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Lebensmittelhandel positioniert sich uneinheitlich zu neuer Gentechnik

Bisher ist die gentechnikfreie Landwirtschaft in Deutschland und Europa eine Erfolgsgeschichte: Die Äcker sind seit Jahren weitgehend frei von Gen-Pflanzen, die direkte Verwendung von Gen-Pflanzen in Lebensmitteln ist beim Verbraucher durchgefallen – deshalb sind solche Produkte auch nicht in den Supermärkten zu finden. Gleichzeitig werden explizit gentechnikfrei gekennzeichnete Lebensmittel immer beliebter.

Doch mit dieser Freiheit, sich bewusst gegen Gentechnik im Essen entscheiden zu können, könnte es bald vorbei sein. Neue gentechnische Verfahren der „Genom-Editierung“ wie etwa CRISPR ermöglichen tiefe Eingriffe in das Erbgut von Pflanzen und Tieren. Sie sollen gezielter sein, als dies mit „alter“ Gentechnik möglich war und arbeiten meist ohne den Einbau fremder DNA.

Die ersten Produkte werden bereits entwickelt. Das heizt die Diskussion über das geltende Gentechnik-Recht immer weiter an. Die EU-Kommission plant, bis Mitte 2023 einige der Verfahren zu „deregulieren“. Sie würden damit nicht länger als Gentechnik eingestuft, wie es das europäische Recht eigentlich vorsieht. Das würde bedeuten, dass künftig für diese Verfahren weder Risikoprüfung, Zulassung, Kennzeichnung noch Nachweisverfahren erforderlich wären. Für die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft wäre es nahezu unmöglich, zu garantieren, dass ihre Felder und Produkte frei sind von mit CRISPR und Co. veränderten Pflanzen.

Eine umfassende Gentechnik-Kennzeichnung wäre nicht mehr möglich

Diese Entwicklung hätte auch Auswirkungen auf den Lebensmitteleinzelhandel und die großen Supermärkte und Discounter. Schließlich sind gentechnikfreie Milch und Molkereiprodukte inzwischen nicht mehr aus den Regalen wegzudenken, auch Fleisch wird zunehmend „ohne Gentechnik“ produziert und entsprechend gekennzeichnet. Sollten mit neuer Gentechnik modifizierte Pflanzen ohne Regulierung auf den Markt kommen dürfen, wäre eine umfassende Kennzeichnung einschließlich neuer Gentechnik aber nicht mehr möglich. Eine Reihe europäischer Unternehmen, unter ihnen auch Aldi, Lidl Deutschland sowie Rewe und Penny, haben sich 2021 in einer Resolution dafür ausgesprochen, auch neue Gentechnik klar als Gentechnik zu regulieren. Andere prominente Namen des deutschen Handels wie Edeka, Kaufland und Metro fehlen dagegen in der Liste der Zeichner.

Im Oktober 2021 hat Greenpeace die Unternehmen um eine Stellungnahme gebeten sowie zur Unterzeichnung der „Retailer´s Resolution“ aufgefordert. Angeschrieben wurde auch Lidl. Das Unternehmen hat zwar für Deutschland und Österreich unterschrieben – eine Position für den gesamten international tätigen Konzern blieb Lidl bislang aber schuldig.

Edeka, Kaufland und Metro ducken sich vor Position zur Gentechnik weg

Die Antworten machen deutlich, dass den angeschriebenen Unternehmen bisher eine klare Linie fehlt. Alle vier sehen sich derzeit nicht in der Lage, die Resolution zu zeichnen oder eine Position einzunehmen zu dem Vorhaben der EU-Kommission, neue Gentechnik-Verfahren nicht als Gentechnik einzustufen. Edeka und Kaufland verweisen auf die Stellungnahme des Dachverbands des deutschen Lebensmittelhandels, in der die Regulierung neuer Gentechnik 2021 immerhin als „europarechtlich nachvollziehbar“ bezeichnet wird und auch Vorsorgeprinzip, Wahlfreiheit, Kennzeichnung und Nachweisverfahren genannt werden. Eine klare Position zu einer möglichen Deregulierung wird aber nicht bezogen.

Lidl traut sich international keine Position zu, obwohl die Vertretungen in Deutschland und Österreich der Resolution zugestimmt haben. „Das ist zu wenig und hilft weder den Verbraucher:innen noch den Landwirt:innen, die beim Einkauf oder Anbau eine bewusste Entscheidung gegen Gentechnik treffen wollen“, sagt Dirk Zimmermann, Gentechnik-Experte bei Greenpeace. „Wer es ernst meint mit dem Bekenntnis zu Transparenz und Wahlfreiheit muss mehr tun, als das absehbare Vorgehen der EU-Kommission zu beobachten und auf das vage Positionspapier eines Dachverbandes zu verweisen. Durch Passivität wird am Ende die mögliche Deregulierung neuer Gentechnik unterstützt.“

Koalitionsvertrag: Gentechnik kommt kaum vor

Wie viel Unterstützung von der neuen Bundesregierung zu erwarten ist, bleibt im Koalitionsvertrag erst einmal offen – der Begriff „Gentechnik“ fällt nicht einmal in dem Papier, das Thema Regulierung wird ebenfalls nicht genannt. „Die Bundesregierung nennt aber das Ziel, den Ökolandbau auf 30 Prozent bis 2030 auszubauen und bekennt sich zu Risiko- und Nachweisforschung und Transparenz über Züchtungsmethoden“, sagt Zimmermann. „Das muss konsequenterweise bedeuten, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, an der bestehenden Gentechnik-Gesetzgebung festzuhalten. Wir erwarten von den zuständigen Ministerien, sich entsprechend entschlossen gegen die Pläne der Kommission zu engagieren.“ 2022 steht ein weiteres öffentliches Konsultationsverfahren an, mit Legislativ-Vorschlägen der Kommission ist frühestens Ende des Jahres zu rechnen.

Zum Weiterlesen

Positionspapier Neue Gentechnik.pdf

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Abfrage Lebensmitteleinzelhandel.pdf

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