
Erwartungen an die Agrarpolitik der nächsten Bundesregierung
- mitwirkende Expert:innen Matthias Lambrecht
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Folgt auf drei verlorene Ampel-Jahre eine Agrarpolitik mit den Konzepten von gestern, bedroht das die Zukunft der Landwirtschaft. Umfrage zeigt: Politik sollte Verbraucher:innen mehr im Blick haben.
Wenige Tage vor Eröffnung der Grünen Woche und zu Beginn der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs hat der Präsident des Deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied einen “Neustart” in der Agrarpolitik gefordert – mit mehr Subventionen und weniger Bürokratie. Nach den Bauernprotesten vor einem Jahr verspürt der Bauernpräsident Rückenwind. Und mit dem Rückenwind aus den Umfragen segeln auch die Unionsparteien Richtung Bundestagswahl. Sie versprechen unter anderem eine schnellere Zulassung von Pestiziden und mehr Gentechnik in der Landwirtschaft. Und die CSU hat schon einen bayerischen Bauernverbandsfunktionär als nächsten Bundeslandwirtschaftsminister nominiert.
Die Vorfreude der CDU/CSU, nach den anstehenden Wahlen mit der Mehrheit im Bund und den mehrheitlich unionsgeführten Landesministerien agrarpolitisch durchregieren zu können, trifft auf eine SPD, die nie besonderes Interesse an der Landwirtschaft gezeigt hat, auf eine FDP, die in der Ampel agrarpolitisch lediglich als Blockiererin aufgefallen ist, und auf mutlose Grüne, die mit Cem Özdemir an der Spitze des Landwirtschaftsministerium ihren Gestaltungswillen weitgehend verloren haben.
Wenn auf drei verlorene Ampel-Jahre jetzt eine rückwärtsgewandte Agrarpolitik folgt, die versucht, mit den Konzepten von gestern die Probleme von heute und morgen zu lösen, dürfte der aktuelle wirtschaftliche Druck auf die bäuerlichen Betriebe kaum nachlassen. Wertvolle Zeit verstreicht, um die größer werdenden Herausforderungen durch mehr Überschwemmungen, längere Dürreperioden oder schwindende Artenvielfalt zu bewältigen.

Je später wir uns auf die unvermeidlichen Veränderungen einstellen, desto weniger können wir unsere Lebensgrundlagen und unseren Wohlstand schützen”, sagt Matthias Lambrecht, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. “Das gilt nicht nur für Bäuerinnen und Bauern. Aber sie gehören zu den Ersten, deren wirtschaftliche Existenzen in Gefahr geraten.
Gemeinwohl statt Lobbyinteressen
Bei immer mehr Menschen wächst die Erkenntnis und die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu überdenken und andere Konsumentscheidungen zu treffen. So ist der Überkonsum von Fleisch in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Bei einer aktuellen Umfrage im Auftrag von Greenpeace sehen es die Befragten als wichtigste Aufgabe des neuen Bundeslandwirtschaftsministeriums an, sich dafür einzusetzen, dass klima- und umweltverträglich erzeugte Lebensmittel günstiger werden. Und nur acht Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass in der Agrarpolitik die Vertretung der Interessen von Landwirt:innen Vorrang haben sollte – die übergroße Mehrheit fordert eine gleichrangige oder vorrangige Behandlung der Interessen von Verbraucher:innen.
“Statt fossile Kraftstoffe für eine Berufsgruppe zu subventionieren, sollten Anreize zum Konsum klimaverträglich erzeugter Produkte für alle gesetzt werden”, fordert Lambrecht. “So würde eine Mehrwertsteuerbefreiung für pflanzliche Lebensmittel Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf entlasten.”
Im Schnitt könnte jeder Haushalt so knapp 100 Euro im Jahr einsparen. Das wäre auch ein Zeichen an den Lebensmitteleinzelhandel, mit mehr ressourcenschonenden und klimafreundlichen pflanzlichen Produkten in den Sortimenten die planetaren Grenzen zu beachten. Insgesamt würde die Entlastung durch die Steuerbefreiung rund vier Milliarden Euro jährlich betragen. Eine sozial-gerechte Gegenfinanzierung wäre über eine Milliardärssteuer möglich. Bis Ende 2030 könnten mit dem Abbau von Steuerprivilegien für Superreiche nach Berechnungen von Greenpeace Mehreinnahmen von 200 Milliarden Euro erzielt werden.

Agrarpolitische Forderungen zur Bundestagswahl 2025
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HerunterladenLösungsvorschläge liegen längst auf dem Tisch
“Es ist also höchste Zeit für eine echte Zeitenwende in der Agrarpolitik”, so Lambrecht. “Die werden Bäuerinnen und Bauern gemeinsam mit einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis und tausenden Menschen am kommenden Samstag bei der “Wir haben es satt”- Demonstration in Berlin einfordern.” Lösungsvorschläge lägen längst auf dem Tisch, vorgelegt von Kommissionen mit gesammelter Expertise und breitem gesellschaftlichen Rückhalt ebenso wie aus der Wissenschaft, ohne dass die Umsetzung bislang vorankäme.
Zeitenwende heißt auch: Es ist höchste Zeit zu erkennen, dass wir gemeinsame Interessen haben. Der Schutz unseres Planeten und seiner natürlichen Ressourcen ist der Schutz unseres Wohlstands – für ein Leben in Sicherheit und Freiheit.
Doch den politisch Verantwortlichen aus den Regierungsparteien der vergangenen Jahre fehlt der Mut, die überfälligen Reformen endlich anzupacken. Dazu trägt eine Agrarlobby maßgeblich bei, die zwar vorgibt, für aller Bäuerinnen und Bauern einzutreten, tatsächlich aber in enger Vernetzung mit Politik und Unternehmen vor allem die Interessen der industrialisierten Großbetriebe in der Landwirtschaft und der Konzerne der Agrar- und der Lebensmittelindustrie im Blick hat. Denen geht es regelmäßig um die Sicherung kurzfristiger Gewinne – auch auf Kosten der Allgemeinheit, die für die Folgen von Naturzerstörung und Klimakatastrophen aufkommen muss. Familiengeführte bäuerliche Betriebe denken dagegen in Generationen. Für sie ist der langfristige Schutz und Erhalt der natürlichen Ressourcen entscheidend, um ihre Höfe auch in Zukunft erfolgreich bewirtschaften zu können.
Die Verärgerung und Verunsicherung vieler Landwirtinnen und Landwirte über Reformstau, politische Tatenlosigkeit und mangelnde Perspektiven eröffnet Spielräume für eine irreführende Kommunikation, mit der Teile der Lobby und Profitierende des umwelt- und klimaschädlichen Agrarsystems gezielt Mythen und Falschinformationen verbreiten, um damit Stimmung zu machen und Stillstand zu erzeugen. Der Greenpeace-Faktencheck soll einen Beitrag leisten, die öffentliche und politische Diskussion rund um die Transformation von Landwirtschaft und Ernährung mit Daten und Fakten anzureichern.

Mythen der Agrar-Lobby
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