis der Milchproduktion

Der Blick auf die Preisschilder irritiert. Klar, wegen der Inflation, aber nicht nur deswegen: Liegt doch der Preis für konventionelle Markenmilch wie Hansano oder Landliebe gleichauf mit Bio-Milch – teils sogar darüber. Deutlich günstiger ist meist nur die Eigenmarke der Supermärkte. Doch warum ist die Preissteigerung bei konventioneller Milch höher im Vergleich zur ökologisch hergestellten? Naheliegend ist der Gedanke, dass konventionelle Produkte in der Herstellung mehr Energie verschlingen, die nun mal der Treiber der Inflation ist. Doch der Grund liegt woanders. Tobias Riedl, Experte für Landwirtschaft bei Greenpeace, erzählt im Interview, wie sich der derzeitige Preis zusammensetzt, warum wir weniger Milchprodukte konsumieren, aber doch nicht auf Rinder verzichten sollten.

Tobias Riedl

Tobias Riedl hat vor einigen Jahren bereits für Greenpeace gearbeitet – bis er sich entschloss, seinen Lebensmittelpunkt aufs Land zu verlegen. Er leitet eine Bio-Käserei und ist nun halbtags wieder bei Greenpeace.

Greenpeace: Konventionelle Milch ist sprunghaft teurer geworden. Bio-Milch hingegen nicht. Woran liegt das?

Tobias Riedl: Nicht nur Milch kostet mehr, auch andere konventionelle Milchprodukte wie Käse sind im Supermarkt viel teurer geworden. Das liegt in erster Linie daran, dass die Bäuer:innen mehr Geld bekommen: Die Milchpreise, die Molkereien den Höfen zahlen, sind so hoch wie nie. In manchen Regionen bekommen konventionelle Landwirt:innen fast das gleiche bezahlt wie Bio-Höfe – die etwa 60 Cent pro Liter erhalten. 

Zahlen die Molkereien den Landwirt:innen mehr, um damit die durch die Energiekrise gestiegenen Produktionskosten auszugleichen?

Nein, der Preis, den Molkereien ihren Bäuer:innen für die Milch bezahlen, orientiert sich nicht an den  Kosten auf dem Hof. Das hat in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass viele Bäuer:innen nicht einmal ihre Produktionskosten decken konnten. Die Milchpreise der Bauern entstehen vielmehr durch die Marktsituation und die hat sich verändert: Deutschland exportiert enorm viele Milchprodukte. Daher sind die Weltmarktpreise ein wichtiger Faktor für die Preisbildung – und die Preise auf dem Weltmarkt steigen. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Zum einen ist in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach Milchprodukten weltweit gestiegen – etwa in asiatischen Ländern. Die Molkereien in Deutschland haben ihr Exportgeschäft ausgebaut und liefern haltbare Produkte wie Milchpulver. 

Zum anderen ist in anderen Ländern, die viel Milch für den weltweiten Markt herstellen, die Produktion zurückgegangen. Oftmals spielt Futterknappheit aufgrund von Dürre eine große Rolle. Durch das geringere Futterangebot haben die Kühe weniger Milch gegeben, dadurch fiel der Export geringer aus – was wiederum zu höheren Preisen führte. 

Hinzu kommt, dass durch die Inflation in Deutschland Verbraucher:innen wieder eher zu konventionellen Produkten greifen. Dabei ist in Deutschland in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach konventioneller Milch zurückgegangen und somit auch deren Produktion zugunsten von Bio-Milch. Nun aber kaufen Verbraucher:innen eher wieder konventionelle Milch, weil sie denken, dass diese günstiger ist. Auch das erhöht die Nachfrage und somit die Preise.

 

Kühe auf einer vertrockneten Weide stehen an einem Futtertrog

Vertrocknete Weide auf einem Bio-Hof in Deutschland, Sommer 2022

Aber dennoch schlagen sich die Energiepreise auch in der landwirtschaftlichen Produktion nieder. Die Herstellung von Dünger etwa beansprucht sehr viel Energie. Sind Bio- und konventionelle Bauern von den steigenden Preisen gleichermaßen betroffen?

Bio-Betriebe haben auch höhere Kosten – sie bezahlen ja den gleichen Preis für Diesel und Strom. Da sie aber keinen Mineraldünger ausbringen, steigen die Kosten nicht im gleichen Maße wie bei den konventionellen Betrieben. Bio-Betriebe sind oftmals Low-Input-Betriebe: Gerade in der Milchviehhaltung wird hauptsächlich raufutterbasiert – also Gras – gefüttert und wenig Kraftfutter. In der konventionellen Landwirtschaft ist es genau umgekehrt. Da bestehen nur noch etwa 30 Prozent der Futterration aus Grasprodukten. Der Rest ist Maissilage und Getreide. Diese Produkte werden mit starkem Input angebaut wie dem Einsatz von Maschinen und Dünger. Und das kostet gerade viel.

Aber wie gesagt, ob Tierfutter knapp wird oder Strompreise steigen, spielt für den Milchpreis, den  Bäuer:innen bekommen, keine Rolle. Haben Erzeuger:innen höhere Kosten aufgrund hoher Energiekosten oder auch guten Tierhaltungsbedingungen, tragen sie diese zunächst selbst.

Bei Bio-Molkereien ist es teils anders. Sie zahlen einen Extra-Bonus etwa an Landwirt:innen, die nachweislich bestimmte Tierwohlaspekte einhalten. Sie müssen dann zum Beispiel nachweisen, dass sie die Kälber künftig selbst aufziehen und nicht in die Niederlande geben. 

„Kälber sind die dunkle Seite der Milchwirtschaft“

Was passiert denn mit den Kälbern in den Niederlanden?

Kälber sind die dunkle Seite der Milchwirtschaft. Damit Kühe ununterbrochen Milch geben, müssen sie jedes Jahr ein Kalb gebären. Dadurch fallen so viele männliche Kälber an, dass sie vom Markt gar nicht aufgenommen werden können. Sie werden in die Mast gesteckt, meist sind sie dafür jedoch gar nicht geeignet, weil sie von Milchkühen stammen. Für diese Tiere gibt es kaum Geld. Das führt dazu, dass nur wenig Mühe und Geld in die Aufzucht gesteckt wird. 10 bis 20 Prozent der Kälber überleben nicht. 

Eine große Anzahl der Kälber geht 14 Tage nach ihrer Geburt in die Niederlande, weil sie dort mit niedrigen Standards extrem effizient – aus wirtschaftlicher Sicht – gemästet werden: Sie sehen kein Tageslicht, stehen auf Vollspaltenböden, erhalten prophylaktisch Antibiotika. Was zählt, ist, die Tiere kostensparend ein paar Monate zu mästen, da die Fleischausbeute gering ist. Zu Kalbfleisch verarbeitet, landen die Tiere dann wieder bei den Verbraucher:innen in Deutschland.

Wenn die Kälber innerhalb Deutschlands verkauft werden, müssen sie nach der Geburt ab dem Jahr 2023 vier Wochen auf dem Hof bleiben. Insgesamt muss man aber sagen, dass die konventionellen Haltungsbedingungen in der Kälbermast auch in Deutschland nur unwesentlich besser sind als in den Niederlanden. 

Stoßen auch Bio-Betriebe ihre Kälber so ab?

Teils ja. Wobei es in der Bio-Landwirtschaft mittlerweile Projekte gibt wie die Brudertier-Initiative oder andere regionale Vermarktungsstrukturen, die die Kälber aufziehen und später als Jungrinder oder Mastbullen lokal verkaufen. Das bedeutet für die Landwirt:innen natürlich mehr Aufwand, der sich im Supermarkt in höheren Preisen niederschlägt.

Woher kommt das Futter für die Milchkühe?

Vieles wird in Deutschland produziert – 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird in Deutschland für den Anbau von Tiernahrung bereitgestellt. Die Tierhaltung belegt enorme Ackerflächen, die dann nicht für den Anbau von Lebensmitteln wie Kartoffeln oder Getreide für Brot genutzt werden können. Bei Tieren mit hohen Milchleistungen landet zudem oft importiertes Soja als Eiweißfutter im Trog.

Baking Bread with Animal-Feed Wheat in Germany

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Gibt es keine Weidehaltung?

Kaum. Weidehaltung ist im konventionellen Bereich rückläufig und spielt eine untergeordnete Rolle. In der Bio-Landwirtschaft hingegen ist Weidehaltung Pflicht. Im Winter stehen die Tiere drinnen, können aber auch raus und erhalten Heu oder Silage – also das im Sommer geerntete Gras.

Welchen Einfluss hat Kraftfutter auf die Milchleistung?

Eine Bio-Kuh gibt um die 7000 Liter Milch pro Jahr, konventionelle Kühe oftmals über 10.000 Liter. 

Halten die Kühe bei solch einer Milchleistung genauso lange durch wie die Tiere in der Öko-Landwirtschaft?

Im Bio-Bereich wird meist auf Lebenstagleistung gezüchtet – dass sie also länger Milch geben und dabei gesund bleiben. Im konventionellen Bereich hingegen überleben die Kühe im Schnitt fünf Jahre. Dann werden sie geschlachtet, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr rentieren: Die Gesundheitskosten für die Milchkuh werden dann zu hoch – sie ist durch die hohe Beanspruchung ausgelaugt. 

In den vergangenen Jahrzehnten war das absolut dominierende Zuchtziel eine hohe Milchleistung. Die Kühe geben dann viel Milch – auch wenn die Futterversorgung dafür eigentlich gar nicht ausreichend ist. Dann bauen die Tiere körperlich ab und werden oftmals krank. Sie stecken also die Energie nicht in die Selbsterhaltung, sondern in die Milchproduktion. Das sind Kühe, die auf energiereiches Kraftfutter angewiesen sind – auf der Weide würden sie verhungern, weil über das Gras nicht die entsprechende Energie zugeführt würde. Sie hätten am Tag nicht genügend Zeit, um eine ausreichende Menge Gras fressen zu können.

„Kühe könnten in der Ökologisierung der Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen“

Dann gibt es also mindestens drei Gründe, weniger Milchprodukte zu konsumieren: wegen des Tierwohls, des Flächenverbrauchs - aber auch wegen des Klimaschutzes. 

Der Bestand an Milchkühen und Rindern muss deutlich zurückgehen – er verursacht einen großen Teil der klimaschädlichen Emissionen im Landwirtschaftssektor. Das größte Problem ist die Verdauung der Tiere und der damit verbundene Methanausstoß. Hinzu kommen dann noch Treibhausgasemissionen, die durch den Anbau des Kraftfutters entstehen: So ist die Herstellung von Stickstoffdünger energieintensiv und klimaschädlich. Und die Böden emittieren klimaschädliche Lachgase, die vor allem durch die Stickstoffdüngung des Bodens freigesetzt werden. 

Den Methanausstoß kann man nur durch eine Verringerung der Tierzahlen senken. Die Fütterung ließe sich natürlich von Kraftfutter auf Futter umstellen, das mit einem viel geringeren Aufwand produziert wird – also grasbasiertes Futter. Das ginge aber nur mit deutlich weniger Tieren, da die Energiedichte von Grasfutter geringer ist.

Wie viele Milchprodukte sind denn vertretbar?

Insgesamt muss sich für eine nachhaltige und gesunde Ernährung der Konsum von tierischen Produkten in Deutschland um etwa 75 Prozent reduzieren. Das hat Greenpeace kürzlich auf Grundlage der Plant Health Diet ausrechnen lassen.

Grafik: klimagesunde Ernährung
Grafik: klimagesunde Ernährung

Das hätte eine deutliche Reduzierung der Milchkühe zur Folge, die dann in der Ökologisierung der Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen könnten. Das hat folgenden Hintergrund: Biolandwirt:innen setzen keinen mineralischen Stickstoffdünger ein, sondern Wirtschaftsdünger von Kühen. Hauptsächlich aber hält man die Böden gesund und fruchtbar, indem man in der Fruchtfolge auf dem Acker Kleegras einplant. Verschiedene Sorten Klee werden wie eine Wiese ausgesät, die über zwei Jahre stehen bleibt. 

Klee ist in der Lage, wertvollen Humus aufzubauen und die Wasserhaltefähigkeit der Böden zu verbessern, so dass sie besser mit Trockenperioden umgehen können. Und es ist in der Lage, Stickstoff im Boden anzureichern – und zwar in ziemlich großer Menge. Außerdem tummeln sich auf solch einer Wiese viele Insekten. Klee hat also viele positive Eigenschaften, lässt sich aber als Lebensmittel nicht nutzen – als Futter für Wiederkäuer eignet er sich aber sehr wohl. Die Kleewiese könnte also entweder gemäht oder zum Grasen für Wiederkäuer genutzt werden. Klee nimmt übrigens auch sehr gut Nitrat aus Tierdung auf, dadurch werden keine Nitrate ins Grundwassser ausgewaschen. 

Nach zwei Jahren ist der Boden wieder gut vorbereitet für den Anbau von Kulturen wie Möhren, Kartoffeln oder Getreide. Ein wunderbarer Kreislauf. 

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