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Testeinkäufe im Supermarkt
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Ein ausführliches Interview mit Dr. Helmut Burtscher

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Greenpeace-Online: Wie kam es zu der Zusammenarbeit einer kritischen NGO mit einem Lebensmittelhändler?

Dr. Helmut Burtscher: Wir haben im Februar 2002 unsere Pestizid-Kampagne in Österreich gestartet. Unser allererster Test untersuchte die Pestizidbelastung bei spanischer Paprika. Mit den Besorgnis erregenden Ergebnissen gingen wir an die Öffentlichkeit. So etwas hatte es bis dahin noch nie in Österreich gegeben. Die Geschichte ging in den Medien ab. Wir kamen sogar auf die Titelseite. Aber auch von den Supermärkten und den Politiker wurden wir wahrgenommen.

Einen Monat später haben wir dann noch nachgelegt: Für vier Wochen standen unsere Infostände vor vielen Supermärkten der vier größten Lebensmittelketten in Österreich. Wir verteilten Informationsbroschüren und sammelten Unterschriften. Zeitgleich kam es zu Gesprächen mit den Supermarktketten.

Der Verantwortliche für den Einkauf bei Billa wollte uns in die Pflicht nehmen, an einer Verbesserung mitzuarbeiten. Er schien sich bis dahin des Problems der Pestizidbelastung nicht bewusst gewesen zu sein. Er sagte, dass ihn Kunden mit E-Mails bombardieren würden.

Greenpeace-Online: Das war aber doch nicht der einzige Grund für Billa, den ersten Schritt zur Zusammenarbeit zu tun?

Dr. Helmut Burtscher: Noch Jahre nach unserer Untersuchung hatten die Verkaufszahlen von spanischer Paprika nicht den Stand vor Februar 2002 erreicht. Bei den Verbrauchern hatte es eine richtigen Memoryeffekt ausgelöst. Diese Umsatzeinbußen waren auch ein starkes Argument.

Greenpeace-Online: Wie ging es weiter?

Dr. Helmut Burtscher: Wir sagten zu, ein Pestizidreduktionsprogramm, kurz PRP, zu entwickeln und setzten uns die nächsten drei Monate daran. Der erste Gedanken war natürlich alles auf Bio umzustellen. Das war aber nicht umsetzbar.

Uns war klar, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Höchstwerte nicht ausreichten. Wir entwickelten deshalb ein Zertifizierungssystem, das auf den in der Regel niedrigeren ADI-Werten basiert. ADI steht für Acceptable Daily Intake (akzeptable Menge, die täglich eingenommen werden darf). Unser Leitmotiv war: gesundheitliche Relevanz ist wichtiger als gesetzliche Höchstmengen.

Greenpeace-Online: Wie ist das Reduktionsprogramm aufgebaut?

Dr. Helmut Burtscher: Es geht ja darum, die Pestizidbelastungen stufenweise herunterzusetzen. Deswegen handelt es sich um ein drei Stufen-Modell. Gegenwärtig sind wir in der zweiten Stufe, bei der die einzuhaltenden Werte nur noch halb so viel zulassen wie in der ersten Stufe. Noch steht die dritte Stufe nicht an. Vielmehr beschäftigen wir uns gerade damit, wie sie im Detail aussehen soll.

Greenpeace-Online: Das Reduktionsprogramm richtet sich ja direkt an die Produzenten. In welcher Rolle sieht sich Global 2000 gegenüber den Erzeugern von Obst und Gemüse?

Dr. Helmut Burtscher: Global 2000 sieht sich als Partner der Produzenten. Wir wollen ihnen mit Serviceleistungen und Informationen zur Seite stehen. Uns geht es um eine echte Zusammenarbeit mit den Erzeugern von Obst und Gemüse.

Wir haben inzwischen sogar zwei Agrartechniker eingestellt. Sie sollen mit ihrem Fachwissen den Produzenten helfen, Wege zu finden die Werte des PRP einzuhalten.

Greenpeace-Online: Gibt es noch weitere Serviceleistungen?

Dr. Helmut Burtscher: Wir lassen jede Woche zwischen 10 und 15 Untersuchungen von Proben vornehmen. Jede dieser Untersuchungen schlägt mit rund 200 Euro zu Buche. Diese Proben und Untersuchungen sind übers Jahr nicht immer gleich. Es werden das aktuelle Angebot und die Verzehrgewohnheiten berücksichtigt.

Greenpeace-Online: Was geschieht, wenn dabei Überschreitungen festgestellt werden?

Dr. Helmut Burtscher: Das wird dem Produzenten mitgeteilt. Er kann sich dann darauf einstellen, dass bei den nächsten beiden Lieferungen auf jeden Fall wieder getestet wird. Allerdings ist das dann schon mit einer kleinen Sanktion verbunden: Die Kosten für die Folgetests trägt der Produzent. Sollte es dann wieder Beanstandung geben, wird der Produzent gesperrt.

Greenpeace-Online: Und Billa ist da konsequent?

Dr. Helmut Burtscher: Ja, Billa zieht mit. Schließlich steht die Glaubwürdigkeit des Projekts auf dem Spiel. Es kam schon zweimal vor, dass eine Sperre über ein ganzes Jahr aufrecht erhalten wurde. Allerdings bekommt der Erzeuger immer wieder die Chance, wieder als Lieferant akzeptiert zu werden.

Greenpeace-Online: Läuft dieses System so schon von Anfang an?

Dr. Helmut Burtscher: Nein, das PRP wurde im Laufe der Zeit angepasst. Für uns war es aber auch nicht in Zement gegossen. Unnötige Härten wurden inzwischen abgemildert.

Greenpeace-Online: Wie schätzt Global 2000 diese Zusammenarbeit mit Billa ein?

Dr. Helmut Burtscher: Ich bin zufrieden damit. Wir kommen ins vierte Jahr. Das ist eine lange Zusammenarbeit zwischen einer NGO und einem kommerziellen Betrieb. Insofern ist es ein Erfolg, der auch auf fortgesetzte Gesprächsbereitschaft zurückzuführen ist. Dazu gehörte auch, dass wenn wir es einmal verlangten, die kommerziellen Interessen hintangestellt wurden.

Greenpeace-Online: Gibt es Aspekte, die verbesserungsfähig sind?

Dr. Helmut Burtscher: Unserer Auffassung nach wären mehr Absatzgarantien für die Produzenten wünschenswert. Dadurch könnte man ein stärkeres Eingehen auf die Wünsche und Bedürfnisse erreichen. Allerdings kann eine solche Bindung auch den Preis steigen lassen. Und sie steht im Gegensatz zum Verhalten der Händler, die durch den freien Markt eine Preisregulation erzielen, indem sie sich immer wieder einen günstigen Anbieter aussuchen wollen.

Greenpeace-Online: Was sagt Global 2000 zu den Ergebnissen des Greenpeace-Supermarktvergleiches?

Dr. Helmut Burtscher: Wir freuen uns natürlich. Es ist das erste Mal, dass wir einen Vergleich von außen erhalten haben. Und er zeigt, dass wir mit unserem PRP die Nase vorn haben. Allerdings zeigte sich auch, dass es noch zu beanstandende Proben auch bei Billa gab. Dennoch, so haben wir erfahren, freut sich Billa auch.

Greenpeace-Online: Wird es in Zukunft auch eine Zusammenarbeit mit anderen Supermärkten geben?

Dr. Helmut Burtscher: Gern würden wir andere Händler an Bord nehmen. Doch die bisherigen Gespräche blieben ohne Folgen. Für uns ergibt sich daraus ein unschönes Problem: Da wir nur mit einem kommerziellen Partner zusammenarbeiten, sieht der ein oder andere unsere Unabhängigkeit in Gefahr. Wir stehen mit unserem PRP aber allen Supermarktketten offen!

Greenpeace-Online: Vielen Dank für das Gespräch!

Ein Nachwort: Billa ist eine Tochter des deutschen Konzerns Rewe. Unsere Pestiziduntersuchungen legen nahe, dass Rewe in Österreich Ware mit geringerer Pestizidbelastung anbietet als in Deutschland. Warum Rewe in Deutschland nicht ebenso auf Pestizidreduktion achtet wie in Österreich und warum uns Verbrauchern hier schlechtere Qualität angeboten wird, ist mehr als erklärungsbedürftig.

  • Dr. Helmut Burtscher

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